In der Unterwelt.
Für viele Gourmets ist das «Casa Aurelio» in einem Hinterhof an der Zürcher Langstrasse eine Unterwelt – sowohl was das Publikum als auch die Küche betrifft. Zu dieser Unterwelt zählen Fernseh- wie Politpromis (nicht nur SVP-Politiker). Und wenigstens zur Halbwelt gehöre wohl auch ich. Im «Casa Aurelio» bin ich nur Julio. Bei jedem Besuch schaut mir der Chef, vermutlich, weil ich noch verdächtig seriös aussehe, tief in die Augen und sagt: «Julio, wenn einer hier drin ehrlich arbeitet, bin ich es.» Keiner aus der Unterwelt würde das bestreiten.
Aurelios Handwerk ist ebenso ehrlich wie erbarmungslos: Jeden Abend tritt er als Hauptdarsteller in der gleichen sechs- bis acht stündigen Operette auf, und das Haus ist stets bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Gäste unterhalten sich so gut, dass das Essen zur Nebensache wird. Pausenlos legt Aurelio seinen Arm um irgendeine Schulter, mit Vorliebe eine weibliche, trinkt an manchem Tisch ein Gläschen mit. Plötzlich hat er dann eine riesige Kuhglocke umgehängt und lärmt durch die Gänge, als sei es nicht ohnehin schon laut genug. Später ist er der Einzige, der mit einer imposanten Zigarre durchs an sich rauchfreie Lokal defiliert.
Ein Wort zur Nebensache: Über die Küche lässt sich immer ungefähr dasselbe sagen – sie ist korrekt, nie aufregend. Wie Aurelio immer wieder auf dieselben Pointen zurückgreift, über die man doch immer wie beim ersten Mal lacht, bestelle auch ich immer etwa dasselbe: die tadellos grillierte Seezunge mit Reis und einem gut gewürzten Spinat. Und zum Dessert die Crema catalana.
Im Übrigen darf man im «Casa Aurelio» nichts zu ernst nehmen. Schein und Sein triumphieren. Aber nach jedem Besuch stellt man fest, dass man in keinem andern Restaurant so viel zu lachen hat – worüber, verschweigt man besser.
Casa Aurelio
Langstr. 209
8005 Zürich
Tel. 044 272 77 44
www.casaaurelio.ch