Fast alle Frauen kamen zu Bidens Vereidigung in farbigen Kleidern, die Männer in dunklen Anzügen. Wir haben die auf Mode spezialisierte Kulturanthropologin Dr. Ulrike Langbein gefragt, wieso die Geschlechteraufteilung auch heute noch so strikt ist – und wer sie modisch begeisterte.
annabelle: Frau Langbein, was ging Ihnen beim Anblick von Bidens Vereidigung durch den Kopf?
Ulrike Langbein: Die Mode erinnerte mich sofort an die Auftritte der englischen Royals – bei den Frauen knielange Kleider mit den passenden Mänteln, hautfarbene Strümpfe, Pumps… Sogar Kamala Harris, die ich mit ihrer Interpretation von Hosenanzügen modisch bisher immer recht erfrischend fand, kam so.
Waren Sie enttäuscht?
Naja, etwas milder ausgedrückt könnte man sagen: Ich wurde nur von wenigen Outfits überrascht. Alles in allem war das ein gepflegt-konservativer Anblick – und die Weiblichkeit, die da reproduziert wurde, eine sehr klassische. Bis auf Michelle Obama hat, soweit ich weiss, keine der Frauen Hosen getragen.
Und die Männer trugen allesamt schwarze oder dunkelblaue Anzüge.
Bis auf Bernie Sanders, der knorzige Anti-Held, mit seinem pragmatischen Outdoor-Outfit (lacht). Aber ja: An der Vereidigung konnte man gut sehen, wie die sogenannte Verschwärzlichung der Männermode, die schon im 16. Jahrhundert begann, bis heute anhält. Farbe ist für Männer an solch formellen Anlässen quasi tabu.
«In der Aristokratie durften sich noch beide Geschlechter schmücken.»
Woran liegt das?
Weil sie als nicht solide wahrgenommen würden. In der Aristokratie durften sich noch beide Geschlechter schmücken und mit Mode repräsentieren. Männer betonten Beine und Genital mit Strümpfen und Schamkapseln. Doch mit der Verbürgerlichung wurden die Geschlechterrollen neu definiert, und damit auch die Kleidercodes: Männer trugen fortan Schwarz, um Vergeistigung, hohe Arbeitsmoral und Ernsthaftigkeit zum Ausdruck zu bringen. Farbe und Mode wiederum wurden weiblich kodiert. Die Hauptaufgabe der Frau im öffentlichen Auftritt bestand darin, den Status der Männer modisch zu repräsentieren.
Das gilt ja heute nicht mehr in diesem Ausmass – und dennoch waren die Männer an der Präsidenten-Vereidigung am Mittwoch dunkel und die Frauen bunt gekleidet.
Zum einen haben wir, bei aller Modernität, Geschlechterparität noch nicht durchgesetzt. Zum anderen wirkt die Macht der Tradition, gerade bei hochformalisierten Anlässen wie einer Präsidenten-Vereidigung im puritanisch geprägten Amerika. Dieser von Tradition, Patriotismus und Amtswürde geprägte Akt verlangt nach dem entsprechenden Kleidercode für Mann und Frau. Insofern ist eine Vereidigung nicht der passende Moment, um nach Veränderung zu fragen. Eine Hoffnung habe ich aber.
Und zwar?
Dass People of Color einen Unterschied machen können. Das hat man immer wieder an Michelle Obama gesehen – nicht nur an ihrer Kleidung, sondern zum Beispiel auch an den gezeigten durchtrainierten Oberarmen, die dem traditionellen Ideal des zerbrechlichen Frauenkörpers widersprechen. Auch die junge Lyrikerin Amanda Gorman, die das Gedicht vorgetragen hat, sah so toll und spannend aus mit dem gelben Mantel und ihrem roten Prada-Haarreif auf den nicht-geglätteten Haaren. Vielleicht wagen People of Color modisch mehr, weil sie die Enge der weissen, westlich-europäischen Modegeschichte eher ignorieren können?
Dr. Ulrike Langbein leitet den von ihr entwickelten Studienschwerpunkt «Kulturanthropologie der Mode» am Seminar für Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie der Universität Basel.