Langstrecken-Geniesser.
Okay, ich hatte zugeschlagen, keinen der sechs Gänge ausgelassen, zu jedem Teller einen neuen Wein probiert und hielt zu guter Letzt in der einen Hand die wohlverdiente Zigarre, in der anderen den Cognac. Die Schuld gab ich meinem Gegenüber, der wie ein Spielverderber am Tisch sass, nur unerträglich massvoll Gabel und Löffel zum Mund führte, dafür aber umso exzessiver die Wonnen des Sports pries. Meine gewiss ungesunde Genusssucht schien seinen Jogger-Ehrgeiz besonders zu wecken: Er wollte mich an dem Abend unbedingt vom Essliebhaber zum Langstreckenläufer bekehren, packte dabei gar die Keule der Lebenserwartung aus, als führe mein Heimweg gleich auf den Friedhof, wenn ich meine Montecristo nicht ausdrückte. Ich konterte nur schwächlich, man könne auch an seiner Normalität und Gesundheit vorzeitig zugrunde gehen.
So endet es, wenn Midlifecrisis-Geplagte an einem Tisch sitzen; irgendwann müssen sie einander die ohnehin selten gute Laune zwanghaft verderben, und das ist wohl der Grund, warum sie im Allgemeinen ungern mit ihresgleichen, sondern lieber mit viel jüngeren oder älteren Partnern ausgehen. Das tue ich am darauffolgenden Abend, schon um mir zu beweisen, dass es auch anders geht. Dafür wähle ich das Zürcher Restaurant mit dem passenden Namen «L’Altro».
Ich esse und trinke und rauche zwar gleich viel wie am Vorabend, aber … nein, kein aber: Es ist ein Geniessen ohne Wenn und Aber, vor allem ohne schwabbelige Fitnessweisheiten. Nach einer sehr reichhaltigen Antipastiplatte beeindrucken mich die frischen und wunderbar schlicht zubereiteten Ravioli und Triangoli mit verschiedenen Füllungen. Beim Wolfsbarsch mit Sommergemüse bedaure ich nur, dass etwas wenig dran ist. Das Perfekte im «Altro» aber ist der Service: Man möchte ewig sitzen bleiben und fühlt sich so richtig als Langstreckengeniesser.
L’Altro
Sternenstrasse 11
8002 Zürich
Tel. 044 201 43 98
www.l-altro.ch