Reiselust für Glücksritterinnen: Gleiswürfeln heisst dieses Spiel, bei dem man das Gleis und somit der Zug, den man nimmt, von Fortuna auswählen lässt. Viviane Stadelmann liess die Würfel fallen, verfehlte zwar ihre Traumdestination – entdeckte dafür aber ein Lebensgefühl, das die Reise wert war.
Es gibt Tage, da weiss man schon beim Aufstehen: Das wird ein guter Tag. In der Bäckerei vertippt sich die Verkäuferin und man erhält das Lieblingsbrötchen einen Franken günstiger, im Tram ergattert man den letzten Sitzplatz, im Büro kommt man zu spät, aber niemand merkt es, weil alle noch später kommen, und so kriegt man statt hinaufgezogener Augenbrauen ein Kompliment für sein Kleid und einen Kaffee noch dazu. An solchen Tagen scheint irgendwie alles rund zu laufen. Und dann gibt es Tage, da könnte man sich zu einer Traumdestination würfeln, und man landet in: Buchs SG.
Nun ja. Es wäre schliesslich keine Herausforderung, sich im Tessin Glace schleckend einen vergnüglichen Tag zu bereiten. Der Ehrgeiz ist geweckt: Das wird ja wohl auch im Rheintal ganz am Rand des Kantons St. Gallen möglich sein. Eine kurze Google-Suche spuckt einige Informationen aus. Knapp 11 000 Einwohner, ein kleiner See, ein Schlösschen – so weit, so idyllisch. Die Zugreise von 1 Stunde und 8 Minuten fühlt sich plaudernd mit der Kollegin gar nicht lang an.
Der erste Blick aus dem Bahnhof ernüchtert allerdings. Baustelle und auf der einen Seite der Gleise dürres Grasland, auf der anderen Seite weit und breit kein Stadtzentrum in Sicht, nur eine einsame Strasse, die scheinbar ins Nirgendwo führt. Wir spazieren der Strasse nach, um schliesslich doch noch auf ein paar Läden und Cafés zu stossen. Public-Viewing-Bars und Souvenirshops, die mit Kuhglocken und Shishas locken, verraten das Stadtzentrum. Für einen Donnerstagmorgen ist es erwartungsgemäss leer, nur im Café der Konditorei sitzen einige Rentner gemütlich bei einem Stück Kuchen zusammen. Bei einem Bach biegen wir rechts ab, in der Hoffnung, dass er im See mündet. Das freundliche Grüezi, das von jedem Passanten herübertönt – ein untrügliches Zeichen, dass wir trotz der Bezeichnung Stadt in ländlichem Gebiet sind. Wir schlendern weiter und machen bei einem Brocki einen ersten Stopp. Wie einst in die Schulzeit spielen wir Verkleiderlis, wühlen uns von Blusen aus den 70ies bis zu Skijacken aus den 80ies und zu Schlauchtops aus den 90ies. Eine Joggingjacke in den schrillen Farben des Lauftreffs Buchs soll ein passendes Andenken sein. «Was kostet das?» – «Ein Franken». Was für ein Schnäppchen! «Das erste Mal in Buchs?», fragt die Verkäuferin. Als Ausflugs-Highlight schlägt sie uns den schon angepeilten Werdenbergersee und das Werdenbergerschloss vor. Den Rest des Zentrums findet sie «leider nicht besonders schön», aber die alten Häuser beim See seien einen Besuch wert.
Die Hauptstrasse führt uns schliesslich direkt zu einem grossen Parkplatz – und siehe da, dahinter liegt das Kleinod versteckt. Vor uns liegt ein schmucker, von Schilf und Bäumen gesäumter See – obwohl Teich als bezüglich der Grössendimension wohl treffender wäre. Wir setzen uns auf die Terrasse des Restaurants Galerie am See und geniessen den Ausblick bei einem Cappuccino.
Nach der halben Seeumrundung (zehn Minuten, wenn man sehr langsam geht) sind wir bei den historischen Häuschen angekommen. Wir lassen unser Blick in die Höhe schweifen und bestaunen Dachgiebel und Details, als wären wir eine japanische Reisegruppe. Dabei merken wir, dass das Schönste am Nichtstun die Zeit ist, die man plötzlich zum endlosen Staunen hat. Diese winzigen Fenster! Die Wandmalereien! Die Sonnenuhr! Hätte der Europapark ein Bauvorbild für die Schweiz gebraucht, hier wären man fündig geworden.
Ein von Rebbergen gesäumter Weg führt hinauf zum Werdenbergerschloss. Wir schauen uns Schlösschen und Aussicht an und genehmigen uns eine kleine Erfrischung im Schlosscafé.
Auf dem Rückweg passieren wir eine Minigolf-Anlage. Wann haben wir das letzte Mal gespielt? Noch bevor die Dorfjugend nach Schulschluss die Anlage für sich beansprucht, fordern wir uns zu einer Partie heraus. Zwischen Einlochen und Herumalbern sinnieren wir über unsere eigene Jugend und erinnern uns an das Gefühl von damals, das wir grad wiederentdecken: eine Mischung aus zu viel Zeit, keinen Verpflichtungen, ein wenig Verloren-Sein und Sommerhitze, ausschweifenden Gesprächen und klebrigem Raketenglace. Als wir am Ausgang ein Kinderkarussell entdecken, zögern wir keine Sekunde. Wir quetschen uns in die Sitze, werfen eine Münze ein und lassen die Beine baumeln. «Safety first!», ruft mir meine Kollegin zu und macht die Sicherung fest. Wir lachen beide laut los – und hören damit nicht auf, bis nach ewigen Minuten, ganz langsam, der Fahrtwind in unseren Haaren weniger wird und die letzte Drehung des Karussells ausklingt.
Sehen
Schloss Werdenberg
Das schmucke Schlösschen liegt in Werdenberg, ist aber zu Fuss von Buchs gut erreichbar. Der Bau begann bereits 1228. Die angrenzenden Rebberge und der Werdenbergersee bieten eine schöne Aussicht.
Werdenbergersee und Werdenberg
Das Städtchen am Fuss des Schlosses rühmt sich, mit etwa 60 Einwohnern die kleinste Stadt der Schweiz zu sein. Die historischen Häuser und der angrenzende See laden zum Flanieren ein.
Minigolf Buchs
Direkt angrenzend zum Werdenbergersee können in der Minigolfanlage die Bälle auf 18 Bahnen eingelocht werden.
Essen & Trinken
Galerie am See
Eine grosse Auswahl an Getränken und Gerichten mit Blick auf Werdenberg.
Bistro Schloss Werdenberg
Im Innenhof des historischen Schlosses liegt das lauschige Bistro, bei dem man sich mit kleinen Imbissen und Erfrischungen verpflegen kann.
Reisen
Ab Zürich Hauptbahnhof dauert die Fahrt nach Schaffhausen 1 Stunde und 8 Minuten und kostet mit dem Halbtax-Abonnement 37 Franken.
Linktipp: Reisebegleiter Zufall sandte Jessica Prinz den Rhein entlang nach Schaffhausen
1.
2.
3.