Habe ich eine schöne Flasche Bordeaux, oder noch besser ein ganzes Kistlein, stelle ich diese an den besten Ort im Keller. Ich werde mich hüten, sie allzu oft zu bewegen, aber jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe, streichen meine Finger kurz darüber. Dabei denke ich an den Anlass, bei dem ich diesen Wein öffnen werde. Und daran, wie köstlich er schmecken wird. Und so geniesse ich den Bordeaux unzählige Male, bevor ich die Flasche überhaupt entkorke. Natürlich sind meine Träume nicht halb so gut, wie diese vollmundigen, körperreichen, herzerwärmenden Tropfen in Wirklichkeit schmecken. Es gibt etliche Gründe, warum man Bordeaux en primeur* kauft. Ein Motiv: Man bezahlt schlichtweg mehr für die Flasche, wenn sie dann endlich im Laden steht – wenn sie es überhaupt in den Laden schafft. Ich mache es, weil ich süchtig nach der Vorfreude bin. Ich bezahle die Subskription – und weiss nicht, wann die Weine zu mir geliefert werden. In zwei Jahren? Es bitzli früher? Bis dahin werde ich jedes Mal Herzklopfen haben, wenn ein DHL-Lieferwagen durch meine Strasse fährt.
*Jedes Jahr, etwa Anfang April, degustieren die Winzer der Bordeaux-Weingüter zusammen mit Spezialisten die im vergangenen Herbst verarbeitete Ernte. Zwischen Mai und Juli geben die Chateaux dann die Preise für die degustierten Jungweine bekannt. Die Liste der Bordeaux Primeurs in Subskription wird dann gegen Ende Juni, Anfang Juli publiziert – die Weine können nun gekauft werden. Subskribierte Primeur-Weine sind innert 30 Tagen zahlbar und werden zwei Jahre später im Frühjahr, nach der Flaschenabfüllung, geliefert.
Shirley-Ann Amberg ist Sommelière im Haus Hiltl.