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Kritik an Black Friday: Warum Shaming scheinheilig ist

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Kritik an Black Friday: Warum Shaming scheinheilig ist

Der Black Friday wird mittlerweile aus vielen Ecken kritisiert – und damit vor allem die Konsument:innen, die Angebote nutzen. Warum uns das nicht weiterbringt.

Alle Jahre wieder – und gefühlt alle Jahre mehr – gibt es kaum ein Entkommen vor Black-Friday-Angeboten. Im Internet, im Tram, im Briefkasten: Alles Kaufbare, was das Herz begehrt (oder eben nicht begehrt), wird überall mit Deals angepriesen.

Black Friday ist der Konsum-Feiertag schlechthin. Noch vor einigen Jahren lächelten wir Europäer:innen milde über die absurden Bilder aus den USA, auf denen abertausende Shoppingwütige um Mitternacht nach Thanksgiving die Türen von Kaufhäusern und Elektrofachmärkten einrennen. Heute klicken wir uns selbst shoppingwütig durch Online-Angebote.

Es gibt wenig, was man am Black Friday allen Ernstes gut finden kann: Der mit gezielten Marketingmassnahmen geförderte Überkonsum richtet massive Umweltschäden an, braucht unnötig viele Ressourcen, viele Menschen verschulden sich, kaufen Dinge, die sie gar nicht wirklich brauchen. Die Kritik ist laut.

Allein wegen Transportlastwagen etwa werde in der Woche von Black Friday in Europa über 90 Prozent mehr CO2 ausgestossen als in einer regulären Woche. 2023 lag der Umsatz am Black Friday in der Schweiz bei 490 Millionen Franken. Laut einer Befragung der Swiss Retail Federation haben 58 Prozent der Konsument:innen vor, am heutigen Black Friday einzukaufen.

Schnäppchenjagd gehört nicht mehr zum guten Ton

In vielen Kreisen gehört die Schnäppchenjagd immer weniger zum guten Ton. Man kauft lieber Hochwertiges, hinterfragt die eigenen Kaufentscheide und schlägt nicht kopflos bei Black-Friday-Angeboten zu. Den Konsumwahn zu kritisieren und zu hinterfragen ist richtig. Nur: Das allein ist zu kurz gedacht.

Nachhaltiger Konsum ist lobenswert und macht absolut Sinn – führe aber bei vielen, die es sich leisten können, zu einem Gefühl moralischer Überlegenheit, kritisiert die US-Soziologin Elizabeth Currid-Halkett. «Oft geht es den Menschen auch darum, den Nachbar:innen oder Bekannten zu signalisieren, wie unglaublich bewusst sie sich verhalten», sagte sie in einem Interview im «Tagesanzeiger». Bewusst zu leben sei selbstverständlich besser, als rücksichtslos zu leben. Aber es sei ein Luxus, sich Gedanken über nachhaltigen Konsum machen zu können. Das verschärfe die soziale Ungleichheit.

Es wird also munter mit dem Finger auf diejenigen gezeigt, die bei H&M shoppen, mit einem alten Benziner rumfahren – oder eben aktuell bei Black-Friday-Rabatten zugreifen, statt bedacht längerfristig zu investieren.

Aber Konsument:innen-Shaming greift schlicht zu wenig weit. Denn in unserer Gesellschaft sind Güter aller Art Statussymbole. Und dabei geht es längst nicht mehr nur ums fette Auto, sondern um Alltägliches: Welchen Couchtisch hast du? Kaufst du noch Fast Fashion? Trägst du Echtschmuck? Ist deine Garderobe grösstenteils Vintage? Investierst du in hochwertige Designermode? Wie nachhaltig ist die Produktion deines Geschirrs? Besitzt du das neuste Smartphone?

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«Wir alle definieren uns auch über unseren Besitz, unseren Lifestyle. Kaum jemand kann sich dem entziehen»

Wir alle definieren uns auch über unseren Besitz, unseren Lifestyle. Kaum jemand kann sich dem entziehen. Und je nachdem in welchen Kreisen wir uns bewegen, fällt dieses Urteil unterschiedlich aus.

In der einen Bubble wird gelobt, wer sich mengentechnisch einschränkt, dafür eben möglichst wenig, dafür teuer und nachhaltig kauft. In anderen Kreisen geht es dafür eher darum, möglichst viel für möglichst wenig zu kaufen. In einer nochmals anderen Bubble darum, dass man sich das chice Auto und die geilen Ferien leisten kann. Und auf dem Pausenplatz unter den Schulkids gelten nochmals andere Regeln.

«Sich für einmal nicht arm fühlen»

Gerade für Menschen mit tiefem Einkommen ermöglichen Rabatte wie an Black Friday ein Gefühl von Normalität – sich eben mal was leisten zu können, das für andere selbstverständlich ist. Der britische Journalist Sam Tabahriti schreibt im «Independent» über seine Erfahrungen: «Sales sind nur ein Trick der Einzelhändler, um den Kund:innen vorzugaukeln, dass sie die besten Angebote bekommen, aber ich habe mich jahrelang darauf verlassen. Ich konnte es mir sonst nicht leisten, mir ein neues Telefon oder neue Kleidung zu kaufen.»

«Es ist leicht, diejenigen zu verhöhnen, die einen Deal wollen, aber für viele von uns ist dies die beste Chance, sich für einmal nicht arm zu fühlen», fügt Tabahriti weiter an. Gerade in der aktuellen Wirtschaftslage können günstige Angebote eine Chance sein, eben das Smartphone fürs Teenie-Kind zu kaufen, das sonst nicht im Budget liegen würde. Ferien-Deals zu buchen für den Familienurlaub. Endlich das abgewetzte Sofa zu ersetzen. Oder sich neue Winterkleidung, Sportgeräte, Weihnachtsgeschenke leisten zu können.

Darüber zu urteilen, während man selbst genauso konsumiert – nur halt nicht Schnäppchen nachrennt am Black Friday – ist schlicht scheinheilig. Klar, wer auf Black-Friday-Deals verzichten kann, sollte dies auch dringend tun. Aber wir müssen uns vor Augen halten, dass nicht alle über die Mittel verfügen, nachhaltig einzukaufen.

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