Stil
Trendwende in der Mode: Designer setzen auf Minimalismus statt Opulenz
- Text: Silke Wichert; Fotos: Imaxtree.com
Opulenz war gestern – die Designer haben den Minimalismus neu entdeckt. Doch fast alles ist anders als beim unterkühlten Clean Chic der Neunzigerjahre. Hintergründe einer Trendwende.
Vergangene Saison waren es die Fünfziger. Und ein bisschen die Achtziger. Nicht zu vergessen die Siebziger. Die Siebziger dürfen sowieso andauernd zurückkehren. Wenn einem gerade nichts Besseres einfällt – ein paar weite Hosen, Schluppenblusen, Schlapphüte tun es immer. Und jetzt? Welche Dekade holen die Designer für Frühling/Sommer 2013 aus den Archiven? Marc Jacobs’ radikal zurückgefahrene Kollektion war ein erstes deutliches Zeichen, von Jil Sander war nichts anderes als cleanes Design zu erwarten, aber spätestens als selbst das für seine eigenartigen Muster geliebte Label Marni viel A-Linie in monochromen, festen Stoffen zeigte, war klar: Der Minimalismus kehrt in die Mode zurück.
Erster Reflex: ein Neunzigerjahre-Revival also. Aber ganz so offensichtlich ist es diesmal dann doch nicht. In den letzten Jahren haben wir uns so sehr daran gewöhnt, dass die Designer vor allem und immer schneller recyceln, dass wir eher nach Referenzen suchen und sofort die nächste Retro-Welle ausrufen, statt echte Innovationen zu erwarten. Doch diese Saison gibt es neben viel Bekanntem tatsächlich auch viel Neues zu entdecken. Mode, die sich modern anfühlt, klare Aussagen macht, statt lange drum herumzudekorieren, die keinen Anlass braucht, sondern einfach funktioniert, sogar im normalen Leben. Ein neuer Minimalismus eben. Und die beste Nachricht: Das alles ist so schön einfach, wie es klingt.
Farbe & wilde Muster waren gestern
Eigentlich war dieser Trend absehbar. Hinter uns liegen gefühlte endlose Saisons voller Farbe, Dekoration und wilder Muster, in denen Parolen wie «colour up your life!» so oft bemüht wurden, bis selbst heterosexuelle Männer sich an Bananen-Shirts vergriffen. Das waren lustige Zeiten voller Experimente und gewagter Kombinationen, Neon durfte wieder sein, und sogar die Jeans waren alles, nur nicht mehr blau. Aber irgendwann sehnte man sich insgeheim danach, man möge nicht noch mehr sattes Rot und wilde Tapetenprints serviert bekommen, sondern zur Abwechslung auf strenge Farbdiät gesetzt werden.
Ein Kleid in schlichtem Crèmeweiss? Der Gedanke erschien beinahe unerhört verrückt. Einem Grossteil der Designer (oder deren Kundinnen) ging es offensichtlich ähnlich. Geht es nach Phoebe Philo von Céline, werden wir im Frühling also fast ausschliesslich Schwarz und Weiss tragen, nur ein blassrosafarbenes Seidentop verirrte sich bei ihr auf den Laufsteg. Jil Sander und Calvin Klein betreiben ähnliches «palette cleansing», eine Art Entrümpelung der Farbpalette, Schwarz-Weiss ist eigentlich überall ein Thema.
Schwarz für den Sommer
Miu Miu zeigte neben viel Schwarz vor allem viel dunkles Denim – wohl eine der düstersten Sommerkollektionen aller Zeiten, und das von dem Label, das, wir erinnern uns, nur eine Saison zuvor noch bunt bedruckte Hosenanzüge an uns sehen wollte. Es ist, als wollten die Designer reinen Tisch machen. «Was interessiert mich mein Gewand von gestern? Jetzt wird von vorn angefangen!» Und bei einigen Labels will man sagen: endlich auch wieder nach vorn geschaut.
In Raf Simons’ Prêt-à-porter-Debüt für Dior etwa finden sich natürlich bekannte Elemente wie das Barjackett und der ewige New Look wieder, der Lady-Dior-Bag bleibt auch im Programm, sonst wüsste die bislang eher an Romantik gewöhnte Dior-Kundin ja gar nicht mehr, wie ihr geschieht. Aber Simons ist der Letzte, der mit dem Wort Retro in Verbindung gebracht werden möchte. Seine kurzen Costumes, Smokings oder wie in Frischhaltefolie gewickelten One-Shoulder-Dresses wirken unter seiner bedingungslosen Geradlinigkeit so modern, dass man sofort einen Christopher-Nolan-Streifen damit ausstatten möchte, um diese Mode dauerhaft zu verorten.
Der kollektive Slogan
Ausgerechnet Jil Sanders grossspuriges, nur halb eingelöstes Motto zu ihrer ersten Damenkollektion für Jil Sander nach acht Jahren, «Return to Zero» – im Nachhinein könnte es geradezu als kollektiver Slogan funktionieren. Der Reflex ist also ganz ähnlich wie in den Neunzigern, als auf den ewigen Exzess mit noch breiteren Schulterpolstern und noch grösseren Frisuren eine bewusste «Weg mit allem»-Bewegung folgte, zu der Helmut Lang, Jil Sander und Miuccia Prada den perfekten Dresscode lieferten. Anzüge, klinisch weisse Hemdkleider, unscheinbare Nylon-Rucksäcke, zurückgegelte Haare. Streng war der Look, und er wurde von den meisten auch sklavisch befolgt. Ein bisschen Demut passte doppelt in die Zeit: Die Rezession Anfang der Neunzigerjahre liess den offen zur Schau gestellten Pomp der vorherigen Jahre erst recht irgendwie unpassend erscheinen, auf Achtziger-Bashing konnten sich bald alle einigen.
Die Mode jedoch beflügelte dieser Zwang zur Selbstreinigung geradezu, sie schaute stur in Richtung Moderne und erfand etwas so Einfaches wie Wegweisendes: den Minimalismus. Weniger mit mehr Substanz. Ein Top war nicht kilometerweit als teures Designerteil zu erkennen, war aber vielleicht trotzdem aus teurer Seide gefertigt und irgendwo mit einem winzigen, aber klugen Detail versehen. Die Belgier Martin Margiela und Dries van Noten führten aufgetrennte Nähte und ausgefranste Ränder ein (aktuell auch wieder bei Céline zu sehen) – radikales Understatement mit «unfertigem» Design, das natürlich, Rezession hin oder her, trotzdem ein Vermögen kostete.
Globale Mode
Da jetzt weniger ablenkte, mussten Material und Schnitt umso mehr überzeugen. Letztlich war hier auch von der Trägerin irgendwie mehr Haltung gefordert. Auch jetzt sind die Zeiten wieder turbulent. Der Nahe Osten kommt nicht zur Ruhe, viele Eurostaaten stecken in der Krise, den USA droht immer mal wieder der Staatsbankrott. Da dürfte eigentlich schon letzte Saison kaum jemand einen Gedanken an Brokatjacketts über Brokathosen mit orangengrossen Schmucksteinen verschwendet haben. Aber die Mode ist im Vergleich zu den Neunzigern sehr viel globaler geworden, und in den neuen Märkten wie China und Brasilien scheint der Nachholbedarf nach allem mit Swarovski-Besatz und eindeutigem Luxus ungebrochen.
Ohnehin gibt es bei den Schauen längst nicht mehr nur den einen grossen Trend, sondern viele Mikrotrends, die so viel miteinander zu tun haben müssen wie die Parolen der SP mit denen der SVP. Die aufwendig gearbeiteten Bottega-Veneta-Kleider, nietenbesetzten Valentino-Taschen oder Dolce & Gabbanas sizilianische Folklore-Prints fallen also nicht aus der Zeit, sie bedienen vielmehr den stilistischen Individualismus unserer Gesellschaft. Der neue Minimalismus wird keine unilaterale Massenbewegung werden wie sein Vorläufer in den Neunzigern, dafür eine von längerer Dauer.
Soft und feminin
Überhaupt ist der aktuelle Minimalismus sehr viel freigiebiger, softer, femininer. Die Silhouetten sind rund und fliessend. Die Seidenhosen und Seidentops mit Tülldetail von Céline will man nach dem Ausgehen unbedingt auch zuhause auf der Couch anbehalten, weil sie so herrlich gemütlich aussehen – ein Attribut, das bei der sonst so strengen Phoebe Philo geradezu revolutionär erscheint. Die Geburt ihres dritten Kindes habe sie mehr über «support» nachdenken lassen. Genau was diese Zeiten brauchen. Auch bei Marni oder Jil Sander lassen die Kleider genug Freiraum und sind dabei so fest und hochwertig aus Double Face oder festem Canvas gearbeitet, dass sie einem entspannt Halt verleihen.
Vermutlich sind auch deshalb so wenige Neunziger-Anzüge à la Helmut Lang unterwegs. Dem femininen Minimalismus ist das zu corporate, zu unbequem, zu steif, dann lieber ein monochrom tannengrünes Seidenpyjama von Marni mit den pelzausgelegten Sandalen von Céline tragen. Furkenstocks wurden diese Schuhe auf den Schauen getauft, und sie spiegeln den alten/neuen Spirit des gepflegten Understatements perfekt wider: Der Luxus wird scheinbar mit Füssen getreten, aber verzichten wollen die Frauen auch jetzt auf nichts. Es darf nur etwas weniger offensichtlich sein.
Acht Minuten bei LV
Das so unscheinbare dunkle Denim von Miu Miu etwa – natürlich ist es mit Duchesse-Satin gefüttert. Worum es jetzt wirklich geht in der Mode, brachte Marc Jacobs mit seiner Kollektion für Louis Vuitton am letzten Tag der Pariser Schauen auf den Punkt. Oder auf das Quadrat, wenn man so will: Die Models glitten paarweise still auf Rolltreppen hinab, von oben bis unten im Damier-Schachbrettmuster des Hauses gekleidet. Einzige Varianz des Themas: die Rocklängen midi, maxi, mini. Und dann war die Show nach gut acht Minuten auch schon wieder vorbei. Kein opulenter Event-Überbau in Form einer echten Dampflok oder eines Rösslikarussells, keine rauchende Kate Moss – der Mann, der sonst so gern übertreibt, remixt und sampelt, betreibt plötzlich äusserste Komplexitätsreduktion.
Denn das ist die Konzentration auf schlichte Formen, Farben und Schnitte, auf kragenlose Jacken, Bleistiftjupes und Basics wie ein einfaches Shirt ja auch: eine Vereinfachung der Dinge in Zeiten, die ohnehin schon kompliziert genug sind. Klingt langweilig? Nur in der Theorie, in der Praxis ist es absolut befreiend. Oder wie Marc Jacobs nach der Schau befand: «Purismus kann kalt und emotionslos sein, aber er hat auch etwas sehr Beruhigendes an sich.»
Silke Wichert ist Modechefin beim «Süddeutsche Zeitung Magazin»
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