Dramatisches Klima, wilde Landschaften, ausgezeichnetes Essen, viel Meer und Moor: Isle of Skye an der Westküste Schottlands.
Als wir den Hafen von Elgol erreichen, steht der Weltuntergang kurz bevor. Eine unheilvolle Wolke kriecht auf uns zu. Tintenblau wälzt sie sich über die Bucht. Bedrohlich, unabwendbar. Die verschneiten Gipfel der Cuillins hat sie längst verhüllt, jetzt verschluckt sie auch die Klippe zu unserer Rechten, den Kiesstrand und das Haus mit dem Schieferdach. Dramatisches Wetter gehört zu den Attraktionen der Isle of Skye, also kosten wir eingepackt in Schichten wasserfester Kleidung das Spektakel der Luftmassen aus. Immer wieder bündelt die Natur alle Energie für ein perfektes Schauspiel. Als die ersten Tropfen auf uns niederprasseln, ist es so gut wie dunkel. Zeit, ins Guesthouse zurückzukehren. Die Wirtin hat schon am Nachmittag das Feuer im Ofen entzündet.
Unvorstellbar, dass ich vor dreissig Jahren auf dieser Insel gezeltet haben soll. Mit dem Velo waren wir damals unterwegs. Von Inverness nach Dover. Geregnet hat es im Sommer 1986 jeden Tag. Nie wieder, habe ich mir damals geschworen.
Skye ist eine raue Insel. Das Gegenteil von Toscana. Eine Zumutung! Nichts hier ist mild, idyllisch, einladend. Dafür ist sie an herber Schönheit kaum zu überbieten. Hier, auf dieser 78 Kilometer langen und 43 Kilometer breiten Klippe in Schottlands Nordwesten, liegt das beeindruckendste Gebirge Grossbritanniens. Seit Tagen grinsen uns die frisch verschneiten Gipfel an: ein Sägeblatt voller Zacken. Die Cuillin Hills steigen direkt aus dem Meer auf und erheben sich auf fast tausend Meter.
Gott sei Dank müssen wir heute keine Heringe in die nassen Wiesen drücken und uns Sorgen um die Stabilität des Zeltgestänges machen. Stattdessen wohnen wir in einem 300 Jahre alten Haus, das zwischen kleinen Farmen auf der Wiese steht. Clare und Iain aus London haben ihren hektischen Juristenjob an den Nagel gehängt, um sich als Gastgeber zu betätigen. Die Treppe im verwinkelten Farmhaus, das die Winskills gekauft haben, ächzt wie ein Dreimaster, und es gibt nur zwei Gästezimmer. Statt Kitsch findet man im Coruisk House alte Feuerstellen, schlichte Holztische und getöpferte Milchkrüge. «Es war uns wichtig, dass wir in unserem neuen Leben Zeit genug haben, um zu wandern», sagt die 47-Jährige. Trotzdem haben die beiden sich etwas Ungewöhnliches vorgenommen: Sie betreiben das einzige Restaurant in der entlegenen Gemeinde Elgol. Draussen prasselt der Regen auf das Wellblechdach der Scheunen, in der Gaststube mit den sechs Tischen ist es umso gemütlicher; der gedünstete Fisch mit gebackenen Schweinsohren und selbst gemachtem Brot schmeckt herrlich frisch.
Noch vor wenigen Jahren wäre ein Unterfangen wie das von Clare und Iain zum Scheitern verurteilt gewesen. Nach Skye kam man, um zu wandern und zu fischen, gehobene Gastronomie spielte keine Rolle. Jeder wusste, was ihn auf der Insel erwartete: Einsamkeit, spektakuläre Natur und mittelmässiges Essen. Mehr als achtzig Wandertouren verzeichnet der klassische Cicerone-Guide, über die lokale Verpflegung verliert das laminierte Büchlein keinen Ton.
«Dabei gibt es auf dieser Insel genügend Produzenten, die hervorragende Qualität liefern», sagt Clare. «Sauberes Meer, klare Seen und Flüsse und unverschmutzte Luft sind gute Voraussetzungen für Wanderer, aber auch für Fischer und Bauern.»
Zwei von Clares Lieferanten treffen wir tags darauf an der Fähranlegestelle von Sconser. Ben Oakes, ein Bär von einem Mann, kämpft noch mit seinem mächtigen Drysuit, während sein Vater David bereits im Schlauchboot sitzt und die Ausrüstung ordnet. «Als ich vor 18 Jahren begonnen habe, nach Jakobsmuscheln zu tauchen», sagt David, «habe ich den gesamten Fang auf Eis gepackt und nach Frankreich geschickt.» Heute liefert der 56-Jährige die meisten Muscheln an Restaurants auf der Insel. Frischere und bessere Scallops als auf Skye gibt es vermutlich nirgends auf der Welt. Das Wasser ist so sauber und kalt, dass hier besonders feste und schön gefärbte Muscheln geerntet werden.
Die Arbeitsbedingungen sind eisig. Wenn David nachhause kommt, bibbert er oft stundenlang vor dem Ofen. Wir löffeln die Suppe seiner Frau; Gemüse aus dem Garten, im Kessel gekocht. «Hier oben braucht alles ein bisschen länger», meint David, «deshalb ist es umso leckerer.» Echtes Slowfood eben. Ben fügt hinzu: «Das betrifft den Rhabarber genauso wie die Beeren, die Lämmer, den Hummer.»
Für den Nachmittag haben wir uns eine Wanderung am Südzipfel der Insel vorgenommen, dem Point of Sleat. Schafe stehen auf der Weide, alte Traktoren rosten vor sich hin, die Landschaft ist einsam, karg und wunderschön. Bäume sind Mangelware, stattdessen Farn, Moos und Heide überall. Viele schnell wachsende Nutzwälder werden derzeit abgeholzt, um einen Neuanfang mit den ursprünglichen Laubbaumarten zu versuchen.
Skye ist zwar menschenleer, aber keine Wildnis. Jahrhundertelang hat der Mensch hier besonders stark eingegriffen. Es wurde gerodet und eingezäunt, es wurden Steinmauern errichtet, Moore trockengelegt, um Ackerbau zu betreiben. Weich sind auf Skye nur die Böden, in denen der Wanderschuh versinkt. Gerade noch sind wir über harten Granit marschiert, schon tut sich zwischen den Felsen ein schmatzender Sumpf auf.
So richtig dreckig werden wir auf der Orbost Farm auf der Halbinsel Duirinish. Um zu den gälischen Rindern und ihren Kälbern zu gelangen, waten wir durch tiefen Schlamm. Keith Jackson zuckt mit den Schultern. Der Farmer und Jäger trägt hohe Gummistiefel und ist den Morast längst gewohnt. Dafür haben seine Soay-Schafe, Iron-Age-Schweine und Hochlandrinder jede Menge Auslauf. Keith ist auf zottige Urrassen spezialisiert und stolz auf seine nachhaltige Landwirtschaft. «Angefangen hat alles damit, dass wir unseren Kindern gute Nahrungsmittel bieten wollten», sagt Keith, «und nicht diesen Frass, den man in den Supermärkten bekommt.» Inzwischen hat er sich für seine Fleischqualität einen Namen gemacht, und neulich kam sogar der Schauspieler Gérard Depardieu mit einem Drehteam vorbei, um drei Tage lang mit Keith zu grillieren, zu fischen und zu völlern. «Gérard war absolut grossartig», schwärmt Keith. «Ich habe noch nie jemanden gesehen, der mehr futtern und trinken kann als er.»
Wenige Kilometer von Orbost entfernt liegt im Nirgendwo das kleine Restaurant, welches Skye auf die kulinarische Europakarte brachte. Von aussen sieht es aus wie alle Häuser auf der Insel: geweisselt und mit steilem Schieferdach. Schlicht und einfach. «Ganz früher war das Gebäude ein Laden», sagt Shirley Spear, Gründerin und ehemalige Chefköchin des «Three Chimneys». «Die Waren wurden von kleinen Dampfern aus an Land gerudert.» Das ist lange her. Sie selbst übernahm das Restaurant vor dreissig Jahren als Tearoom und begann, «wunderbare dicke Suppen und Eintöpfe» zu kochen. Als Shirley beschloss, alte schottische Rezepte wiederzubeleben, runzelte man allenthalben die Stirn. Heute trägt die resolute Frau im flauschigen Wollcape den blumigen Titel Ambassador for Food and Drink for the Highlands and Islands, und sie nimmt kein Blatt vor den Mund: «Das Essen auf Skye war früher fad und belanglos.» Manche Gäste wollen ihr bis heute nicht glauben, dass die Meeresfrüchte, die im «Three Chimneys» serviert werden, aus dem heimischen Meer stammen. Gutes Essen wird von vielen nach wie vor mit dem Mittelmeer assoziiert. «Dabei haben wir hier die besten Muscheln und den besten Hummer der Welt.»
2015 wurde das «Three Chimneys» vom «Guide Michelin» ausgezeichnet und ist das zweite Restaurant auf Skye mit einem Stern. Doch genauso wichtig wie die Spitzenküche sind kleine Lokale wie Ella’s Café in Uig. Es liegt direkt hinter der Tankstelle, und man bekommt hier antiquarische Bücher und gebrauchte Kinderkleidung, aber auch Fischpasteten mit selbst gemachtem Chutney oder Lauchsuppe. Gestärkt machen wir uns auf den Weg in den äussersten Norden der Insel. Der Rücken des verwunschenen Trotternish-Gebirges ist genauso zerkrümelt wie die gerade erstandenen Haferguetsli, die im Rucksack leider keine Chance haben. Zwischen Felsformationen mit schönen Namen wie Prison, Table oder Needle hindurch marschieren wir nach oben. Als wir den Kamm erreichen, bläst der Wind so stark, dass die Wolken im Eiltempo über den Himmel wischen. Sonne. Schatten. Sonne. Eine Landschaft, gescheckt wie ein Kuhfell. Das Meer schäumt zornig in der Ferne, Skye ist erneut in Höchstform.
Zum Glück hält das 5-Sterne-B&B The Spoons nicht nur stilvolle Antiquitäten und zeitgenössische Kunst, sondern auch einen Trockenraum für Outdoor-Ausrüstung bereit. Auf unserer Wanderung über den Meall-na-Suiramach-Gipfel hatten wir uns in den winzigen Bächen, welche die Flanken des Bergs überziehen, nasse Füsse geholt. Zur Begrüssung im «Spoons» gibt es selbst gebackene Scones und Anekdoten aus dem Leben der Gastgeberin.
Am nächsten Morgen brechen wir zeitig auf zu den berühmten Cuillin Hills. Eine Gipfelbesteigung steht nicht zur Debatte, Sturmböen von über hundert Stundenkilometern fegen über die Zacken. Als Alternative schlägt unser Tourguide Ian Stephenson eine Wanderung zu zwei Bergseen vor. Im strömenden Regen steigen wir vom Strand zum ersten Loch hinauf, wo sich der Regen abwechselnd in Hagel und Schnee verwandelt. Kein Wunder, dass Ian von verschiedenen Bergausrüstungsfirmen als Materialtester beschäftigt wird. «Wenn dir das Wetter auf Skye nicht gefällt», sagt er, «warte fünf Minuten.»
Ian ist einer von neun geprüften Mountain Guides auf Skye. Er hat die zwölf Kilometer lange Überschreitung des Cuillin-Rückens schon etliche Male am Stück absolviert: 4000 Höhenmeter, zehn Hauptgipfel, eine Tortur. «Jeder britische Alpinist, der etwas auf sich hält, muss das einmal gemacht haben.» Immer wieder reisst der Orkan mächtige Löcher in die Wolkendecke, und wir blicken abwechselnd zu den verschneiten Gipfeln oder auf das glitzernde Meer. Die letzten Höhenmeter wandern wir zwischen mächtigen Granitbrocken zum Loch Coir’ a’ Ghrunnda. Überall fliesst Wasser, überall ist Wind und Schnee, dazwischen gleissendes Sonnenlicht. Es ist unwirklich schön hier oben – und unglaublich kalt. Ian reicht mir die Thermoskanne mit warmem Tee, während ich in Gedanken bereits in die Badewanne unseres B&B rutsche. Ein Regenbogen wächst aus der Heide in den Himmel. Meine Finger sind klamm. Skye ist eine Zumutung, vielleicht die schönste Zumutung Europas.
Die Isle of Skye in Schottland ist die Dramaqueen unter den Inseln. Damit Sie die ungezähmte Schönheit geniessen können, verrät Ihnen unser Autor nützliche Reise-Tipps.
1.
Alltäglicher Wetterwechsel: Am Hafen von Elgol braut sich etwas zusammen.
2.
«Angefangen hat alles damit, dass wir unseren Kindern gute Nahrungsmittel bieten wollten»: Züchter Keith Jackson mit einem Hochlandrind. Im Hintergrund die Cuillin-Kette
3.
Walk on the Wild Side: Beim Marsch durch die Quiraings wechseln Wetter und Gefühle im Minutentakt.
4.
Garstig: Selbst im Sommer klettert das Thermometer selten über 17 Grad, im Coruisk House glüht der Ofen schon mittags.
5.
Neunzig Meter in die Tiefe: Am Kilt Rock donnert das Wasser von der Steilklippe ins Meer.