Alleine in Florenz: So war meine erste Solo-Reise
- Text: Sonya Jamil
- Alle Fotos: Sonya Jamil
Taschen packen und zum ersten Mal alleine verreisen – Reportage-Praktikantin Sonya Jamil über drei inspirierende Tage unter der florentinischen Sonne.
«Is everything alright, Lady?», werde ich freundlich von einer italienischen Kellnerin gefragt. «Si, si», gebe ich mit vollem Mund von mir und versuche, mich nicht am dicken Boden meiner Pizza Margherita zu verschlucken. Prompt kleckere ich mein weisses Spitzen-Shirt mit Tomatensauce voll. Nicht besonders ladylike. Die älteren Damen gegenüber meines «Table for one» prosten mir mit einem Glas Weisswein bestärkend zu.
Eat Pray Love in der Toskana
Obwohl ich sonst jede Entscheidung doppelt und dreifach überdenke, überkommt mich eine Woche vor Auffahrt ein Anflug von Spontanität. Kurzerhand buche ich ein Ticket und ein Bett im Massenschlag des günstigsten Hostels der mir fremden Stadt. Von Florenz wusste ich nur, dass Sandra Bullock in der romantischen Komödie «Während du schliefst» ihre Flitterwochen dort verbringen wollte. Und gar nicht weit weg von der Toskana ass, betete und liebte sich schon Julia Roberts durch ihren Selbstfindungstrip. In die Fussstapfen meiner Filmheldinnen zu treten setzt jedoch zunächst voraus, meine Unterkunft zu finden. Gar nicht so leicht für jemanden, der schon in der Heimatstadt trotz GPS kaum links von rechts unterscheiden kann.
«Ich bin zwar allein, aber nicht einsam»
Eine ruckelige Busfahrt und drei ungenaue Wegweiser später finde ich mich auf dem bepflasterten Innenhof einer Kirche wieder und hieve meinen Koffer über die unzähligen Treppen zum Hostel. Beruhigt stelle ich dort fest, dass ich mir ein Stockwerk mit 24 Personen teile und nicht wie angenommen ein Zimmer. Als ich die fehlende Seife im Badezimmer bemerke, beglückwünsche ich mich innerlich dafür, meine eigene mitgenommen zu haben.
Je ne comprends pas
Aus dem Garten der Unterkunft höre ich ausgelassenes Gelächter und fremdsprachige Gesprächsfetzen. Auf der Hinreise hatte ich einige italienische Basis-Sätze gebüffelt; bei den restlichen Hostel-Gästen aus Lyon und Toulouse angekommen, merke ich, dass es klüger gewesen wäre, mein Französisch aus dem Studium aufzufrischen. Mein Abschluss setzte damals zwar voraus, die Sprache zu beherrschen, davon übrig geblieben ist leider nur «un petit peu». Nun ja, da hilft nur noch Sonnenbrille aufsetzen, – so sehe ich immerhin nach französischem «Je ne sais quoi» aus.
Flanieren in Florenz
Meine Entdeckungstour durch die überschaubare Stadt mit über 300 000 Einwohner:innen führt mich an meinem ersten Tag durch malerische Gassen, über die historische Ponte Veccio vorbei an hübschen Boutiquen zur Piazza della Repubblica im Stadtzentrum. An jeder Ecke gibt es etwas Neues zu entdecken: Neugierig sauge ich die Eindrücke der Stadt auf und bin zwar allein, aber nicht einsam.
«Ich schätze mich glücklich, als Teil der Masse an diesem Moment teilzuhaben»
Angelockt durch die Gitarrenklänge des Strassenmusikers Yuri Menna stürze ich mich in das Menschengetümmel und singe ausgelassen zum italienischen Klassiker «Volare» mit. Als ein Pärchen zum Dirty Dancing Hit «(I’ve Had) The Time of my life» die berühmte Hebefigur präsentiert, schiessen mir und einer Gruppe junger Amerikanerinnen kollektiv die Tränen in die Augen. Spätestens da gehen alle meine Zweifel an die Reise flöten und ich schätze mich glücklich, als Teil der Masse an diesem Moment teilzuhaben.
Ein Kommen und Gehen
Gerührt und beschwingt kehre ich in meine Unterkunft zurück und schliesse mich den restlichen Twenty-Somethings an, die einander bei lauen Sommertemperaturen und einem Bier von ihrem Tag berichten. Die meisten sind auf Interrail-Reise und erzählen mir mit leuchtenden Augen, dass es für sie morgen nach Venedig und übermorgen nach Rom geht. «Where are you headed next?», ist an diesem Abend die meistgestellte Frage.
Mir wird einmal mehr bewusst, was für ein Privileg es ist, in der Schweiz einfach in einen Zug zu springen und einige Stunden später bereits in einem anderen Land zu sein. Als ich zugebe, dass es für mich nach Florenz wieder heimgeht, schwärmt die Gruppe vom Gleitschirmfliegen über das traumhafte, aber teure Interlaken und witzelt über eine verstörende Nacht in einem Berner Club. Ich geniesse den süssen Small Talk mit meinen neuen Freund:innen aus England, Argentinien und Kanada und weiss, dass ich die Hälfte von ihnen vermutlich am nächsten Tag nicht mehr sehen werde.
Die Ja-Sagerin
Als ich am zweiten Tag von meinen Mitbewohner:innen gefragt werde, ob ich mir den Schiefen Turm von Pisa ansehen will, sage ich impulsiv zu. Geht es nur mir so oder ist der Turm gar nicht so schief? Wie dem auch sei: Trotz Affenhitze und FFP2-Maske im Zug freue ich mich, dass ich genug Vertrauen in meine neuen Bekanntschaften gefasst habe, um einen Tagesausflug mit ihnen zu unternehmen.
«An meinem letzten Abend schlendere ich mit meiner sympathischen Riesen-WG durch die florentinischen Strassen»
Zurück in Florenz besuchen wir abends ein Gratiskonzert eines Jugendorchesters und gönnen uns beim Dom ein Gelato. Dass meine Kombination aus Himbeere und weisser Schokolade aufgrund einer unglücklichen Bewegung auf dem Asphalt landet, lasse ich hier mal so stehen.
Firenze von oben
Am Tag darauf steht alles im Zeichen der Natur und ich wage alleine den Aufstieg zu den Gärten Boboli und Bardini. Einem älteren Herren, der mich auf dem Weg dorthin unangenehm spezifisch nach meinem Leben ausfragt, lüge ich das Blaue vom Himmel: Ich bin mit Freund:innen in Florenz, glücklich verheiratet (ein Hoch auf Modeschmuck) und natürlich ist auch ein Baby an Bord. Dass es ein Food-Baby ist, muss er ja nicht wissen.
Der Ausflug ins Grüne dauert zwar deutlich länger als angegeben, aber was den Italiener:innen an zeitlicher Genauigkeit fehlt, machen sie mit Hilfsbereitschaft wett, als mir bei der Kletterpartie die Puste ausgeht. Die Aussicht auf Florenz ist dafür umwerfend. Zu blöd, dass ich meinen Roman im Hostel habe liegen lassen. In meiner romantisierten Vorstellung blättere ich in den schattigen Gärten umgeben von wilden Rosensträuchern gedankenversunken darin und wirke dabei sehr geheimnisvoll auf Aussenstehende. Mein nachdenklicher Blick, der über die friedliche Landschaft schweift, muss mysteriös genug sein.
An meinem letzten Abend schlendere ich mit meiner sympathischen Riesen-WG durch die florentinischen Strassen. Mit einem Stracciatella-Eis in der Hand machen wir bei einer Wein-Bar halt. Erst in den frühen Morgenstunden kehre ich in mein überhitztes Sechser-Zimmer zurück, – leicht beschwipst und glücklich über die bereichernden Erfahrungen. Ich packe meine grossen und kleinen Erinnerungen in meinen Koffer und rolle ihn wieder nach Zürich, wo er gespannt auf die Abenteuer der nächsten Solo-Reise wartet.
Meine 6 Tipps für Alleinreisende
1.
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Ein Wochenendtrip in eine überschaubare Stadt eignet sich ideal.
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Alleine essen ist unter freiem Himmel nur halb so tragisch.
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In einem Hostel lernt ihr schneller neue Leute kennen.
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Kauft euch mobile Daten für unterwegs, falls ihr euch auch so schnell verirrt wie ich.
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Behauptet mit Freund:innen unterwegs zu sein, falls ihr euch in Gesprächen mit Fremden unwohl fühlt.
6.
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Sagt «Ja» zu spontanen Erlebnissen.
Glückwunsch zu deinem Praktikumsplatze, liebe Sonya! Über seinen Schatten zu springen, tut immer gut! Ich bin gespannt, wohin deine nächste Reise führt. Was ist ein “Foodbaby”?
Liebe Angela
Danke für deinen netten Kommentar! Haha ein Foodbaby entsteht, wenn man zu viel gegessen hat und der Bauch deshalb so aussieht, als wäre man im 4. Monat schwanger. 🙂
Liebe Grüsse und bis bald
Sonya
das muss ich mir unbedingt merken, vor allem in meinem Alter!!