annabelle-Redaktorin Barbara Loop über amerikanische Tabus und Kampfansagen in der Mode.
Unbeholfen posieren leicht bekleidete Teenager für die Kamera und antworten schüchtern auf intime Fragen aus dem Off. Journalisten verglichen den Calvin-Klein-Werbespot mit der Eröffnungsszene eines Pornos, das FBI leitete eine Untersuchung wegen Kinderpornografie ein, und selbst Präsident Bill Clinton geriet in Wallungen.
Das geschah in den Neunzigern, und das Label war längst Zielscheibe fundamentaler Christen und Moralisten. «Nichts kommt zwischen mich und meine Calvins», beteuerte zuvor die erst 15-jährige Brooke Shields im Werbespot für CK-Jeans. An Kate Moss’ dünnem Körper, der verschmierten Mascara und dem glasigen Blick entzündete sich eine Debatte um den Heroin-Chic. Und die übermächtigen Körper von Stabhochspringer Tom Hintnaus und Mark Wahlberg machten die CK-Unterhose zur US-Sex-Ikone.
Dass die CK-Kampagnen Amerikas Tabus und Widersprüche spiegeln, weiss auch Raf Simons. Für die CK-Underwear-Kampagne verpflichtete der neue Creative Director nicht nur mehrere schwarze Schauspieler des LGBT-Dramas «Moonlight», sondern auch die 73-jährige Lauren Hutton. Dieses Statement für Diversität von Geschlecht, Alter und Sexua- lität ist für das konservative Amerika ein grösserer Affront als die halbnackten Teenager von früher.
Und dann ist da die American-Classics-Kampagne: Die Models posieren vor US-Gegenwartskunst. Die Gesichter abgewandt, präsentieren sie Jeans und Unterhosen aus dem Calvin-Klein-Archiv. Raf Simons würdigt in seiner ersten Ready-to-Wear-Kollektion für das Label US-Mode und in der ersten Kampagne die US-Kunst: Er hat die Kollektion im Hinterland fotografieren lassen, vor Werbetafeln der American-Classics-Kampagne. Brav ist das nur auf den ersten Blick. Denn in einem Amerika, in dem Dirty Talk die Sprache der Politik ist und Provokation die einzige Regierungsstrategie, ist das Hochhalten differenzierter Sichtweisen, wie in der Kunst, die grösste Kampfansage.