Stil
Postkarte von einer Städtereise nach Wien: Schnitzeljagd und Kaffeekult
- Text: Frank Heer; Fotos: Adrian Elsener
Ein kulinarischer Bummel durch Wien und die Suche nach dem besten Schnitzel der Stadt.
Traditionell aber überhaupt nicht altbacken: Die Wiener Küche erfindet sich stetig neu. Ein kulinarischer Städetrip in Österreichs Hauptstadt.
Der Wiener Küche ist die Schwere angeboren. Was erwartet man auch bei diesen Nachbarn: Tschechien, Slowenien, die Slowakei, Ungarn? Eine Wiener Bekannte hatte kurz vor unserer Abreise behauptet: «Wenn wir einfach immer so weitergetafelt hätten wie seit Jahrhunderten, also alles rein, was frittiert, gebraten, gebuttert, verstrudelt und verzuckert ist, dann wären wir heute weg. Ausgestorben. Todesursache: Herzverfettung.»
Glücklicherweise kam es anders, denn die Neunziger waren auch in Wien der Anfang vom Ende der Oma-Küche. Schnitzel? Ja, aber bitte vom Biokalb. Haxe? Klar, aber mit Salat statt Bergen von Braterdäpfeln. Fiakergulasch mit Sacherwürsteln? Okay, aber dann mal wieder zum Vietnamesen. Besonders locker zeigt sich das neue, aber noch immer traditionelle Gastro-Wien im Museumsquartier, diesem fantastisch volksnahen Kulturspielplatz, um den wir die Wiener so beneiden. Hier macht man keinen Unterschied zwischen Hoch-, Ess-, DJ- und Popkultur, hier gibts zwischen Hallen voller Kunst auch tolle Esslokale, Cafés und Imbissstuben. Etwa das legendäre Glacis-Beisl oder das Restaurant Corbaci im Architektur-Zentrum. Letzteres unter prächtig gewölbter Keramikdecke, wo der Küchenchef vor Blunzn (Blutwurst) nicht zurückschreckt.
Wiens hippste Tafelmeile ist aber die Schleifmühlgasse. Hier schenkt das Sektcomptoir einen Korkenflug vom Naschmarkt entfernt Schaumwein aus der Region aus. Ein paar Schritte weiter finden wir Babette, die einzige uns bekannte Kochbuchhandlung mit Mittagsküche. Gleich daneben solls im Café Anzengruber prächtige Schnitzel mit weltbesten Bratkartoffeln geben.
Am dritten Abend ist uns seltsamerweise nach leichter Kost. Gibts hier keinen netten Italiener? Nein, behaupten die Wiener Freunde streng und schleppen uns in ihr ultimatives Lieblingslokal: das Sosaku an der Neustiftgasse. «Ein Japaner?» «Der beste in der Stadt.» Den Saki lassen wir trotzdem sausen, statt dessen: Grüner Veltliner made in Vienna.
Restaurant Tresniewski in Wien
1902 eröffnete Franciszek Trzesniewski eine Imbissstube an der Dorotheergasse 1. Heute gibt es die «unaussprechlich guten Brötchen» (Eigenwerbung) in fast allen Bezirken, auch am Flughafen. Es heisst, die mit verschiedensten Aufstrichen (am beliebtesten sind Speck mit Ei, Matjes mit Zwiebel und Geflügelleber) belegten Schwarzbrotstückchen seien deshalb so klein, weil der alte Trzesniewski während des Ersten Weltkriegs die Portionen halbierte. Die Filiale an der Dorotheergasse 1 gibts noch immer, chic modernisiert.
Marktplätze in Wien
Der Naschmarkt ist Institution und Touri-Falle in einem, der Karmelitermarkt im alten jüdischen Quartier gehört dagegen ganz den Wienern. Hier lockt samstags der Bauernmarkt, in den anliegenden Cafés gibts Brunch. Buch-Tipp: Gerhard Loibelsberger: Die Naschmarkt-Morde. Ein Kriminalroman aus dem alten Wien. (Gemeiner-Verlag, 274 Seiten, ca. 20 Franken).
Wein in Wien
Auf zum Heurigen! Zehn Taximinuten vom Stephansplatz zwitschern die Vögel und summen die Bienen, der Stephansdom wirkt winzig. Wir schlendern über den Kopfstein der Stammersdorfer Kellergasse, setzen uns in ein Beisl mit Blick über die Reben (ja: Reben!) und bestellen Welschriesling, Fleischknödel, Schwarzbrot, Kraut. Landleben! Dabei haben wir die Stadt noch gar nicht verlassen. Früher wurde der Wein belächelt, der hier gekeltert wurde, heute gehört er zu den besten Österreichs. Von den Heurigen, die ihn ausschenken, gibt es viele Dutzende, doch hierher kommen nur Eingeweihte: «Zur Christl», Stammersdorfer Kellergasse 83, Mai bis Oktober.
Kaffeehäuser in Wien oder: Kaffeehausaufsuchkrankheit
Der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard schrieb über sein Lieblingscafé, den «Bräunerhof» an der Stallburggasse 2: «Ich habe es täglich aufgesucht, obwohl ich es immer gehasst habe, denn ich habe an der Kaffeehausaufsuchkrankheit gelitten, die unheilbarste aller meiner Krankheiten.» Der «Bräunerhof» hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verändert, so wenig wie das «Prückel», «Central», «Sperl», «Hawelka», «Korb», «Schwarzenberg» oder die herrliche Aida-Kette. Doch jüngere Konzepte zeigen, dass sich Wiens Kaffeekultur auch verändert: Im «Phil» an der Gumpendorferstrasse 10 (gegenüber vom «Sperl») gibts neben den gewohnten Mokka-Variationen auch Platten, Bücher und Möbel zu kaufen, und das «Fett & Zucker» am Karmelitermarkt (Hollandstrasse 16) hat sich dem Retro-Chic verschrieben. Menü-Tipps: Eier im Glas mit Schnittlauchbrot im «Prückel» und Topfenstrudel im «Schwarzenberg». Und natürlich das Wiener Schnitzel.
Die Schnitzelfrage
Das beste Wiener Schnitzel gibt es. Nur streiten sich selbst Wiener darüber, wo man es isst. Meistgenannte Institutionen sind die Cafés Anzengruber und zum Huth, dann das «Plachutta», die «Eiserne Zeit» oder der «Rote Salon» im «Sacher».
1.
Thomas Bernhards Lieblingscafé: der Bräunerhof.
2.
Im «Phil» gibts neben den Mokka-Variationen auch Platten, Bücher und Möbel zu kaufen.
3.
Traditionelle Wiener Gastronomie findet sich auch im Museumsquartier.
4.
Lecker! Ein Wiener Schnitzel muss es schon auch sein.