Reality Check: Der Leo ist los!
- Text: Andrea BornhauserFotos: Ornella Cacace, ImaxtreeHaare und Make-up: Sabrina Wüst für Style Council/Zürich
Modereporterin Andrea Bornhauser testete den Raubkatzen-Look auf seine Alltagstauglichkeit.
Seit ich zwanzig bin, hausen in meinem Kleiderschrank immer wieder mal wilde Tiere. Es sind vor allem Leoparden, die es sich zwischen meinen Blusen und Blazern bequem machen – als Animalprint auf dem Strickkleid von Gérard Darel, der Acne-Bluse oder auf meiner neusten Errungenschaft, einem Pullover des Pariser Labels A. P. C. Dessen abstrakter Leoprint ist mausgrau auf asphaltfarbenem Strick. So französisch, so sophisticated. Was aber, wenn sich das tierische Muster weniger in Zurückhaltung übt und für alle sichtbar, grossflächig getragen wird? So wie von diversen Designern für diesen Herbst vorgesehen? Eine Frage für den Reality Check.
Ich verlasse das Haus in einem als Ozelot getarnten Mantel aus Ziegenfell, die Tasche ist ein Pony, das so tut, als wäre es ein Leopard, und die Schuhe, die sind einfach nur sehr hoch. Der Look hat was von Catherine Deneuve in den Sechzigern, wie sie im Leoparden-Pelzmantel, mit diesem perfekt unperfekten Haar und einer Zigarette im Mundwinkel an Filmpremieren auftauchte. So nonchalant, wie es nur Französinnen sein können. Und wie in diesem Moment auch ich. Jedenfalls fühle ich mich so, als ich die Zürcher Bahnhofstrasse hinunterschlendere, ein Chanson von Serge Gainsbourg summend.
Das Ziegenfell – übrigens laut der Designerin von einer glücklichen Geiss aus Italien – fühlt sich überraschend pelzig an, weich und kuschlig. Ein ungewohntes Traggefühl für eine wie mich, die keinen Pelz anzieht. Ungewohnt auch die mehr oder weniger unverhohlenen Blicke. Vor allem von Männern. Sind die etwa alle Tierschützer?
Ich entscheide mich, bei einem Typen um die zwanzig mal nachzufragen, was er von meinem Look hält. Erst ein schiefes Lächeln, ein kurzes Zögern und dann: «Ähm, ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber in der Kombi lässt Sie das Outfit ein wenig, nun ja, cheap wirken.»
Die Schuhe! Vermutlich liegt es an diesen sündhaft hohen, aber erstaunlich bequemen Plateau-Schnürstiefeln. Auf keinen Fall kann es am Raubkatzenmuster liegen! Denn das haben Modehäuser wie Dries van Noten, Balmain und Etro in ihren Herbstkollektionen in allen Facetten gezeigt. Mal abgesehen davon, dass ich persönlich der Meinung bin, dass dieses Muster so zeitlos und elegant ist wie ein Trenchcoat von Burberry.
Je länger ich jedoch an diesem Tag unterwegs bin, desto mehr muss ich mir eingestehen, dass ein Mantel in Raubkatzenoptik für den Durchschnittsbürger eher etwas von der Sexiness einer italienischen TV-Moderatorin im knappen Roberto-Cavalli-Corsagenkleid hat als von der nonchalanten Eleganz einer Catherine Deneuve.
Zumindest haben mir noch nie so viele Männer so ungeniert nachgestarrt, egal ob Banker oder Bauarbeiter. Das kann man – eine Zeit lang – mögen. Als jedoch ein solariumgebräunter Anzugträger mit silbrigen Schläfen und zweideutigem Augenzwinkern Kurs auf mich nimmt, beschliesst die Catherine Deneuve in mir, dass es höchste Zeit ist, nach Hause zu gehen.
Testroute
Zürcher Bahnhofstrasse – Kaffee an der Globus-Bar – Zugfahrt an den Flughafen – Bummel durch die neue Markthalle im Viadukt Zürich
1.
«Noch nie haben so viele Männer mir ungeniert nachgestarrt»
2.
Andrea Bornhauser in der Stadt Zürich…
3.
… und am Flughafen