Fashion
Pro und Kontra: Was soll der Hype um die Big Red Boots von MSCHF?
- Text: Jacqueline Krause-Blouin, Jana Schibli
- Bild: Instagram / tommygenesis
Instagram und Tiktok werden gerade mit Content von überdimensionalen roten Boots überschwemmt. Fashion Must-Have oder nur etwas für Streetstyle-Opfer? Unsere Autorinnen Jacqueline Krause-Blouin und Jana Schibli liefern sich ein modisches Pro und Kontra.
Kontra: «Dorothys 3D-gewordener Albtraum in Babybell-Rot!»
Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin:
«Florals? For spring? Groundbreaking.» Kennt Ihr die ikonische Szene aus «The Devil Wears Prada»? Genauso unbeeindruckt bin ich, wenn ich bewusst hässliche Schuhe sehe. Ugly shoes for life in the internet? Groundbreaking. Schockt das wirklich noch irgendwen? Was der Dad-Sneaker, der Ugly Clog, der Ugly Croc (!), die Assilette bereits vor Jahren getan haben – viral gehen und gleichermassen Empörung wie Euphorie auslösen – tut jetzt halt der Big Red Boot.
Geschaffen wurden diese, ehm, Objekte, vom New Yorker Kollektiv MSCHF, das schon im letzten Jahr durch die «Satan Shoes» (Nike Air Max Sneaker, die angeblich mit einem Tropfen Blut versehen waren und für $ 1018 über den Ladentisch gingen) für Aufsehen gesorgt hatte. Und da wären wir auch schon beim eigentlichen Punkt: Aufmerksamkeit. Es geht ausschliesslich um den Hype. Um des Hypes willen. Und das langweilt mich schon seit Vetements DHL-Shirt für 700 Franken.
Was mich allerdings immer wieder aufs Neue überrascht bis erschreckt, ist die Hype-Lüsternheit der (Online-)Fangemeinde. MSCHF sind denn auch mehr Werbeagentur als Fashion-Brand und man muss sagen, in Sachen Vermarktung sind sie definitiv Klassenbeste. Ausgewählte Influencer:innen und Concept Stores bekamen vorab ein paar Big Red Boots zugeschickt und kreierten damit das, was man allenthalben als «organic content» bezeichnet: authentische, selbst produzierte, vermeintlich nicht bezahlte Videos und Fotos, die Begehrlichkeit auslösen, bei all denen, die nicht zum illustren Kreis gehören.
Die Big Red Boots, Dorothys 3D-gewordener Albtraum in Babybell-Rot, der heilige Gral für alle Streetstyle-Opfer, werfen vor allem eine Frage auf: Wie schlimm muss man seine Realität finden, wenn man freiwillig wie eine Comicfigur (Astro Boy, ich weiss!) herumläuft? Wobei das mit dem Herumlaufen offenbar so eine Sache ist: Influencer:innen sind sich einig, dass die Dinger vor allem für statische Momente gemacht sind. Im Internet. Und da sollen sie bitte auch bleiben. Mode, die nur für die Inszenierung gemacht ist, verliert nämlich innert kürzester Zeit ihre Berechtigung.
Mir jedenfalls entlocken diese getunten Moonboots keinen Sturm der Entrüstung, sondern höchstens ein gelangweiltes Schulterzucken. Was wiederum der Albtraum von MSCHF sein dürfte: «Wir haben kein Problem damit, gehasst zu werden», sagte Mitbegründer Daniel Greenberg kürzlich der New York Times. «Wir wollen nur keine Apathie.»
Pro: «Seien wir ehrlich: Man verknallt sich oftmals in die Idee eines Kleidungsstücks»
Redaktorin Jana Schibli:
Ich musste unweigerlich lächeln, als ich die absurden roten Dinger vom New Yorker Künstlerkollektiv MSCHF vor circa zwei Wochen zum ersten Mal in einer Instagram-Story sah. Sie sind die Karikatur eines Schuhs – und des Phänomens der viralen Accessoires, das momentan besonders effektiv von Designer Jonathan Anderson und seinem Faible für Taubentaschen und Ballon-Heels ausgelebt wird.
Vor allem aber sind sie ein Kommentar zu unserem Verhältnis zu Mode in einer Zeit, wo das Internet praktisch unser ganzes Leben prägt. Denn seien wir ehrlich: Wenn es um Online-Shopping geht, verknallt man sich oftmals in die Idee eines Kleidungsstücks. Es wurde am Model zurechtgeklammert und mit vorteilhaftem Licht beschienen, um bei der Ankunft zu Hause lediglich eine verblasste Erinnerung an sein virtuelles Alter Ego zu sein. Ultra-Fast-Fashion-Anbieter wie Shein haben dies perfektioniert. Die roten Stiefel sind eine Gummi-gewordene Inkarnation dieser Idee.
«Wenn die Hälfte der Turnschuhe, die wir in den sozialen Medien sehen, Renderings sind, erwarten wir ein gewisses Mass an Unwirklichkeit», meint denn auch MSCHF. Ceci n’est pas une botte. So kann man die Stiefel guten Gewissens als Kunstwerk bezeichnen. Obwohl sie ihre Grenzen haben, wie die TikToks von Träger:innen zeigen, die nach dem Probieren ihre Füsse nicht mehr aus den Boots kriegten. Das Model Wisdom Kaye ritzte kurzerhand lange Schlitze in den Schaft seiner Stiefel, um diese funktional zu machen. Gute Kunst ist nicht zwingend gutes Produktdesign.
Und trotzdem: Die Diskussionen über das Internet und die Mode, die wir dank dieser Stiefel gerade führen, sind mir zehntausendmal lieber als alle ausgangslosen und geldgesteuerten Gespräche der letzten Jahre über das modische Metaverse und (ugh!) NFTs.
Ich werde mir die 350 US-Dollar dennoch sparen, wenn die Schuhe ab heute für die breite Masse erhältlich sind. Denn die letzten zwei Wochen im Internet haben uns wieder einmal gelehrt, dass zu viel des Guten eben vor allem eines ist: zu viel.