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Zuhause bei Designer Daniel Freitag in einer ehemaligen Schreinerei

Stil

Zuhause bei Designer Daniel Freitag in einer ehemaligen Schreinerei

  • Text: Christina Duss; Fotos: Rita Palanikumar

Hier steht ein ruheloser Freigeist vorübergehend still: Designer Daniel Freitag hat eine ehemalige Schreinerei zu einem improvisierten Wohnsitz umgebaut.

Hier steht ein ruheloser Freigeist vorübergehend still: Designer Daniel Freitag hat eine ehemalige Schreinerei zu einem improvisierten Wohnsitz umgebaut.

An Daniel Freitags Tür gibt es keine Klingel. Und so stösst man die Tür der ehemaligen Schreinerei im Zürcher Kreis 6 einen Spalt auf, reckt den Kopf in den Raum und schleicht – als ob man sich gerade in einem Detektivroman befände – durch die Werkstatt des Designers, ruft ein scheues «Hallo?» den Hobelbänken und Werkzeugen entgegen und beschliesst, die steile Holztreppe in den zweiten Stock zu besteigen. Dort ist es hell und warm und Daniel Freitag (40), der zusammen mit seinem Bruder Markus die Freitag-Tasche erfunden hat, steht im Karohemd und in Flipflops in der Küche seiner Wohnung und hantiert am Ofen, wo er Milch und Kaffee für seine Besucher wärmt. Die Uhr, die über der raumfüllenden Tatamibühne hängt, steht still.

Vor rund einem Jahr war es, als Daniel Freitag den alten Besitzer einer zufällig entdeckten, leer stehenden Schreinerei kontaktierte. Er besichtigte die beiden Räume, eine Werkstatt im Parterre und den Holzverarbeitungsraum im Obergeschoss. «Chaotisch wars», sagt Daniel Freitag, «überall lagen Stapel von Magazinen und Farbspritzutensilien.» Und weil der Schreinermeister und Besitzer des Hauses zu Protokoll gab, dass er «sowieso mal räumen müsse» und Daniel Freitag damals gerade nach einer neuen Herausforderung suchte, mietete der Designer die Räume und machte sich an die Renovation. «Farbspritzer und Leimspuren am Boden liess ich unberührt, das gehört zu dieser Umgebung», sagt Freitag. Kleine Unregelmässigkeiten wie unterschiedlich zusammengebaute Gestellhalterungen hat der Perfektionist zwar bemerkt, veränderte aber auch hier nichts. Der Designer dachte dabei an das japanische Ästhetikkonzept Wabi-Sabi, das auch in die Philosophie der Firma Freitag eingegangen ist: Da wird nicht die offensichtliche Schönheit angestrebt, sondern die Authentizität der Dinge, das Unperfekte. Wabi heisst ursprünglich sich elend und einsam fühlen und Sabi alt sein und Patina zeigen. Freitag war schon oft in Japan, privat und geschäftlich. Er kennt das Land gut, interessiert sich für seine Kultur. Gerade ist der erste Freitag-Store in Tokio eröffnet worden.
 

Daniel Freitag tobte sich schon als Kind handwerklich aus

Schon auf dem ehemaligen Bauernhof, den die Familie Freitag in Meilen bewohnte, gabs eine Werkstatt, da hatten die Brüder die Möglichkeit, sich handwerklich auszutoben. «Das lehrte mich rückblickend viel mehr als meine Ausbildung», sagt der Grafiker. «Aus wenig viel machen» lautet Freitags Credo heute. Und so hat er auch fast alles in seiner Wohnung selbst gebaut – die Helligkeit von verarbeitetem Holz dominiert hier. Bei der japanischen Wohnbühne hat ihm sein Bruder geholfen – einer im Zentrum des Raums stehenden, 85 Zentimeter hohen, 4.25 Meter langen und 3.4 Meter breiten Konstruktion aus Kistensperrholz, mit Tatami-Matten belegt. Das Innere dient unter anderem als Stauraum für den Futon, der nachts auf der Fläche ausgerollt wird. Der aus dem Restholz konstruierte Tisch ist ebenfalls Teil des raumfüllenden Konstrukts. Nehmen Gäste daran Platz, werden ihre Füsse von in den Kisten versteckten Heizkörpern gewärmt. Und obwohl die riesige Kistenbühne viel Platz beansprucht, funktioniert sie wie ein Raum im Raum – auf beinah schwerelose und zarte Weise. Den besten Blick auf das raffinierte Konstrukt hat Sohn Konstantin: Von seinem Hochsitz aus, einem Bett, das nur über eine kleine Eisentreppe erreichbar ist, überblickt er den ganzen Raum.

Nur ein einziger Raum ist mit einer Tür abgetrennt. «Das Chefbüro», sagt Freitag über das Zimmerchen, das er als begehbaren Kleiderschrank nutzt. Hier wurde das Administrative der Schreinerei geregelt. Der alte eiserne Kassenschrank ist immer noch da – versteckt im schweren, dunkelbraunen Einbauschrank.

«Ich brauche einen improvisierten Wohnsitz, eine Art urbanes Camping», sagt Freitag. «Ich möchte nicht zu lange an einem Ort bleiben.» Eine Idee, die sich auch im Interieur widerspiegelt: Als Waschort dient eine graue Industriewanne, in der Toilette sind Geburtstage mit Kreide an die Wand gemalt. Die Möbel stammen aus einer alten Apotheke in Interlaken oder aus dem Zürcher Secondhandshop Bogen 33 und einer Mulde beim Zürcher Maag Areal, eine Lampe aus der Alteisensammlung. Auch das Label, das er 1993 zusammen mit seinem Bruder gründete – Freitag, eine Kollektion aus Taschen, die aus recycelten Lastwagenblachen gefertigt werden – ist in den Privaträumen präsent: Konstantins Spielsachen sind in sorgfältig aufeinandergestapelten Freitag-Kisten verstaut. Der Abfall wird in einer Ecke der offenen Küche in Freitag-Taschen getrennt.
 

Daniel Freitag pflegt den Anachronismus

Kurze Zeit später kniet Daniel Freitag unten in der Werkstatt am Boden und öffnet eine Luke. Hier lagert er sein Holz für den Ofen, der aus dem ehemaligen Bauernhaus seiner Eltern stammt und im Winter gegen die Kälte kämpft. Eine Steintreppe führt von der Werkstatt in den kleinen Garten. «Ein Garten mit Schöpfli», sagt Freitag lächelnd und nickt in Richtung des   Gartenhäuschens, in dem momentan vor allem Bauholz Schutz findet. Andere hätten die Schreinerei, den Garten, das Schöpfli umgebaut und in die Gegenwart gestylt. Daniel Freitag hat den Anachronismus gepflegt. Man wünscht dieser Umgebung, dass der Besitzer dieses Mal nicht so schnell weiterzieht. Damit alles hier noch länger bleiben kann, was es ist: Ein Ort, an dem die Zeit irgendwie stillsteht – nur ein paar Gehminuten von der geschäftigen Zürcher Langstrasse entfernt.

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