Georgiens Hauptstadt taumelt zwischen Zerfall und Hoffnung. Wohin sie sich entwickelt, wird sich erst zeigen.
Aus der Kabine des Riesenrads im Mtatsminda-Park schweift der Blick über die Weiten des Kaukasus. Eingebettet zwischen Hügelketten liegt unter uns die Stadt, die den Namen ihren Schwefelbädern verdankt: Das georgische Wort Tbilissi bedeutet warme Quelle.
Tiflis ist eine Stadt zwischen Hoffnung und Zerfall. In den Hinterhöfen gackern die Hühner, und das Geld in der Stadtkasse reicht nicht, um die berühmte Kreuzkirche Dschwari nachts zu beleuchten. Immerhin startete hier, im 6. Jahrhundert, die Christianisierung Georgiens. Bis heute ist das Land bekannt für seine schönen Basiliken und Klöster, gleichzeitig sperrt sich die Kirche gegen alles Libertäre. Das Keuschheitsgebot und der starke Familienzusammenhalt prägen die Gesellschaft noch immer.
In Tiflis prallt Religiosität auf postsowjetische Tristesse, Hipstertum und zügellosen Unternehmergeist. Schicke Hotels ziehen in verlassene Fabrikhallen ein, und auch die internationale Kunstszene hat die Stadt für sich entdeckt. In den letzten Jahren hat sich die Stadt zur Techno-Hochburg gemausert, und der hippe Berliner Club Nachbeben soll hier bald seinen ersten Satelliten eröffnen.
«Spying Future»* hiess eine Ausstellung im Center for Contemporary Art (Dimitri-Usnadse-Strasse 51), sie gibt Auskunft über den Gedankenkomplex einer postsowjetischen Gesellschaft. Die Menschen mussten sich erst aus den engen Strukturen schälen, um sich auf dem globalen Markt zu behaupten. Wato Tsereteli, Leiter des CCA, kennt die Schattenseite des Aufschwungs. Er entdeckte ein zerfallenes Gebäude an bester Lage, das Taxifahrer als Toilette benutzten. Im Gegenzug für sein Engagement bei der Renovation durfte er die Räumlichkeiten mietfrei nutzen – bis das Museum für Medizingeschichte auf den Standort aufmerksam wurde. Jetzt muss Tsereteli umziehen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis die heruntergekommenen Jugendstilfassaden der Altstadt kernsaniert oder – schlimmstenfalls – abgerissen werden.
(*Ausstellung schon beendet.)
Tipps
ESSEN & TRINKEN
Café Gallery
Tagsüber ein ruhiges Café mit abgewetzten Sofas und naiver Kunst an den Wänden, abends ein angesagter Club mit DJs und Tanzen ohne Ende.
– Griboedow-Strasse 34
Tavern Sabatono
Schlicht- rustikale Atmosphäre, ausgewählte georgische Küche. Wie in (fast) allen Restaurants der Stadt darf auch hier geraucht werden.
– Griboedow-Strasse 30
Keti’s Bistro
Ideal, um zu zweit etwas länger in einem der Séparées beim traditionellen Tresterbrand, dem Tschatscha, sitzen zu bleiben. Hier gibts Kartoffelgratin mit georgischen Trüffeln und Entrecôte an Weisswein und getrockneten Aprikosen. Und gleich gegenüber befindet sich das angesagte Restaurant Pasanauri.
– Chowelidse-Strasse 3
Caliban’s Coffeehouse & Prospero’s Books
Im begrünten Innenhof lässt sich bei Kaffee zum Beispiel in das Epos «Der Recke im Tigerfell» des Nationaldichters Schota Rustaweli eintauchen.
– Rustaweli-Boulevard 34, prosperosbookshop.com
TANZEN & MUSIK
Bassiani
Internationale DJs, grosse Tanzfläche, coole Visuals.
– Akaki-Tsereteli-Strasse 2, bassiani.com
Musiktipp:
Die georgischen Songwriter Nino Basharuli oder Ramdeni Malodine machen herzzerreissend schöne Musik.
THEATER
Georgisches Staats-Pantomimen-Theater
Das Pantomimentheater unter Amiran Schalikaschwili überzeugt durch seine Archaik und poetische Dramaturgie – atemberaubende künstlerische Leistung!
WELLNESS
Bäderviertel
Nach einem Stadtrundgang laden die Schwefelbäder in der Altstadt zur Entspannung ein. Früher gab es hier 65 Bäder, heute sind es noch 7. Vorsicht, wer ein Scrubbing bucht: Die Wellnessfachkräfte sind hier unzimperlich und nehmen die Behandlung wörtlich. Anschliessend werden einem die Hautschuppen mit einem Kübel Wasser abgespült.
AUSFLUG
Etwa eine halbe Stunde Busfahrt von Tiflis entfernt befindet sich Mzcheta, ehemals wichtige Handelsstadt zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer an der Seidenstrasse. Die Swetizchoweli-Kathedrale mit ihrem Kreuzkuppelbau ist ein bedeutender Wallfahrtsort für gläubige Georgier. Das Gotteshaus geht auf eine Basilika aus dem 4. Jahrhundert zurück.
SOUVENIR
Auf den Märkten finden sich die charakteristischen Gewürzmischungen wie Chmeli Suneli, bestehend aus Koriander, Dill, Basilikum, Lorbeerblatt, Majoran, Bohnenkraut, Estragon und schwarzem Pfeffer.
1.
Lesen & Käfele: Caliban’s Coffeehouse & Prospero’s Books
2.
Von allem etwas: Die moderne Friedensbrücke…
3.
…der coole Bassiani-Club neben historischen Bauten…
4.
…wie der Upper- Bethlehem-Kirche.