Modefachmann und Einkäufer Andreas Finke über Zwischenkollektionen und frierende Ladys.
ANNABELLE: Andreas Finke, was sind Precollections?
ANDREAS FINKE: Die Precollections waren ursprünglich für eher wohlhabende Kundinnen gedacht: oft New Yorker Ladys, denen es zu kalt wurde im Winter und die nach Miami, auf die Bahamas und auf Kreuzfahrten wollten, im November aber keine passenden Outfits fanden, weil bloss Winterware in den Geschäften hing. Die ersten dieser Zwischenkollektionen – damals Cruise oder Resort genannt – waren meist in Weiss-Blau-Rot gehalten und bestanden aus sommerlich-leichten Teilen.
Und heute?
Sind das Kollektionen, die nicht mehr nur bloss von der Ergänzung mit Teilen aus der Hauptkollektion leben. Sie sind wirtschaftlich enorm wichtig geworden. Bei Häusern wie Gassmann sind sie inzwischen für fast fünfzig Prozent des Umsatzes verantwortlich. Wir mussten unser Einkaufsbudget sogar massgeblich umlagern. Inzwischen bieten auch relativ kommerzielle Labels wie Windsor im mittelpreisigen Segment Precollections an.
Tragbare Kleider als kleine Vorschau
Warum sind diese Zwischenkollektionen auf einmal so wichtig?
Massgeblich daran beteiligt sind sicher die Red Carpets – Stars tragen da oft Kleider, die zu Precollections gehören, Looks, die der Öffentlichkeit noch nicht bekannt sind. In den letzten Jahren entwickelten sich Precollections zu Kollektionen mit eher tragbaren Kleidern, bei denen der jeweilige Designer der Kundin eine kleine Vorschau gibt, in welche Stilrichtung die Hauptkollektionen gehen werden. 2010 etwa war ein Wendepunkt, als der US-Designer Michael Kors als Erster kommunizierte, dass die Precollections für ihn wirtschaftlich am wichtigsten geworden seien.
Ist diese neue Entwicklung womöglich eine Reaktion auf Fastfashion-Häuser wie Zara und H&M, die alle paar Wochen neue Kollektionen präsentieren?
Das hatte sicher eine Auswirkung: Seit Informationen über Blogs so schnell zugänglich sind, nehmen die Highstreetlabels sehr schnell Trends auf. Ich bin da ein Nostalgiker: Ich mochte es, am Tag nach der Akris-Show zum Kiosk zu schlendern, die Zeitung zu kaufen und die Kritik zur Show zu lesen. Gehen mit dieser neuen Schnelllebigkeit auch negative Seiten einher – etwa ein Qualitätsabfall der Kollektionen? Überhaupt nicht. Ich spreche oft mit Designern darüber – sie sagen, man habe sich an die Precollections gewöhnt und behandle sie gleich wie die Hauptkollektionen. Precollections sind sehr schön und wertig.
Die Nachfrage ist gross
Jetzt kaufen Sie also nicht mehr zwei, sondern vier Kollektionen ein. Wie hat dieser neue Zyklus Ihren Job verändert?
Ich habe das alles immer wieder mal hinterfragt und mich lange geweigert, Precollections zu kaufen. Weil ich die Kundschaft nicht verwirren wollte. Mir war das zu unstrukturiert. Aber die Nachfrage ist gross – auch bei den Männern. Mein Job ist etwas strenger geworden. Man reist mehr, muss alles viel genauer planen: Was kaufe ich ein, wann wird das geliefert, was habe ich aus der Hauptkollektion gekauft, gibts da etwas als Ergänzung? Fragen die Kundinnen bei Gassmann denn mittlerweile konkret nach Precollections?
Die Kundschaft weiss in der Regel nicht, was das ist. Aber man erwartet nach drei Monaten neue Ware, man weiss, da kommt irgendwas rein.
Ein Blick in die Zukunft: Werden die Precollections einmal die Haute Couture ausstechen?
Nein. Haute Couture wird immer einen ganz besonderen Stellenwert haben, auch wenn diese Frage immer wieder mal in den Showrooms diskutiert wird. Wir sprechen hier von der wunderbarsten Handwerkskunst und Kleidern, von denen man träumen kann.
— Andreas Oliver Finke (47) ist stellvertretender CEO und Einkäufer bei Gassmann in Zürich. Er hat Kulturwissenschaft studiert, steht bei Fashionshows lieber ganz hinten, weil er dort das Geschehen besser beobachten kann, und liebt den Stil der Mailänderinnen. Vor seiner Tätigkeit bei Gassmann arbeitete er bei Labels wie Akris und Escada und dozierte an der Universität Zürich im Fachbereich Kommunikation.