«Wie kann Mode so teuer und gleichzeitig so billig sein?»
«Wie in allen Industrien können Waren in der Mode aus verschiedensten Rohstoffqualitäten und unter unterschiedlichsten Herstellungsbedingungen produziert werden. Materialien wie Seide oder Kaschmir sind besonders teuer, da ihre Herstellung aufwendig ist. Allgemein sind natürliche Fasern meist kostenintensiver als synthetische, was sich allerdings nicht immer im Preis niederschlägt. ‹Je teurer, desto besser› gilt also genauso wenig wie ‹je günstiger, desto schlechter›. Aber: Ein T-Shirt, das nur wenige Franken kostet, wurde unmöglich fair produziert – Arbeitssicherheit, Löhne, die Umwelt leiden. Für eine gewisse Sicherheit sorgen hier Zertifikate wie Gots oder Oeko-Tex. Es kann sich ausserdem lohnen, vor dem Kauf eines Kleidungsstücks zu recherchieren, wie viel Verantwortung ein Modeunternehmen in diesen Punkten übernimmt.»
Nina Müller, CEO Jelmoli
«Wie erkenne ich eine Fälschung?»
«Es ist gar nicht so einfach, praktische Tipps zu geben – wie man eine Fälschung erkennt, hängt stark von der jeweiligen Marke und Produktkategorie ab. Allgemein gilt: auf die Typografie und das Logo achten. Und auf Details. Gefälschte Produkte werden produziert, um möglichst viel Gewinn abzuwerfen. Daher neigen ihre Macher dazu, die Qualität der wichtigsten Komponenten zu kopieren und die Details zu vernachlässigen. Es hilft also, das Gewicht von Metallteilen wie jenes der Reissverschluss- Schlitten zu prüfen. Auch die Gravur darauf sollte makellos sein. Last but not least ist es natürlich ratsam, bei einer Secondhand-Plattform wie Vestiaire Collective einzukaufen, bei der Expertinnen Kleidung und Accessoires auf ihre Echtheit prüfen.»
Victoire Boyer Chammard, Head of Authentication Worldwide beim Online-Secondhandshop für Luxusartikel Vestiaire Collective
«Wer bestimmt, welche Farben Trend werden?»
«In der Mode sind das die grossen Modehäuser wie Dior und Balenciaga. Nach ihnen richten sich die Mainstream-Brands, also die preiswerten Modeketten und Highstreetlabels, und ausgenommen von ein paar kleinen, avantgardistischen Brands die ganze Modewelt. Als Textildesigner habe ich schon für viele der grossen Häuser Farbpaletten für Kollektionen erstellt, etwa für Dries Van Noten und Lanvin. Ich entwerfe aus vielen kleinen Stofffetzen in verschiedenen Farben eine Farblandschaft, schaue, ob sich die Nuancen gut kombinieren lassen. Dabei leiten mich hauptsächlich meine Fantasie und meine Intuition, ich beziehe meine Inspiration aber auch aus der Kunst, von Ausstellungen, Büchern, Musik und Filmen. Letztere Inspirationsquellen nutzt auch die Trendforschung. Sie lässt ausserdem Beobachtungen aus Wirtschaft und Politik in ihre Erkenntnisse einfliessen und schaut, was wir kreieren. Wenn ein Mainstream-Brand nicht selbst übersetzen kann, was er bei den Grossen sieht, dann bietet die Trendforschung eine gute Übersicht – als Instanz, die gewissermassen den (Farb-)Ton angibt.
Dennoch betrachte ich sie auch kritisch. Die Trendforschung schaut sich die gesamte globalisierte Welt an und verkauft dem italienischen Label dann die gleichen Trendfarben wie dem schwedischen – und schon sieht alles gleich aus, obwohl die Brands unterschiedliche Wurzeln haben. Auf die sollten sie vertrauen. Genau wie ein Designer auf seine Fähigkeiten. Es ist seine Aufgabe, visionär und verführerisch zu sein. Ich wehre mich gegen die Vorstellung, ein Designer sei nur Sammler, Filter, Gewichter. Sobald er aber für Mainstream-Brands arbeitet, bekommt er eine Farbkarte vorgelegt und soll sich danach richten. Dabei hängen Farben und Formen doch untrennbar zusammen. Auch das Material eines Kleidungsstücks ist entscheidend: Ein und dieselbe Farbe sieht auf Wolle komplett anders aus als auf Seide. Erst, wenn alles aus einem Guss kommt, wird es emotional und die Konsumentin fühlt sich angesprochen. So kommt es auch, dass ich nachschauen müsste, welche Farben das Pantone Color Institute zu den Farben des Jahres 2021 gewählt hat. Seine Entscheidung beeinflusst meine Arbeit als Designer in keinster Weise.»
Christoph Hefti, Textildesigner und Künstler
«Warum sind die Models in den Modemagazinen so dünn?»
«Superdünne Frauen mit Schatten unter den Augen waren in den 1990er-Jahren das Schönheitsideal schlechthin. Models, die Watte essen, um sich satt zu fühlen, die ständig in Ohnmacht fallen – und all die jungen Mädchen, die ihnen nacheifern; dem Vorwurf des Magerkults muss sich die Mode-Industrie stellen. Und doch: Vieles hat sich geändert. Nicht nur haben mehrere Länder Gesetze erlassen, die untergewichtige Models vom Laufsteg, aus der Werbung und aus Magazinen verbannen sollen. Zielführender und nachhaltiger noch beginnt sich das Schönheitsideal selbst zu ändern. In Kinderbüchern, der Werbung, Film und Musik und schliesslich auch in der Mode. Das war nie augenfälliger als in dieser Saison. Nicht mehr allein avantgardistische Indie-Brands, sondern auch etablierte Labels wie Jacquemus und Marni, ja sogar Traditionshäuser wie Chanel oder Versace präsentierten ihre Kollektionen an einer nie dagewesenen Vielfalt von Körpern – in Bezug auf Gewicht, Proportionen, Alter und Hautfarbe. Und was als Message weniger laut, aber für die Definition des Schönheitsideals noch wichtiger ist: Der Magerlook, der lang so angesagt war, ist auch bei vielen klassischen Models einer athletischen, gesunden Ästhetik gewichen.
Auch Modemagazine definieren das Schönheitsideal mit. Soll man also alle dünnen Models aus ihnen verbannen? Ich persönlich traue es der Leserin durchaus zu, dass sie den Modelkörper in einer Modestrecke als solchen einordnen kann. Ich bin darum nicht der Meinung, dass Models in jedem Fall dem Durchschnittsgewicht der Leserinnen entsprechen müssen. Aber die Vielfalt der weiblichen Körper abzubilden entspricht nicht nur dem Zeitgeist, sondern ist in erster Linie schön und interessant. Und oft eine Herausforderung. Denn mangels Alternativen definieren Samples, die die Labels für Modeproduktionen um die Welt schicken, die Konfektionsgrösse der Models. Und die passen sich den durchschnittlichen Körpermassen eines Models an: derzeit Grösse 36, Schuhgrösse 39 oder 40. Das ist keine Size Zero, aber auch kein Durchschnittskörper. Ob den Stylistinnen in Zukunft auch die Looks, die umwerfende Models mit kurvigen Körpern auf dem Laufsteg präsentieren, in genau diesen Grössen für Shootings zur Verfügung stehen? Wir würden es begrüssen.»
Barbara Loop, Lifestyle-Chefin annabelle
«Wie kann ich rasch erkennen, ob ein Kleidungsstück hochwertig produziert wurde?»
«Abgesehen von augenfälligen Fehlern wie offenen Nähten sollte die Konsumentin auf das Innenleben eines Kleidungsstücks achten. Wurde das Hemd mit einer Overlock-Maschine genäht oder hat es abgesteppte Kehrnähte? Overlock-Arbeiten sind nicht partout minderwertig, es wurde aber sicher weniger Zeit investiert. Bei Details wie Reissverschlüssen auf den Herstellernamen achten, man findet ihn oft auf dem Schlitten eingraviert. Für viele Produkte werden günstige Ykk-Reissverschlüsse verwendet. Wurde hingegen ein Riri verarbeitet, ist das ein sehr gutes Zeichen – ein Schweizer Produkt, das ewig hält. Auch sollte der Reissverschluss nicht von sich aus weiter abrutschen, wenn man ihn bis zur Mitte runterzieht, sondern einrasten. Noch wichtiger als die Optik ist die Haptik. Wer ein Kleidungsstück anfasst, merkt schnell, ob billiges oder hochwertiges Material verwendet wurde. Hundertprozentiger Kaschmir fühlt sich absolut weich an, keinesfalls artifiziell. Echte Seide können Laien dagegen nur schlecht von künstlicher unterscheiden, beide fallen ähnlich. Hier hilft ein Blick aufs Etikett.
Übrigens kann natürlich auch Polyester hochwertig sein, gerade in der Sportbekleidung. Wir raten also grundsätzlich von keinem Material ab. Aber Polyester gibt beim Waschen Mikroplastik ins Wasser ab. Genauso Wollpullover mit Acryl. Wer einen Pullover aus reiner Öko-Baumwolle kauft, kauft zwar nicht unbedingt hochwertiger, aber nachhaltiger. Und das geht für uns Hand in Hand. Auch Preis und Marke sind gute Indikatoren. Bei einem T-Shirt für zehn Franken wurde definitiv kein hochwertiges Material verwendet. Ein hochwertig und fair produziertes Baumwoll-T-Shirt kostet gut und gern hundert Franken. Und: je spezialisierter eine Marke, je übersichtlicher ihr Sortiment, desto höher meist die Qualität. Vielfach sind es die kleinsten Labels, die sich am meisten Mühe geben.»
Corinne Grüter, Inhaberin, und Rebecca Ammann, Designerin und Mitarbeiterin Conceptstore Set & Sekt Basel
«Warum sind es hauptsächlich Männer, die Frauenmode entwerfen?»
«Zunächst einmal muss ich relativieren: Es gibt jede Menge Frauen, die für Frauen designen: Vivienne Westwood, Maria Grazia Chiuri, Stella McCartney, Mary-Kate und Ashley Olsen für The Row. Gerade jetzt erleben wir eine Diversitätsexplosion in der Branche. Eine Sache unterscheidet Designerinnen aber von Designern: Sie sind diskreter. Umgekehrt existiert der Stereotyp des schwulen Überdesigners, der weit mehr Aufmerksamkeit erhält als seine Entwürfe. Marc Jacobs, Tom Ford, Karl Lagerfeld, alles drehte sich um sie. Ein Phänomen vor allem der 1990er- und 2000er-Jahre. So erklärt sich wohl die Diskrepanz zwischen meiner Wahrnehmung und der öffentlichen. Und warum designe ich nun Frauen- und nicht Männermode? Es klingt vielleicht albern, aber eine Frau zu kleiden ist schon rein anatomisch viel spannender, herausfordernder. Frauen haben Kurven, Hüfte, Taille, du musst die Brust einpassen. Ich arbeite wie ein Skulpteur. Mich selbst zu kleiden interessiert mich nicht. Ich sehe mich ja jeden Tag. Ausserdem: I don’t dress men, I undress them.»
Kévin Germanier, Schweizer Designer in Paris
«Warum produzieren noch immer so viele Modelabels unfair und umweltschädlich – auch Highend-Marken?»
«Sie tun das aus Gier. Genau wie alle anderen Industrien, die in ausbeuterischen Betrieben im Ausland produzieren oder anderweitig Kosten sparen. Es ist billiger, in Sweatshops zu produzieren, es ist billiger, die Umwelt zu verschmutzen. Es bedeutet höhere Gewinnmargen und mehr Geld in den Taschen der Führungskräfte und Aktionäre. Viel Geld. Von den fünfzig reichsten Menschen der Welt besitzen sechs ein Modeunternehmen. Das sagt eigentlich schon alles. Die einzige Zeit, in der die Mode-Industrie respektvoll mit den Arbeiterinnen und Arbeitern umging – sie gut behandelte und gut bezahlte – war Mitte des 20. Jahrhunderts, als vielerorts Arbeitsgesetze verabschiedet wurden, die eine geregelte Arbeitswoche, einen anständigen Mindestlohn sowie bezahlte Überstunden und Ferien garantierten. Die Einhaltung dieser Gesetze wurde in den Fabriken von den Gewerkschaften überwacht. Doch dann kamen Handelsabkommen wie Nafta und die Globalisierung, und die Unternehmen verlagerten ihre Produktion in Entwicklungsländer, wo es wenig oder keine Aufsicht gibt. Der einzige Weg, das zu korrigieren, ist Regulierung. Man müsste die Fabriken in den Entwicklungsländern zwingen, höhere soziale und ökologische Standards einzuhalten, die Brands, entsprechend Verantwortung zu übernehmen – oder die Produktion wieder nach Europa zu verlagern. Wie ich in meinem ersten Buch «Deluxe: How Luxury Lost Its Luster» schreibe, ist es nämlich nicht das Ziel grosser Marken – Highend oder Lowend –, schöne Kleidung herzustellen, sondern schöne Gewinne einzustreichen. Ohne Regulierung ist ihnen jedes Mittel recht, dieses Ziel zu erreichen.»
Dana Thomas, Autorin des Buches «Fashionopolis: The Price of Fast Fashion and the Future of Clothes»
«Warum wiederholen sich Trends?»
«Sehen wir uns den Buffalo-Sneaker an, der in den letzten Jahren sein Revival feierte. Er hat sich in den Neunzigern vom Trend einer Subkultur, der Technoszene, zum Mainstream-Schuh entwickelt, bis ihn die Menschen irgendwann nicht mehr sehen konnten. Ein Modetrend hält sich oft nicht länger als fünf Jahre. Erst wenn er aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist, kann er wiederkommen. Irgendwann sehnen sich die Menschen nach dem Lebensgefühl, das ein Kleidungsstück oder Accessoire transportiert. Beim Buffalo ist es das Freiheitsgefühl der Neunziger. Danach lechzt heute jene Generation, die mit Birkenstocks aufgewachsen ist, die ein nachhaltiges, bewusstes Leben führt. In Krisenzeiten wie diesen will sie der Erde nicht mehr so nah sein, ihr nicht in f lachen Schuhen begegnen, sondern mit etwas mehr Distanz. So kehren in der Mode die Absätze zurück – keine wackeligen Stilettos, sondern massive Blockabsätze oder Plateaus wie beim Buffalo. Mit ihnen stehen wir über den Dingen. Und nicht zuletzt bedeutet Abstandhalten gerade Schutz.
Bald werden auch die 1920er zurück sein, die Frisuren, Kopfbedeckungen. Die Taille verschiebt sich mehr und mehr nach unten, wie wir das diese Saison bereits auf dem Laufsteg gesehen haben; etwa als Cutouts, Ausschnitte in der Kleidung, die den Blick freigeben auf die nackte Haut oberhalb der Hüfte. Nicht nur, weil wir erneut die Zwanzigerjahre schreiben, sondern wegen der Parallelen zu damals und des Lebensgefühls jener Jahre. Vor etwas mehr als hundert Jahren herrschte Krieg, die Spanische Grippe wütete. Auf die Krisenzeit folgten die Roaring Twenties. Wir selbst haben in den letzten Jahren einen asketischen Lebensstil im Sinne einer Nachhaltigkeit angestrebt, hinzukommt die unfreiwillige Enthaltsamkeit aufgrund der Pandemie. Ist die Krise überstanden, werden wir unbeschwerter leben, ausgelassener. Aber nicht ganz so ausgelassen wie damals – schliesslich wiederholen sich Modetrends zwar in ihrer Ästhetik, bedeuten aber nie genau dasselbe, weil auch die Welt nicht mehr dieselbe ist. Weil sie gekoppelt sind an unser Werteverständnis und an langfristige Megatrends wie eben Nachhaltigkeit und Gesundheit.»
Bitten Stetter, Professorin für Trends & Identity an der Zürcher Hochschule der Künste