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Sir Paul Smith – Der Meister der Anzüge

Stil

Sir Paul Smith – Der Meister der Anzüge

  • Text: Silvia BinggeliFoto: Bohdan Cap

Sir Paul Smith ist der erfolgreichste britische Modedesigner. Sogar der Premierminister trägt seine Anzüge. Das ist ihm ein bisschen peinlich.

Sir Paul Smith ist der erfolgreichste britische Modedesigner. Sogar der Premierminister trägt seine Anzüge. Das ist ihm ein bisschen peinlich.

Von wegen Sir! Fünf Minuten nachdem wir uns kennen gelernt haben, greift mir Paul Smith ungeniert in die Locken. Genauer: Er wühlt darin herum. «Grossartige Haare», sagt er. Ich stottere: «Ähm, wir haben uns über die Jahre angefreundet. Nun nehme ich sie, wie sie sind: störrisch und eigenwillig.» Er grinst: «Gut so. Man soll den Dingen ihre Natur lassen.»

Paul Smith ist gegen zwei Meter lang. Die Hose seines Anzugs trägt er ein paar Zentimeter zu kurz. Mit Sicherheit ein absichtlich inszenierter Fauxpas, denn Paul Smith ist der König der Anzüge. Selbst Modeverweigerer zieht es in seine Boutiquen. Seine Entwürfe wirken nach aussen brav, aber im Innern offenbart sich der Schalk: etwa in Form eines hippieesken Blumenfutters oder regenbogenfarben umwobenen Knopflochs. Auch der Meister selbst ist Kapriolen nicht abgeneigt: Beim Posieren vor der Kamera im Showroom seines Londoner Hauptsitzes hält sich Paul Smith ein Kabel als Schnauz unter die Nase. Mit dem zerzausten grauen Schopf wirkt er gleichzeitig adrett und lausbubenhaft.

Über dem Showroom befindet sich sein Büro, eine Art Zentrale des Chaos. Auf Regalen, am Boden und auf dem Arbeitspult treffen sich Fussbälle, alte Jeans, eine Pappfigur von Gary Glitter, alte Uhren, mehrere Radios, Stoffhasen, Militärorden und sechs Rennvelos. Nur der Holztisch in der Mitte des Raums ist frei. Ein Krug Wasser und ein Glas stehen darauf. Paul Smith schenkt ein.

Sir Paul, stimmt es, dass Sie ein Frühaufsteher sind?
Ja. Der Wecker klingelt um Viertel nach fünf. Dann gehe ich so zehn Minuten schwimmen. Um sechs fahre ich mit dem Auto ins Büro. Um halb acht schwinge ich mich aufs Velo und hole irgendwo Kaffee.

Ist Ihr Auto der knallrote Audi TT draussen vor dem Hauptsitz?
Nein, ich fahre einen Mini.

Ich dachte schon, dass Sie eine verspätete Midlifecrisis erwischt hat.
Bei einem Audi TT müsste man sich Sorgen machen. Das ist ein Frauenauto. Nein, ich brauche mein Auto, um von A nach B zu gelangen. Ein grosser Wagen würde auch nicht auf meinen kleinen Parkplatz hier passen.

Sind Sie jemals grosse Autos gefahren?
Mit 24 fuhr ich eine Weile lang einen Porsche. Ich war in der Ich-bin-24-Phase. Davor besass ich einen Peugeot oder so. Eines Tages hatte ich einen Unfall. Mir passierte zum Glück nichts, aber ich musste nach London. Ein befreundeter Garagist lieh mir einen Porsche. Da ich in Nottingham lebte und jeden Tag anderthalb Stunden nach London pendelte, war das Auto ganz praktisch. Aber dann entwuchs ich dieser Phase zum Glück. Heute besitze ich auch einen Bristol, Jahrgang 1956. Ich kaufte ihn mal für 2000 Pfund, als mir langweilig war.

Kaufen Sie öfter Sachen aus Langeweile?
(Er lacht und deutet in den Raum.) Das sehen Sie ja! Im Ernst. Ich kann schlecht mit Freizeit umgehen. Es war am Tag nach Weihnachten, und jemand gab mir eine Autozeitschrift. So kam ich zu meinem Bristol.

Woher kommt Ihre Sammellust?
Ich betrachte mich nicht als Sammler. Ich weiss nichts über all die Objekte hier, über ihre Herkunft. Ich kaufe Dinge, weil sie mir gefallen. Vieles bekomme ich geschenkt.

In Ihrem kürzlich erschienenen Bildband «Paul Smith A–Z» schreiben Sie, dass ein anonymer Fan Ihnen seit zwanzig Jahren Dinge schenkt.
Ja. Die Sachen kommen unverpackt. (Er bringt ein Stück Holz, auf dem sein Name steht und zwei Reihen Briefmarken kleben.) Das hier bekam ich vor kurzem, die riesige Weihnachtskugel da drüben vor ein paar Monaten. Ich erkenne den Absender an der Schrift.

Ein Stalker. Keine Angst?
Anfangs fand ich es seltsam. Aber die Person schreibt ja nicht: Ich liebe dich, oder: Ich hasse dich, oder: Ich will dein Geld. Jemand schickt Origami. Ein Mädchen hat mir diese Uhr aus einer Tic-Tac-Dose gebastelt. Sie schreibt mir, seit sie elf ist.

Warum schreiben die Leute Ihnen?
Ich bin offen und normal. Ich lebe seit vierzig Jahren mit derselben Lady zusammen.

Sie sind ein Popstar.
(Er lacht laut.) Nein. Ich kann nicht singen oder Gitarre spielen. Aber ich wurde mit der Gabe der Kommunikation gesegnet. Und ich bin nett. Ich helfe in den Mantel, sage Bitte und Danke.

Sind Sie immer nett?
Ich bin in meinem Leben vielleicht zwei Mal wütend geworden.

Come on! Das nehme ich Ihnen nicht ab.
Aber es stimmt. Vielleicht waren es auch fünf Mal.

In welchen Situationen denn?
Das wollte kürzlich schon jemand wissen, und ich konnte mich nicht erinnern. Deshalb frage ich mich, ob ich überhaupt jemals richtig wütend geworden bin.

Mit Verlaub: Bei einem 64-Jährigen, der behauptet, nur zwei Mal im Leben aus der Haut gefahren zu sein, muss man misstrauisch werden. Ist Wut nicht auch gesund?
Wahrscheinlich schon, ziemlich sicher sogar. In mediterranen Ländern schreien sich die Leute an. Sie lassen die Energie raus, und dann ist das Problem gelöst. Wäre ich wütend auf jemanden, würde das wohl für Wochen so bleiben.

Was treibt Sie morgens an?
Ich will einen netten Tag verbringen. Ich schaue nie zurück. In der Mode muss ich ohnehin ein Jahr im Voraus denken. Heute hatte ich mein erstes Meeting um acht. (Er kramt einen handgeschriebenen Tagesablauf aus der Jacketttasche und liest vor.) Eröffnung des Ladens in Amsterdam, Treffen im Westend, Besprechung für ein neues Parfum, ein Gast aus Deutschland, Interviewtermin mit einem französischen Fernsehteam.

Werden Sie nie müde, Fragen zu beantworten?
Nur wenn jemand unvorbereitet kommt.

Was tun Sie dann?
Kürzlich sollte ich in Hongkong an zwei Tagen 14 Interviews geben. Ich informierte mich im Vorfeld über die Magazine. Bei manchen ging es um Jugendkultur, bei anderen um Kunst oder Architektur. So kann ich das Gespräch später für beide Seiten interessanter gestalten.

Wann langweilt Sie ein Gespräch?
Wenn Journalisten wissen wollen: Wann haben Sie angefangen? Welches war Ihre Inspiration? Welches ist Ihre Lieblingsstadt, Ihr Lieblingslied? Ich hasse das Prädikat «Lieblings». Jemand, der wie ich tickt, kann solche Fragen nicht beantworten. Tokio ist aufregend, Paris romantisch, London international. Gute Musik kann «La Tosca» von Puccini sein, Lieder von Van Morrison oder Fleet Foxes.

Kürzlich sagten Sie, dass Sie nicht gern älter werden.
Ich habe Angst vor dem Sterben. Ich glaube nicht, dass es eine Alternative zum Nicht-mehr-hier-Sein gibt. Und das ist traurig. Meine Tage sind so aufregend, und ich möchte noch viele davon erleben. Letzten Freitag war eine Schulklasse mit 9-Jährigen hier. Eine Stunde später kam Gary Oldman mit seiner Frau zu Besuch. Eine solche Bandbreite an einem Tag, das ist doch fantastisch.

In Ihrem Büro stehen sechs Rennvelos herum. Warum sechs?
Oh, es gibt noch mehr. Ich habe sie versteckt. Die Mädchen stolpern darüber und beklagen sich. Paul, schaff die Velos raus!

Den Traum des Radprofis mussten Sie in Ihrer Jugend nach einem schweren Unfall begraben. Sie lagen drei Monate im Spital. Haben Sie mit dem Schicksal gehadert?
Nein. Ich bin mit 15 von der Schule abgegangen. Ich sagte meinem Vater, dass ich Radrennprofi werden will. Er entgegnete, das sei kein richtiger Beruf. Und er hatte recht. Ich hätte damit nur schwer einen Lebensunterhalt verdienen können. Und um ehrlich zu sein: Ich hätte es auch nicht an die Spitze geschafft.

Warum glauben Sie das?
Ich war nicht mutig genug. Als Profi musst du Berge hinunterfahren, es ist gefährlich. Ihr Schweizer Fahrer, Fabian Cancellara, verunfallte kürzlich schwer. Ich werde ihn anrufen.

Sie kennen sich?
Getroffen haben wir uns zwar nie. Aber er hat mir sein Leibchen geschenkt. Letztes Jahr an der Tour de France fuhr Fabian neben dem Engländer David Millar über die Champs-Élysées aufs Ziel zu. Er holte ein Leibchen aus seiner Tasche und sagte zu David: Das ist für Paul Smith. Gib es ihm bitte. Ist das nicht grossartig?

Paul Smith schiesst vom Stuhl hoch. Länger als fünf Minuten kann er offensichtlich nicht sitzen bleiben. Er zeigt seine Sammlung signierter Rennfahrertrikots. Der unordentliche Haufen würde jeder seiner Modeverkäuferinnen die Schamröte ins Gesicht treiben. In einer Kartonschachtel daneben liegen ebenso unachtsam gestapelte Fotos: Paul mit Patti Smith, Paul mit Colin Firth, Paul mit Franz Ferdinand, Paul mit Paul Weller, Paul mit David Bowie. Die «Mädchen» würden darauf bestehen, ein Bild zu machen, wenn Besucher kämen, sagt Sir Paul.

Auf dem Foto neben David Bowie strahlen Sie ziemlich. Sind Sie stolz, in ihm einen Fan zu haben?
Sein erstes Album erschien 1967, im Jahr, als meine Frau Pauline und ich uns verliebten. Wir sind zu unzähligen Konzerten gegangen. Später lernten wir David kennen. Kürzlich trafen wir ihn zum Essen, seine Frau Iman war dabei und der Schriftsteller Hanif Kureishi. Als Pauline und ich gingen, sang David: The party is over. Wir konnten es nicht fassen. David Bowie singt für uns! Ja, ich bin sehr stolz.

Sie sammeln Fotos von sich mit Stars, wollen aber keine VIPs in Ihren Kampagnen.
Die Leute sollen meine Kleider kaufen, weil sie ihnen gefallen. Ich verstehe, warum andere Marken Promis bezahlen, damit sie sich in ihre Frontrow setzen. Aber für mich ist das falsch. Trotzdem fühle ich mich geehrt, wenn Menschen, berühmt oder nicht, auf mich zukommen.

Sie haben Ihre Lebenspartnerin Pauline erst nach über dreissig Jahren Partnerschaft geheiratet. Warum doch noch nach so langer Zeit?
Weil ich sie liebe und sie sich die Ehe wünschte. Aber ich nenne sie immer noch Girlfriend. Ich finde, das klingt schöner. Wir führen ein sehr ruhiges Leben und sind oft zuhause.

Ruhiges Leben? Ich kenne niemanden, der wie Sie für einen Tag nach China fliegt, um die Mauer zu sehen. Ein bisschen verrückt sind Sie schon.
Ich hoffe es! Nächste Woche werde ich für einen Tag nach Indien fliegen. Man soll spontan sein, aber immer gute Manieren besitzen. Wenn du Witze machst, dann zur richtigen Zeit. Hoffentlich, wenn es stimmt, so habe ich diese Art von meinem Vater. Er war ein sehr netter Mann, mit dem man sich gut unterhalten konnte.

Spielen Sie gern den Clown?
Absolut. Ich war vielleicht 13 und sagte etwas zu meinem Freund Chris. Ich weiss nicht mehr was. Aber er musste so lachen, dass er vom Velo fiel. Da realisierte ich: Ich habe Humor.

Sie stehen gern im Mittelpunkt.
Ich bin sicher ein kleiner Angeber. Aber hoffentlich auf eine bodenständige Art. Theatralisch zu sein, ist nicht schlecht. Aber du musst wissen, wann du still sein und zuhören musst.

Vor gut zehn Jahren hat die Queen Sie zum Ritter geschlagen. Glücklich über die Ehre?
Anfangs war ich mir nicht sicher. Über die Jahre haben viele die Ehrung aus den falschen Gründen bekommen, weil sie politische Parteien finanziell unterstützten oder was weiss ich. Aber Pauline sagte: Würden deine Mama und dein Papa das vom Himmel aus sehen, wären sie stolz.

Also ein gutes Gefühl, Sir zu sein?
(Er kramt eine Kreditkarte hervor.) Schauen Sie, das «Sir» steht nicht drauf.

Fühlen Sie sich nun geehrt oder nicht?
Es ist fantastisch. Ich werde zu Staatsessen eingeladen. In der Downing Street diskutiere ich über die Zukunft von Design in England.

Freut es Sie, dass der Premierminister Ihre Anzüge trägt?
Das weiss zum Glück niemand.

Niemand ausser mir und der ganzen Welt.
Wirklich? Ja. David Cameron trägt sie. Aber ich will kein Geschrei darum machen, auch nicht um die Verbindung zum Buckingham Palace. Wissen Sie, die Queen geht auch zur Toilette.

Wann brechen Sie Regeln?
Beim Dinner für den japanischen Kaiser gab es eine Schlange. Ich stand mit Prince Charles und allen anderen an, um den Kaiser zu begrüssen. Ganz am Ende wartete Queen Mum. Sie war über neunzig und hatte gerade eine Hüftoperation hinter sich. Die Regel lautet: Sprich nie von dir aus Mitglieder der Königsfamilie an. Ich ging hin und fragte sie, wie es ihr nach der Operation gehe. Sie war begeistert und sagte: Wie nett von Ihnen, junger Mann.

Wo riskieren Sie am meisten?
Ich bin kein Mensch der grossen Risiken. Ich habe nie geplant, ein Business aufzubauen. Wir haben angefangen, und irgendwann machten wir eine Modeschau.

Nett, wenn man ohne zu planen Multimillionär wird.
Kürzlich sagte ich zu jemandem: Mein Leben ist einfach in die richtige Richtung gefloppt. Ich war ein mieser Schüler. Aber nach meinem Schulabgang begriff ich schnell, dass ich etwas verdienen muss, um die Miete zu bezahlen. In meiner Karriere habe ich nie Geld geliehen.

Als Sie 1993 anfingen, Damenmode zu entwerfen, haben Sie einen Psychologen aufgesucht. Warum?
Ich fühlte mich wie auf Treibsand. Ich liess mich zu diesem Schritt drängen, weil immer mehr Frauen nach einer Linie verlangten. Die ersten Kollektionen waren Blazer, Hosen und Shirts im Männerstil. Doch dann verlangten Presse und Einkäufer nach Jupes, Kleidern, Highheels.

Wie konnte ein Psychodoktor helfen?
Um Frauenkleider zu machen, musst du dich für Ohrringe, Schuhe und Schmuck interessieren. Die Analyse ergab, dass ich keine ausgeprägte weibliche Seite habe und mich deshalb in Diskussionen zu diesem Thema leicht herumschubsen lasse. Der Psychologe lehrte mich, wie ich in solchen Gesprächen zu einem ausgewogenen Resultat komme. Jetzt sage ich: Ich bin bereit, diese Jacke in Spitze zu machen. Aber ich will nicht den Schnickschnack in Rot dazu. Er ermutigte mich ausserdem, zwei Assistenten mit einer femininen Seite zu engagieren. So kann ich mich auf die maskulinen Elemente konzentrieren. Eine klassische Du-gewinnst-ich-gewinne-Situation.

Sie scheinen die Harmonie wirklich gern in Ihrer Nähe zu haben.
Oh ja, ich kann sehr enthusiastisch werden, wenn es darum geht, Ausgewogenheit zu schaffen. Zwischen meinen Mitarbeitern und mir, zwischen meiner Freundin und mir. Zwischen Ihnen und mir.

Das ist Ihnen gelungen. Ich fühle mich gut.
Cheers!

Erfolg im Anzug

Paul Smith wird am 5. Juli 1946 in Nottingham geboren. In den Sechzigerjahren hilft er einer befreundeten Modeschöpferin, eine Boutique aufzubauen, und arbeitet als Verkäufer. Von seiner Frau, der Künstlerin Pauline Denyer, die Modedesign studierte, lernt er sein Handwerk. 1970 eröffnet er in Nottingham sein erstes Geschäft, 1976 zeigt er in Paris seine erste Kollektion. Seine Mode ist weltweit an über 2000 Verkaufspunkten erhältlich.

In seinem neuen Buch «Paul Smith A–Z» zeigt und schreibt der Designer eine Art Tagebuch, zusammengestellt von Olivier Wicker. Knesebeck-Verlag, ca. 40 Franken

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Wie es ihm gefällt: In Paul Smith’s Studio würde man am liebsten auf Schatzsuche gehen.

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