Viele Labels lancieren heute gleich viermal im Jahr neue Mode: Zwei Haupt- und zwei Zwischenkollektionen. Weil wir plötzlich doppelt so viel Kleider brauchen?
Die sogenannten Precollections sind die grosse heimliche Veränderung der Modezyklen. Zwar konzentrieren sich die Fashion Weeks noch immer auf zwei Termine im Jahr, und diese Hauptsaisons – Frühling/Sommer und Herbst/Winter – setzen die wichtigsten Trends. Nur hat sich die Verbreitung dieser neuen Trends so rasant beschleunigt, dass das Neue sehr schnell allzu bekannt aussieht. Die Winterkollektion etwa: Sie wird im Frühjahr auf den Schauen in London, New York, Mailand und Paris gezeigt. Parallel dazu bringen die massgeblichen Modeblogs Laufstegbilder aus der Frontrow, erste Tendenzen werden zusammengefasst. Im Spätsommer hängen die ersten Wintermäntel in den Fenstern, und wenn man die seit drei Monaten ausgestellten Sachen erstmals anziehen kann, haben sehr Modebewusste bereits das Gefühl, es wäre langsam Zeit für etwas neues Neues.
Genau dieses Neue bringen die Precollections. Sie bringen es nur stiller als die Hauptkollektionen, abseits der grossen Catwalks. Zwei Monate vor den internationalen Modewochen werden die Vorkollektionen in kleinem Rahmen und vor Fachpublikum präsentiert, viele in New York, die anderen in Paris oder Mailand. Und mit diesem Zweimonatsvorsprung kommen sie auch in den Handel: die Cruise Collection – oder, wie sie auch genannt wird: Resort – im Frühwinter sowie die Prefall Anfang Sommer.
Nicht lange warten
Der grösste Unterschied zu den Hauptkollektionen ist jedoch: Die Precollections sind zum Sofort-Anziehen gemacht. Wear-now-Kollektionen nennt sie deshalb Albert Kriemler, der Chefdesigner von Akris. Das St. Galler Label mit internationaler Klientel fertigt seit 2002 Cruise- und Prefall-Kollektionen, damals noch in kleinem Umfang. Heute machen die Pre-Kollektionen bereits bis zu vierzig Prozent der Saison-Aufträge aus. «Am Anfang entwickelten wir die Cruise Collection ausschliesslich für Kundinnen, die in südlich-tropische Gegenden der USA in die Ferien fuhren, nach Monte Carlo oder Asien», so Albert Kriemler. Der Kreuzfahrtgedanke, dem sich die Cruise Collections ursprünglich verdanken, liefert mittlerweile nur mehr die Inspiration für Farben und Stoffe. Heute ist die Cruise Collection auch für diejenigen eine Wear-now-Kollektion, die im Winter daheim bleiben.
Bei den Zwischenkollektionen rückt vor allem eine Qualität der Mode in den Vordergrund: die Tragbarkeit, jahreszeitenunabhängig, rund um das Jahr. «Neu und leicht ist das Credo für die Pre-Kollektionen. Kleider, die man wirklich braucht für die Arbeit, Lunch oder Dinner, für ein kleines oder grösseres Fest oder in der Freizeit und auf Reisen», sagt Albert Kriemler.
365 Tage Mode
Susanne Botschen, Inhaberin des Fashion-Online-Store Mytheresa.com, fasst es so zusammen: «Die Zwischenkollektionen bieten die perfekte Möglichkeit, die Wünsche der Kundinnen auf allen Kontinenten und 365 Tage im Jahr zu erfüllen. Sie sind aus dem Handel nicht mehr wegzudenken.» Nicht nur bilden die Precollections die perfekte Basisgarderobe, darüber hinaus seien sie «easier to wear», zugänglicher, weniger explizit modisch als die Hauptkollektionen. Und sie bieten Abwechslung in der Zeit zwischen den Maincollections – was nicht nur den immer besser informierten Kundinnen, sondern auch dem Verkauf sehr willkommen ist: «Der Modezyklus von zwei Saisons wird dem schnellen Zeitgeist heute nicht mehr gerecht.» Bei Mytheresa.com, so Susanne Botschen, zeige sich dies allein schon daran, dass sich die Zeitspanne zwischen Wareneingang und Verkauf der Ware in den letzten Jahren «rasant verkürzt» habe.
Das wiederum liegt schlicht daran, dass die modeaffinen Kundinnen die neuen Kollektionen bereits kennen. Treffen die dann ein, wollen die Kundinnen sichergehen, dass sie ihr Lieblingsstück noch bekommen – und auch bei den Ersten sind, die es tragen. Längst ist es zu einer Verschiebung der Kollektionsrhythmen gekommen: Die Winterkollektion trifft bereits im Hochsommer ein, die Sommerkollektion Ende Winter. Da ist diese Ungeduld: Wann kommen sie endlich, die Entwürfe, die man doch schon überall in den Blogs, auf Style.com und in den Trendvorschauen gesehen hat? Und diese Ungeduld hat natürlich auch mit der sogenannten Fastfashion zu tun: mit Modeanbietern wie Zara und H&M, bei denen pausenlos neue Ware eintrifft. Die Produktionszyklen – also die Zeitspanne vom Entwurf eines Teils bis zur Produktion und der Auslieferung in die Läden – liegt dort mitunter bei nur drei Wochen. Neue Trends können sofort aufgenommen werden, was wir gestern auf dem Laufsteg gesehen haben, können wir bereits morgen selber tragen. Das erwarten wir mittlerweile auch von unserem Designer und unserer Boutique. Und die ziehen nun mit den Zwischenkollektionen nach.
Modische Vorboten
Die haben für die Designer noch eine weitere Funktion: Sie sind modische Vorboten der nächsten Saison und verbinden die aktuelle Kollektion mit der kommenden. Die Cruise Collections 2012 nehmen Motive der Herbst/Winter-Kollektionen 2011/12 auf – und bereiten die Sommerkollektionen 2012 vor. Bei Prada zum Beispiel setzt sich die Sechzigerjahre-Anmutung der Winterkollektion in der Cruise Collection derart fort, dass diese fast schon in die Fifties zurückgeht – und eben jene pastellige Sweetness vorwegnimmt, welche die darauf folgende Sommerkollektion prägt. Bei Gucci bildet die Cruise Collection 2012 einen Übergang von den Siebziger-Shapes der Winterkollektion zu den architektonisch inspirierten Silhouetten der Sommerkollektion 2012. Und bei Thakoon helfen die leichten Folklore-Anklänge der Cruise beim Übergang von einem halb ethnischen, halb kostümhistorischen Thema zum anderen: von Marie Antoinette meets Massai der Winterkollektion zum Western meets Bollywood des nächsten Sommers.
Der Zweimonatsvorsprung der Precollections freut auch den klassischen Handel, nicht nur, weil sie mehr Abwechslung ins Sortiment bringen: «Die Precollections sind aus einem einfachen Grund sehr wichtig: Die Ware ist länger im Geschäft», sagt Grieder-Geschäftsführer Franco Savastano. In den Sale kommen die Vorkollektionen gemeinsam mit den Hauptkollektionen: Die Geschäfte haben also zwei Monate länger Zeit, die Ware zum regulären Preis zu verkaufen. Die Nachfrage nach den Precollections sei gross: Im Schnitt, so Savastano, entfallen vierzig Prozent des Budgets auf die Vorkollektionen. Die Kundin sei heute viel besser und früher informiert über Trends. Darüber hinaus, sagt Savastano, hätten wir uns an das schnelle Tempo des modischen Wechsels gewöhnt: «Die Precollections bringen die Frische ins System, nach der wir gesucht haben.» Dennoch: Dass die Precollections die Hauptkollektionen einmal an Bedeutung überholen werden, das glaubt Franco Savastano nicht. «Vom Schnitt her, von den Farben, sind die Maincollections interessanter. Die Precollections sind kommerzieller.»
Das modische Statement gibts während den Schauen
Die Hauptaussage eines Modehauses wird also noch immer während der Schauenwoche gemacht. Dennoch ist die Idee der Vorausschau so bestechend, dass sie nun sogar beim Fastfashion-Anbieter H&M umgesetzt wird – obwohl es dort die grosse Saison-Unterscheidung in Frühling/Sommer- und Herbst/Winter-Kollektion gar nicht gibt, denn H&M bekommt täglich Ware. Trotzdem ist seit etwa einem Jahr auch dort «der Pre-Gedanke» massgeblich. So werden etwa einige der Looks für den nächsten Sommer – kräftige Farben, in Colorblocking gegen Weiss gesetzt – aus winterlichen Stoffen bereits jetzt umgesetzt.
Und schliesslich, ganz schlicht: Die Precollections sind schon deshalb das bevorzugte Material für die Basisgarderobe, weil sie meist etwas günstiger sind als die Hauptkollektionen. Mögen die Precollections, weil sie modisch zahmer daherkommen, auch keine ernsthafte Konkurrenz zu diesen sein, vielleicht werden sie es ja für die Sales? Eine neue Formel jedenfalls wurde schon gefunden: Smart Girls shop Pre.
1.
2.
3.