«Frauen sind heute solidarischer»
- Interview: Niklaus Müller, Foto: Mathieu Cesar/Jil Sander
Hollywoodstar Susan Sarandon ist politisch engagiert, hat mit 71 Jahren einen Werbevertrag mit Jil Sander und mit uns über Düfte und Emanzipation gesprochen.
Was mir zuerst an ihr auffällt, sind die kupferroten Haare und ihre hellbraunen Augen. Augen, deren Form irgendwie derjenigen von Bette Davis’ Augen ähnlich sieht, die sie letztes Jahr bravourös in der Fernsehserie «Feud» gespielt hat. Mit 71 Jahren sieht Susan Sarandon einfach fantastisch aus. Sie trägt eine dunkelblaue Hose und eine asymmetrische Bluse, beides natürlich von Jil Sander. Denn dieses Mode- und Dufthaus ist auch der Grund, wieso die Schauspielerin mir heute in Hamburg zehn Minuten für ein Interview gegenübersitzt. Ab März ist sie das Gesicht des neuen Parfums Sunlight. Nach fast hundert Filmen eine weitere Rolle, die die Amerikanerin perfekt ausfüllt. Aber Susan Sarandon wäre nicht Susan Sarandon, wenn sie nicht auch über andere Themen reden würde. Als sie erfährt, dass ich aus der Schweiz komme, informiert sie sich sogleich über unser Gesundheitssystem und beklagt sich über Obamacare. Sie findet, dass die USA eine Single-Payer Health Care, also eine Krankenversicherung mit nur einem einzigen Kostenträger, brauche und dies einfach nicht auf die Reihe kriege. Politik und sich zu engagieren sind wichtige Anliegen für die Schauspielerin, mit denen sie auch immer wieder aneckt. Wahrscheinlich ist es auch diese Mischung aus Engagement und verführerischer Weiblichkeit, die sie so attraktiv macht.
annabelle: Susan Sarandon, was bedeutet das Label Jil Sander für Sie?
Susan Sarandon: Stärke und Eleganz, Femininität ohne Klischees. Nichts super Trendiges, sondern Kleider, die man jahrelang tragen kann und will.
Wie würden Sie Ihren Modestil beschreiben?
Ich weiss nicht, ob ich wirklich einen habe. Kleider müssen für mich vor allem bequem sein, und ich mag es, wenn sie ein wenig speziell sind. Ich liebe Asymmetrien und klare, saubere Schnitte. Ich will nicht von Kleidern überwältigt werden, mag es schlicht und einfach. Manchmal trage ich auch Männermode. Das kann ziemlich sexy sein.
Und welche Düfte mögen Sie?
Ich mag keine zu intensiven, zu blumigen oder zu würzigen Parfums. Ich wähle Düfte, die eher leicht sind. Ohne Parfum könnte ich zwar leben, aber ich geniesse es, Düfte zu tragen.
Tragen Sie regelmässig Parfum?
Wissen Sie, wann ich am meisten Parfum verwende? Wenn ich arbeite! Immer wenn ich eine Rolle spiele, wähle ich ein Parfum aus, das zu der Person passt, die ich verkörpere.
Zum Beispiel?
Als ich den Film «Speed Racer» gemacht habe, habe ich ein süsses, vanillelastiges Parfum gewählt, weil meine Rolle immer Pancakes gebacken hat. Im Film «White Palace» spielte ich eine Frau, die ein grosser Fan von Marilyn Monroe war, also habe ich Monroes Duft, Chanel Nr. 5, getragen. Bette Davis trug einen klassischen Duft von Givenchy, also habe ich den auch verwendet, als ich sie gespielt habe.
Sie arbeiten viel und haben eine lange Karriere …
Das können Sie laut sagen … fünfzig Jahre!
Was hat sich in diesen fünfzig Jahren verändert?
Die Macht und der Einfluss der riesigen Medienhäuser auf Film, TV oder Newsmedien sind enorm geworden. Seit Bill Clinton alles dereguliert hat, kontrollieren ein paar wenige Leute alles. Geschäftsleute und Banker haben das Zepter übernommen. Früher gab es Leute in Hollywood, die bestimmt ihre Fehler hatten, aber die das Metier liebten und die auch Risiken eingingen. Und heute? Heute dreht sich alles nur noch um Gewinn und ums Geldverdienen. Hollywood macht ja nur noch Remakes und Fortsetzungen. Die interessanten Produktionen sind inzwischen alles unabhängige Projekte oder finden im Fernsehen statt. Das Fernsehen ist unterdessen das interessantere Medium, denn es muss nicht einer so gewaltigen Masse von Menschen gefallen wie ein Kinofilm. Ausserdem gibt es in diesen Produktionen mehr und spannendere Rollen für Frauen. Es gibt ja auch immer mehr Schauspielerinnen, die ihre eigenen Produktionsfirmen haben.
Sie produzieren jetzt auch eigene Filme.
Ja, Dokumentarfilme. Aber ich habe schon immer produziert. «Dead Man Walking» oder «Stepmom» habe ich mitproduziert, also ist es für mich nichts Neues. Was neu ist, ist, dass es inzwischen immer mehr Komikerinnen gibt, die eigene Filme produzieren. Ich habe gerade in «Bad Moms 2», einem Film mit sechs weiblichen Hauptfiguren, mitgespielt, und der Film war sehr erfolgreich. Da hat sich schon einiges verändert. Aber viele der klassischen Filmstudios sind ein wenig stehen geblieben.
Ist es denn heute einfacher für Frauen in Hollywood als früher?
Ich finde schon. Als ich angefangen habe, haben sie mir gesagt: «Mit vierzig ist deine Karriere zu Ende. Vergiss tolle Rollen in diesem Alter!» Aber ich habe «Bull Durham» mit Kevin Costner gedreht, als ich vierzig war. Es gibt heute viel mehr Möglichkeiten und entsprechend mehr Rollen für Frauen. In den letzten fünf Produktionen,die ich gemacht habe, hat jeweils eine Frau Regie geführt. Das war früher unmöglich. Das gab es nicht.
Und wie sieht es mit den Gagen aus?
Klar, da gibt es immer noch Unterschiede. Aber ich finde, man muss da ein bisschen aufpassen. Es gibt fantastische männliche Charakterschauspieler, die schon seit Ewigkeiten im Geschäft sind und praktisch nichts verdienen. Das ist auch nicht fair! Lohnverhandlungen bei Schauspielern und Schauspielerinnen sind extrem schwierig, weil in unserem Gewerbe alles so subjektiv ist. Ich finde es toll, wenn männliche Schauspieler einen Teil ihrer riesigen Gage mit den Schauspielerinnen teilen. Das genau zu regulieren, ist jedoch fast unmöglich.
Aber die Solidarität unter Frauen in Hollywood ist doch enorm gewachsen, oder?
Unbedingt. Früher galten andere Schauspielerinnen noch als Konkurrenz, und man wurde zum Teil bekämpft. Heute ist das überhaupt nicht mehr so. Klar, Eifersucht, wenn man eine bestimmte Rolle nicht bekommen hat, gibt es natürlich noch immer. Aber man hilft und unterstützt sich trotzdem gegenseitig.
Früher wurden Frauen auch bewusst gegeneinander ausgespielt.
Ja, das stimmt. Bette Davis und Joan Crawford sind wohl das berühmteste Beispiel. Heute versucht das die Boulevardpresse zwar immer noch. Es wird einem eine Affäre mit dem Hauptdarsteller angedichtet oder ein Zickenkrieg mit einer anderen Schauspielerin. Das Spiel ist immer noch sehr beliebt. Aber die Solidarität unter uns Frauen ist viel grösser geworden.