Sag, wie hast dus mit der Mode?
- Text: Silvia Binggeli; Foto: Flavio Leone
annabelle-Chefredaktorin Silvia Binggeli findet: Jeder ist modisch! Denn wer bitte überlegt sich morgens nicht, was er anziehen soll?
Kürzlich sprach ich mit einer grossartigen Freundin über Mode. Sie hatte grad einen neuen Job angefangen, Umfeld künstlerisch cool. Ich brauche neue Kleider, sagte sie, da gilt ein bestimmter Kodex, viel Schwarz, gekonnte Zurückhaltung, keine Ahnung. Was rätst du mir?
Ich sagte: Bleib, wie du bist, zieh an, was du hast, es passt zu dir, du hast Stil. Sie: Hab ich? Ich bin nicht so modisch. – Doch, bist du! – Ach was, inwiefern? – Du achtest auf Qualität, trägst, worin du dich wohlfühlst. Ausserdem: Jeder ist modisch! – Ach was, wie meinst du das?
Mode lässt sich gern bitten. Alle sechs Monate muss sie sich neu erfinden. Doch Neues zu finden, wird immer schwieriger. Die Siebzigerjahre wurden auf dem Laufsteg x-fach durchdekliniert. Die Neunziger auch grad wieder. War Beige nicht schon vorletzte Saison das neue Schwarz? Blogger posten immer schneller und mehr. Grosse Marken kommen mit Produzieren nicht nach – wendigere Günstigketten springen da gern ein. Die Konsumentin ist verwirrt und kommt frustriert zum Schluss: Hat mit mir nichts zu tun! Viel zu überdreht das Ganze.
Die Mode ist tot? Nein! Lang lebe die Mode! Denn sie ist immer da. Wer bitte überlegt sich morgens nicht, was er anziehen soll? Nichts kommt uns auf Dauer näher als Kleider. Egal, ob wir von Trends oder schlicht von Kleidern sprechen: Wir drücken mit Mode aus, was wir beabsichtigen, was wir denken, fühlen und bewirken wollen.
Designer entdecken zum Glück grad wieder, warum sie eigentlich Kleider machen: Nicht für den Laufsteg. Nicht für die grosse Show. Nicht für eine Saison. Sondern für die Menschen, die sie später tragen sollen.
Wir haben Menschen jeden Alters in unser Fotostudio eingeladen und sie gebeten, nach dem Lustprinzip Teile aus den aktuellen Kollektionen an sich auszuprobieren. Und uns zu erzählen, was sie mit Kleidung verbindet. Wie kreativ, bewusst, aber auch kritisch man sich der Frage bis ins hohe Alter nähern kann, hat uns die 88-jährige Lotti Hasse eindrucksvoll bewiesen. Begeistert haben wir sie zum Covergirl für unser Trendheft gemacht.
Auch meine Freundin kam zum Shooting. Anfangs noch etwas skeptisch: Also ich und die Mode, ich weiss nicht. Am nächsten Morgen schrieb sie mir: Weisst du, wo ich die blauen Schlappen vom Shooting kaufen kann? Sie sind so herrlich schräg.