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Meine Flugangst und ich: Was sie auslöste – und was half

Reisen

Meine Flugangst und ich: Was sie auslöste – und was half

Autorin Janina Jetten litt jahrelang unter Flugangst; mittlerweile fliegt sie wieder. Hier teilt sie ihre Erfahrungen und Tipps von Flugangst-Coach und Pilot Thomas Fasel.

«Zur Not fährst du eben mit der Bahn zurück. So schlimm ist das doch nicht!» Das redete ich mir ein, wenn die Angst kam. Dann schien Chalkidiki in Griechenland gar nicht so weit entfernt von Hamburg.

Nur 2228 Kilometer, 22 Stunden Fahrt mit Bus und Bahn. Immer noch besser als zu sterben. Denn das würde ich, wenn ich fliegen würde. Das Flugzeug würde abstürzen – meine Angst war sich da zu 100 Prozent sicher.

Gerade auf Rückflügen hatte sie mich fest im Griff. Dann, wenn es nach Hause ging. Man kann ja nicht einfach wegbleiben. Deswegen verreiste ich lange auch nur innerhalb Europas. Weil ich zur Not auf dem Landweg nach Hause käme.

Der Sommer 2010

Los ging es mit meiner Flugangst im Sommer 2010, als mein Mann und ich einen Traumurlaub in Südfrankreich hinter uns hatten und von Bordeaux aus losflogen. Die Lavendelfelder unter uns wurden immer kleiner, da traten auf der rechten Seite des Fliegers komische Geräusche auf. «Ist das normal?», fragte ich meinen Mann. Als die Stewardessen eilig und mit starrem Blick den Gang entlangliefen, war klar, dass es das nicht war.

«Wir müssen zurückfliegen», verkündete der Pilot. Nur wenige Minuten dauerte es, bis wir wieder gelandet waren, aber die Atmosphäre war gespenstisch. Da war diese schwangere Frau schräg vor mir, die weinend ihren Bauch streichelte, oder der Mann im Gang neben uns, dessen Hände seine Armlehne so festhielten, dass die Knöchel weiss hervortraten.

Ein Nervenwrack mit Todesängsten

Als der Pilot beim Aussteigen ausgerechnet zu mir sagte: «War ganz schön knapp», zerriss es mich endgültig. In dem Moment wurde aus einer entspannten Fliegerin ein Nervenwrack mit Todesängsten. Wir fuhren mit dem Zug über Paris zurück nach Hamburg. 1540 Kilometer.

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«Jahrelang vermied ich unter fadenscheinigen Gründen, etwas von der Welt zu sehen»

An Fliegen war vorerst nicht zu denken. Jahrelang vermied ich unter fadenscheinigen Gründen, etwas von der Welt zu sehen.

Überzeugte meinen Mann, Urlaub auf der dänischen Insel Rømø (239 Kilometer) zu machen, statt gen Süden zu fliegen. Und als meine Freundin mich fragte, ob ich übers Wochenende mit nach Mailand (1147 Kilometer) zur Salone del Mobile fliegen würde, murmelte ich etwas von CO2-Verbrauch. Es war mir einfach peinlich, das volle Ausmass meiner Angst zuzugeben.

Nicht einmal die Hälfte fliegt völlig unbeschwert

Die Wahrheit ist aber: Um die 15 Prozent aller Schweizer:innen haben Angst vor dem Fliegen. «Dazu kommen noch etwa weitere 40 Prozent, die sich dabei unwohl fühlen», ergänzt Thomas Fasel. Er ist seit 17 Jahren Pilot bei der Swiss und gibt seit zehn Jahren Seminare gegen Flugangst. «Das heisst, nicht einmal die Hälfte der Menschen fliegt völlig unbeschwert.»

Eine der grundlegendsten Ursachen sei die Angst vor dem Tod, die – wie bei mir – durch eine traumatische Erfahrung ausgelöst werden kann. Viele Menschen kämen auch nicht gut damit klar, die Kontrolle an andere beziehungsweise an eine Maschine abzugeben, so Fasel.

Eltern, die bewusst getrennt fliegen

Erst recht, wenn es sich dabei um einen tonnenschweren Metallkoloss handelt, der auch noch eng bestückt ist und 10’000 Meter über dem Boden schwebt – was wiederum diejenigen mit Platz- und Höhenangst triggert.

«All diese Ursachen verstärken sich oft, wenn man älter wird. Weil man Verantwortung trägt und Kinder hat beispielsweise», weiss Thomas Fasel. «Ich habe Eltern erlebt, die getrennt flogen, damit zumindest eine Hälfte überlebt im Falle eines Absturzes.»

Gefüttert wird die Angst durch die mediale Berichterstattung. Ein Ereignis wie ein Flugzeugabsturz? Darüber wird gesprochen; es bleibt im Bewusstsein und beeinflusst das Sicherheitsgefühl beim Fliegen enorm.

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«So viel fliegen kann man gar nicht in einem Leben, dass es einen statistisch gesehen jemals erwischt»

Flugangst-Coach und Pilot Thomas Fasel

Auch spektakuläre Filme, in denen die neuesten Special Effects einen dabei sein lassen, wenn der Nachbar mitsamt Sitz durchs Loch in der Aussenhülle gesogen wird, sorgt dafür, dass wir Fliegen drastisch risikobehafteter einschätzen, als es ist.

Da hilft dann auch die Statistik nicht, die besagt, dass das Flugzeug das sicherste Verkehrsmittel der Welt ist. «So viel fliegen kann man gar nicht in einem Leben, dass es einen statistisch gesehen jemals erwischt», sagt der Flugangst-Coach. «Das alltägliche Leben ist wesentlich gefährlicher.»

Albtraum Abflug – die Zeit davor

Drei Jahre hat es gedauert, bis ich wieder so weit war, es zu probieren. Ich wollte nicht, dass das Leben an mir und meinen in der Zeit geborenen Kindern vorbeizieht. Damals war ich allerdings noch nicht weit genug für die eigenständige Angstüberwindung. Mein limbisches System schlug schon Alarmstufe Rot, sobald ich am Flughafen ankam.

Ich litt unter Magenschmerzen, Durchfall, Beklemmung, das Herz schlug mir bis zum Hals und ich war kaum ansprechbar. «Manche Passagiere schaffen es im letzten Moment nicht, über die Flugzeugschwelle zu treten oder rufen auf dem Rollfeld, dass sie sofort aussteigen wollen», erzählt Fasel.

«Ein Medikament löst die Ursache nicht. Es bekämpft nur die Symptome»

Flugangst-Coach und Pilot Thomas Fasel

Für die ersten Flüge hat mir daher ein angstunterdrückendes Medikament geholfen. Die kleine Tablette entspannte mich und ich konnte lernen, wieder zu fliegen. Pilot Fasel zeigt hierfür Verständnis, sagt aber: «Ein Medikament löst die Ursache nicht. Es bekämpft nur die Symptome. Nachhaltiger ist es, zu lernen, mit dieser Angst umgehen zu können.»

Angstfrei über den Wolken – geht das denn?

Die Flugangst komplett verschwinden lassen, das funktioniere meist nicht, so Fasel. «Aber wir können sie schrumpfen lassen – vom Sperrgepäck zum tragbarem Handtrolley sozusagen. Das reicht ja schon, um sich wieder auf den Urlaub freuen zu können.»

Ob das durch ein Flugseminar klappt, wie Thomas Fasel sie leitet, durch Literatur oder durch eine Verhaltenstherapie – da muss jede:r den eigenen Weg finden.

Mir persönlich hat detailliertes Wissen übers Fliegen (siehe Tipps unten) und Ablenkung in Form meiner Kleinkinder geholfen: Sie wollten auf dem Flug quasi nonstop irgendetwas von mir – und ich kam gar nicht mehr dazu, über Geräusche nachzudenken. Mittlerweile reichen meine Airpods und Boulevardmagazine.

Wenn ich jetzt am Strand von Ibiza liege, schaue ich einen Tag vor dem Rückflug nach, wie weit ich von zu Hause weg bin (2323 Kilometer). Und dann denke ich: «Ich check uns mal ein.»

5 Tipps vom Flugangst-Coach:

1.

1.

Medienberichterstattung in Relation setzen

«Über Flugzeugunglücke zu berichten, bedient die Faszination der Menschen für Katastrophen und verkauft das Produkt», erklärt Thomas Fasel. Er rät deshalb dazu, alle Artikel, Dokumentationen und Spielfilme in Relation zur Menge der Flüge zu setzen, in denen nichts passiert. Das sind im Jahr 2023 allein 38 Millionen weltweit gewesen.

2.

2.

Dem System vertrauen

Jeder Vorfall wird untersucht und es werden Handlungsempfehlungen entwickelt, die das System noch sicherer machen. Daran haben alle ein Interesse. Erst recht diejenigen, die an Bord eines Flugzeugs arbeiten. «Für viele Seminarteilnehmer:innen ist es ein Schlüsselmoment, wenn ich ihnen zeige, dass ich privat gern Golf spiele, fische und Schlagzeug spiele und ausserdem eine Tochter habe», erzählt der Pilot. «Sie sehen dann, dass da vorne zwei im Cockpit sitzen, die auch nur heil nach Hause kommen wollen.»

3.

3.

Sich Wissen aneignen

Was passiert, wenn ein Gerät ausfällt? «Dann besteht kein Grund zur Sorge», so der Flugangst-Coach. Flugzeuge seien so konstruiert, dass alle sicherheitsrelevanten Systeme wie die Hydraulik, die Navigation oder der Funk redundant sind. Das heisst, sie existieren mehrfach. «Ein Triebwerksausfall bedeutet daher nicht, dass man abstürzt», sagt Fasel. Der ungleichmässige Triebwerkslärm signalisiert wiederum nichts weiter, als dass die Pilot:innen glücklicherweise ihren Job machen – sie geben entsprechend unterschiedlich Schub. Solche Fakten zu wissen, hilft vielen erheblich weiter.

4.

4.

Die Physik kennen

Ein Flugzeug kann überhaupt nicht anders, als zu fliegen – das physikalische Prinzip des Auftriebs macht es möglich. Ebenso wie Wasser verfügt Luft über eine Struktur. Bei Turbulenzen im Reiseflug handelt es sich dabei schlichtweg um unterschiedliche Luftmassenverschiebungen, ähnlich wie Wellenbewegungen; bei einem gefühlten «Luftloch» um eine Luftmassenverschiebung nach unten. Die sind fürs Flugzeug in der Regel aber nicht gefährlich. «Noch nie ist ein Flügel abgebrochen, weil es zu turbulent war. Eher kippt der Kaffee um», sagt Thomas Fasel.

5.

5.

Flugroutine schaffen

Alles, was dafür sorgt, dass man sich wohlfühlt an Bord, ist erlaubt. Sich mit guter Musik oder Lektüre ablenken wie die Redaktorin, kann genauso helfen wie das mitgebrachte Kissen oder Kuscheltier. Psycholog:innen empfehlen visualisierende Hilfssätze wie «Heute Abend tauche ich meine Füsse schon ins Mittelmeer», Atemübungen oder Tapping, das Beklopfen von Akupunkturpunkten.

Weitere Unterstützung:

  • Lufthansa bietet ein Seminar gegen Flugangst an, auch in Zürich.
  • Auf TikTok sammeln sich unter dem Suchbegriff «Flugangst bekämpfen» etliche Betroffene und Expert:innen zum Thema.
  • Im Buch «Ich kann fliegen» von Vera Kantrowitsch (ca. 29 Franken) wird unterhaltsam über die Widrigkeiten des Fliegens geschrieben.
  • Die Folge «Flugangst» des Podcasts Cockpit-Buddy von Pilot Suk-Jae Kim liefert weitere Einblicke.
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