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Postkarte vom Jet d’eau: Blasierter Potenzprotz

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Postkarte vom Jet d’eau: Blasierter Potenzprotz

  • Redaktion: Frank Heer; Text: Claudia Senn; Fotos: Fabian Unternährer

Herrlich nass: Der Jet d’eau in Genf schiesst bis zu 140 Meter in die Höhe.

Eines Tages im Sommer, der Regen prasselte gerade wie eine biblische Plage, wurde ich Zeugin einer seltsamen Begebenheit. Ich ging am Ufer des Genfersees spazieren, weil ich hoffte, dort exzentrische Touristen zu treffen, einen arabischen Scheich vielleicht, mit seinem Harem aus drallen, gigelnden Schönheiten. Stattdessen sah ich bloss einige lethargische Enten, die mich missmutig beäugten. Meine Füsse suppten in den völlig durchweichten Schuhen hin und her und gaben schmatzende Laute von sich. Schon glaubte ich zu spüren, wie mir zwischen den Zehen Schwimmhäute wuchsen. Ich fragte mich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sich Algen in meinen Socken ansiedeln und kleine, wirbellose Lebewesen. Da vernahm ich plötzlich ganz nah und deutlich eine Stimme: «Freundchen, was du kannst, kann ich schon lange!» Ich schaute mich um, doch da war niemand, bloss der Jet d’eau, der stoisch seine Fontäne in den Himmel spuckte. Hatte ich mich etwa verhört? Liessen mich meine Ohren im Stich, weil sie sich auf das künftige Leben unter Wasser einstellten, das unweigerlich käme, wenn die Sintflut so weitermachte?

Die zweite Stimme

Dann – es klang mehr wie ein Gurgeln und Gluckern – antwortete eine zweite Stimme: «Dass du es wagst, so mit mir zu reden, du kleiner Pisser!» Huch! Was ging hier vor? «Bitte nicht in diesem Ton!» rief ich, denn ich halte Höflichkeit für eine Zier. Schon meldete sich die erste Stimme wieder: «Schieb ab mit deinem spiessigen Getropfe, du Langweiler! Glaubst du etwa, dass du mich mit diesem Kinderkram beeindruckst?» «Ich zeige dir gleich, was Kinderkram ist, du bornierte Touristenattraktion!» Der Regen verwandelte sich in einen tosenden Wolkenbruch. «Und darauf bildest du dir etwas ein?», war wieder die erste Stimme zu vernehmen. «Immer nur von oben nach unten! Gähn! Ich wette zehn Tiefdruckgebiete, dass dus nicht umgekehrt schaffst, so wie ich!» Nun schien der Jet d’eau auf seine üblichen 140 Meter noch einen oder zwei draufzusetzen. Aha, ich war also in eine Art Wettpinkeln geraten.

Eine Weile hörte ich zu, wie der Springbrunnen den Regen als «Sklaven der Schwerkraft» niedermachte und der Regen mit «blasierter Potenzprotz» zurückpöbelte. Dann kam mir ein Gedanke: Was, wenn wir die aktuelle Wetterlage diesen beiden Super-Egos zu verdanken hatten? Es musste etwas geschehen. «Hey, Jet», rief ich, «hast du gewusst, dass du auf der Liste der höchsten Springbrunnen bloss auf Rang sieben stehst? Es gibt viel grössere als dich, sogar in so abgelegenen Weltregionen wie Karachi.» Der Jet d’eau verstummte peinlich berührt und schien plötzlich unter erektiler Dysfunktion zu leiden. «Und du, Regen», sagte ich, «mach endlich Ferien in Kalifornien. Die brauchen dich da. Es steht schon wieder der ganze Busch in Flammen, weil du ewig hier herumtrödelst.» Der Regen liess beschämt ein kurzes Abendrot am Horizont aufglühen. Bald schon begann es aufzuklaren. Zufrieden sass ich im Café bei meinem Pastis und freute mich, dass ich die Welt gerettet hatte. Es fühlte sich grossartig an.

Viel zu sehen für wenig Geld

Den besten Blick auf den Jet d’eau und seinen entzückenden Bonsai-Leuchtturm hat man von der Mole der Bains des Pâquis, Genfs schönstem Freibad. Eintritt: 2 Franken für Erwachsene, 1 Franken für Kinder. In der dazugehörigen Buvette gibt es auch bei Regen französische Küche. www.bains-des-paquis.ch

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