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Warum ich nirgendwo besser abschalten kann als bei TK Maxx

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Warum ich nirgendwo besser abschalten kann als bei TK Maxx

Andere setzen auf Yoga oder Meditation, unsere Autorin Jana Schibli aber findet im Chaos zu sich: Im Fashion-Discounter TK Maxx.

Ich kenne einen Ort, dort leuchtet es von oben grell herab. Die im Hintergrund trällernden Top-50-Popcharts werden unregelmässig von Durchsagen unterbrochen, die einen zur «Schatzsuche» animieren. Gedämpft wird der Schall von Unmengen an Kleidern: Sie hängen schräg an Bügeln, liegen verwaist am Boden und sind an den Ständern manchmal so dicht gedrängt, dass man kaum ein stark heruntergesetztes Calvin-Klein-Oberteil herausmanövrieren kann, ohne dass gleich drei weitere mitkommen. An diesem Ort finde ich Klarheit.

Vergesst Yoga, Ausmalbücher für Erwachsene und die gut gemeinten Achtsamkeitsübungen, die mir mein Vater seit Jahren anzudrehen versucht! Wenn ich einen schlechten Tag habe, wenn ich überfordert bin oder vor Angst gelähmt, dann ist die effektivste Kur für mich ein Besuch im TK Maxx. Die Läden des Off-Price-Händlers in Europa, Australien und den USA (wo sie 1976 gegründet wurden und TJ Maxx heissen) sind vollgestopft mit Markenmode und -kosmetik zu stark reduzierten Preisen, die vorwiegend aus Restposten von Herstellern und anderen Händlern stammen.

Hier landen die Produkte, die niemanden von sich überzeugen konnten

Artikel vom Prada-Laufsteg reihen sich neben Zara-Tops; das kalkulierte Chaos und ein sich ständig änderndes Sortiment sollen zum Kauf animieren. Nicht mit einkalkuliert war wohl, dass TK Maxx zu meinem rot-weiss leuchtenden Notfall-Therapeuten werden würde. Eine Situation in meinem Kopf so oft durchstudiert, dass ich oben nicht mehr von unten unterscheiden kann? Ab in den TK Maxx, wo ich sehr wohl in Gut (die Satinsandalen von Miu Miu) und Böse (die Sockensneakers von Acne Studios) einteilen kann. Das Gefühl, unerwünscht zu sein? Im Discounter bin ich in bester Gesellschaft, denn hier landen die Produkte, die niemanden von sich überzeugen konnten.

Andere gehen ins Gym, ich jongliere Discount-Kleider

Verwurstete Gedanken und pochende Kopfschmerzen haben kaum eine Chance gegen das Wuseln meiner Hände in Kleiderbergen, das Fixieren meiner Augen auf einen verheissungsvollen Artikel, das Berühren von weichen Stoffen, harten Schuhabsätzen und abgenutzten Schachteln. Andere gehen ins Gym, ich jongliere Discount-Kleider. Das ist nicht «retail therapy» im ursprünglichen Sinn, wo das Dopamin der Schatzsuche einen Kaufrausch auslöst. Ich kaufe selten etwas. Statt mit einer Tasche voll mit Impulskäufen komme ich mit einem gelüfteten Kopf durch die automatischen Glastüren heraus. Es wird euch vielleicht wundern, aber ich bin weder die Einzige, noch die Erste.

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Ein wohltuendes Nirgendwo, in dem alles bedeutungslos wird

«Je ungezähmter desto therapeutischer», beschrieb Autorin Judith Thurman 1996 in der «New York Times» ihre regelmässigen Expeditionen, die sie durch die Brockis und Discounter von Manhattan führten. Schauspielerin Zawe Ashton schrieb 2017 im «Guardian», nur ein Besuch im TK Maxx könne sie vor einem Vorsprechen beruhigen. Auf Tiktok boomen Videos von Menschen jeden Alters, die sich durch solche Läden wühlen und es Therapie nennen. Deren immer ähnliche Einrichtung und generelle Schmucklosigkeit («erwarten Sie in unseren Läden keine ausgefallenen Extras», warnt TK Maxx auf der Website) machen sie zum wohltuenden Nirgendwo, in dem alles bedeutungslos wird und nur der nächste Fund zählt.

Wenn sich das für euch wie die Hölle anhört: Ähnlich wie beim Koriander suggerieren Zwillingsstudien, dass es Gene gibt, die die Schnäppchenjagd entweder zum Genuss oder zur Tortur machen. Noch grösser soll aber der Einfluss der Eltern und der Kindheit sein. Bingo! Ich bin mir sicher, dass ich mir meine Discounter-Obsession in den langen Sommerferien eingefangen habe. Meine Familie verbrachte sie jeweils bei den amerikanischen Grosseltern in einer Kleinstadt in Wisconsin.

Wenn die feuchte Hitze meine Schwester und mich zu erdrücken drohte und unsere Fingerkuppen vom vielen Baden ganz schrumpelig waren, fanden wir in den heruntergekühlten Hallen der Secondhandkette Goodwill Freiheit. Klar, es musste uns jemand hinfahren. Aber einmal da, lockten Unmengen an bezahlbaren Kleidern, Selbstständigkeit, Geschichten. Und die Möglichkeit, uns damit neu zu erfinden. Wenn auch nur für ein paar Stunden.

Später, als bei der sommerlichen Lektüre der «Teen Vogue» die Namen und Bilder unzähliger Modelabels meinen Kopf füllten, lockten mich Schriftzüge mit grossen Versprechen («Huge Savings!») in den lokalen TJ Maxx. Meine Grossmutter reagierte entsetzt, als ich den Konsumtempel als Teenager mit einem weissen Bucket Bag von Marc by Marc Jacobs verliess. Siebzig Dollar, für eine Tasche? Ich erklärte ihr freudig, dass sie ursprünglich über 300 Dollar gekostet hatte. Und sowieso, sie war viel mehr als nur eine Tasche. Es half nicht.

Meine Passion für Discounter blieb eine treue Begleiterin – auch bei Heimweh

Die weisse Tasche liess ich zuhause, als ich mit 19 aus der Schweiz nach London zog, um Modejournalismus zu studieren. Meine Passion für Discounter hingegen blieb eine treue Begleiterin. Wenn ich Heimweh hatte, mischte ich mich zur Ablenkung unter die Menschenmengen an der Oxford Street und betrat den TK Maxx, von dessen Auswahl man in Wisconsin nur träumen konnte. Dann die Filiale in Covent Garden, die an der Charing Cross Road und die in South Kensington.

Nach besonders brutalen Kritiken von unseren unverblümten Professor:innen trafen meine Mitstudierenden und ich uns dort, um Trost und vielleicht ein Schnäppchen zu finden. Und das taten wir: in samtenen Halbschuhen von Dries Van Noten, einige Grössen zu klein. In bizzaren Jeggings-Shorts, deren gesamte Existenz fragwürdig war. In violett-weissen Sneakers, die aussahen wie Gesundheitsschuhe, die aber keineswegs gesund waren für meine Füsse und die ich trotzdem zu Tode trug. Noch öfter fanden wir aber Gründe, unsere Liebe zur Mode – und der Industrie dahinter – zu hinterfragen.

Die roten Etiketten haben die Macht, High Fashion zurück auf den Boden zu holen

Denn so sorgfältig wie Luxuslabels mit aufwendigen Shows, reich beschenkten Berühmtheiten und von preisgekrönten Architekt:innen designten Geschäften Sagen um ihre Produkte weben, so schnell werden diese im Discounter entzaubert. Die klebrigen roten Etiketten haben die Macht, High Fashion zurück auf den Boden zu holen. Ihrer natürlichen Umgebung entrissen und auf wackelnde Gestelle verbannt, müssen teure Handtaschen mehr tun, um ihren noch immer stolzen Preis zu rechtfertigen: Sie müssen gut sein oder zumindest interessant, oder sie müssen einem wahnsinnig gefallen. Natürlich ist die Kraft einer Marke nicht zu unterschätzen.

Modebesessene Teenager (und Erwachsene) mit fragwürdigem Geschmack wird es immer geben. Trotzdem bin ich überzeugt, dass das harsche Licht des TK Maxx einen anderen, neutraleren Blick auf Markenmode erlaubt. Nicht umsonst würden einige Labels wie 2017 im Fall von Burberry lieber Produkte verbrennen, als sie in einem Discounter zu sehen. Zu gering die Kontrolle, zu gross der Imageschaden.

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Ein kompletteres Bild einer oft undurchsichtigen Modewelt

Mit der Zeit wurden meine regelmässigen Besuche im TK Maxx immer mehr zu Recherche-Reisen. Wirklich! Klar, eine überteuerte Duftkerze kam ab und zu schon mit nachhause. Die bordeauxrote Ledertasche mit einem Knoten im Henkel von Isabel Marant, die ich für mickrige hundert Pfund kaufte (statt 950, Grandma!) und noch immer trage, auch. Denn neben der Ruhe, die mir der Discounter verschafft, fand ich dort auch modische Klarheit. Mein Geschmack verfestigte sich, und das Wühlen im Abfall von teuren Warenhäusern und in Produkten, die gar nie eine Ladenfläche erblickt hatten, schenkte mir ein kompletteres Bild einer oft undurchsichtigen Modewelt. Diese Dinge waren irgendwo aus dem durchgetakteten Rhythmus der Modeindustrie gefallen und bedurften gerade deswegen Beachtung.

Ich würde mir gern einreden, dass es deshalb umweltbewusst ist, zumindest einen Teil seiner Garderobe beim Discounter zu holen. Wer sonst sollte den armen, abgeschriebenen Kleidern eine zweite Chance geben? Das klappt aber nur, wenn man seine kognitive Dissonanz grosszügig ignoriert. Denn erstens mischen sich unter die Restposten Produkte, die von den zahlreichen Eigenmarken von TJX Companies, dem Besitzer von TJ und TK Maxx, extra für diese hergestellt wurden. Zweitens beziehen sich die Klimaziele des Konzerns nur auf seine direkten Operationen, heisst: Die Herkunft der erworbenen Restposten wird nicht berücksichtigt. Die Rückverfolgung der ökologischen und ethischen Herstellungsbedingungen ihrer Produkte ist mühsam und manchmal unmöglich. Einzig auf die Marken zu achten, kann helfen: Stella McCartneys nachhaltige Designs zum Beispiel sind im TK Maxx keine Seltenheit. Nicht, dass das Label das publizieren würde.

Egal, wie man es dreht: Überproduktion ist die Existenzgrundlage von TJ und TK Maxx

Denn egal, wie man es dreht: Es gibt den TJ und TK Maxx nur, weil es zu viel von fast allem gibt. Überproduktion ist seine Existenzgrundlage. Das gilt besonders für die Mode mit ihren immer kürzer werdenden Trendzyklen. Laut Analysen der Unternehmensberatung McKinsey & Company werden vierzig Prozent der weltweit produzierten Kleider weit unter dem Marktwert verscherbelt. Es darf angenommen werden, dass ein nicht unbedeutender Teil davon ungetragen im Müll landet.

In der Schweiz gibt es keinen TK Maxx. Hierzulande begnüge ich mich mit Brockenstuben und dem Instagram-Account @tkfashun, der in Londons TK Maxxes die besten High-Fashion-Objekte aufspürt und postet. Ich mache mir nichts vor: Der Discounter braucht mich, seine schlechte, aber treue Kundin (oder Patientin?), nicht. Die Zukunft sieht rosig aus für Off-Price-Ketten.

In schwierigen Zeiten gedeihen sie, wie die Erfolge von TJX Companies nach der Wirtschaftskrise 2008 zeigten. Dazu treffen Bestellungen aus diversen Stadien der Pandemie aufgrund von Lieferengpässen erst jetzt in den Lagerhäusern grosser Händler ein. Das ist Ware, die niemand mehr für den vollen Preis kaufen will. Ware, die viele Läden am liebsten «wegwünschen und verschwinden lassen würden, wenn das denn ginge»,wie der CEO des US-amerikanischen Einzelhandelskonzerns Walmart im Juni beschrieb.

Stattdessen werden grosse Teile davon in den Filialen von TJ und TK Maxx landen. Und wir Maxxinistas, wir Maxximalists, wir Maxxaholics oder wie wir uns sonst noch so nennen – wir werden sie auf silbernen Kleiderständern hin- und herschieben, darin und dazwischen Antworten suchen und sie manchmal sogar finden.

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Stallone

Mir geht es ganz genauso. TJ Maxx und Marshall’s bei den Großeltern in Texas kennengelernt und in Deutschland regelmäßig mit meiner Mutter als Freizeitaktivität zu TK Maxx gefahren. Auch bzw. gerade dann, wenn man nichts kauft, beruhigt es auf seltsame Weise.