Stil
Postkarte aus Ouessant: Die stürmische Insel in der Bretagne
- Text: Olaf Tarmas; Fotos: Odile Hain
Wer jetzt auf das raue Inselchen Ouessant in der Bretagne reist, sucht die Einsamkeit. Und findet tolle Geschichten und Mythen.
Finistère – zu Deutsch «Ende der Welt» – lautet der Name des westlichsten Departements Frankreichs in der Bretagne. Das vorgelagerte Inselchen Ouessant mit seinen rund 870 Einwohnern ist das Ende dieses Endes; hinter den schroffen Klippen kommt nichts mehr, nur die Weiten des Atlantiks. Wer hier um diese Jahreszeit von der Fähre steigt, ist auf der Suche nach Einsamkeit und dramatischen Landschaften. Und findet doch meist mehr: Denn die Insel ist voller Geschichten, wahren wie erfundenen. Erzählt werden sie von einer jungen Frau, die ihr Leben ganz ihrer Heimatinsel verschrieben hat: Ondine Morin. Vater und Grossvater waren Fischer in den stürmischen Gewässern rund um die Insel, sie wuchs mit ihren Mythen und Erzählungen auf. Auf Wanderungen über bizarre Klippenlandschaften erzählt sie gegen das Tosen von Wind und Brandung an, und nachts führt sie ihre Gäste gern zu den Leuchttürmen – faszinierende Gemäuer, deren Licht bis heute nicht verhindern kann, dass gelegentlich noch immer Schiffe an den Felsen vor Ouessant zerschellen.
Lange war es die «Insel der Frauen»
Interessant ist ein Gang über den Inselfriedhof. Die Grabsteine erzählen schauerliche Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten, in denen die Lebenserwartung der männlichen, zur Seefahrt abkommandierten Inselbewohner denkbar niedrig war. Lange galt Ouessant deshalb als «Insel der Frauen» – sie blieben zurück und hielten alles am Laufen, vom Getreideanbau bis zur Schafzucht. Heute ist die Insel kein düsterer Ort mehr. Die kleinen grauen Steinhäuschen mit ihrer schiffsartigen Innenausstattung und den winzigen Gärten sind begehrte Unterkünfte für Künstler und Festlandfranzosen. Wer tagsüber zwischen idyllischen Schafweiden und Steinmauern wandert, ahnt nichts von der Härte, die das Leben hier einst zeichnete. Das raue Wetter, das den Menschen früher zu schaffen machte, gilt heute als Naturerfahrung. Und wenn nachts der Wind an den Fensterläden rüttelt, ist das vor allem eins: unheimlich gemütlich.
DIE BESTEN TIPPS
Die Website Kalon-eusa.com bietet einen Überblick über Ondine Morins Angebote, vom Nachtspaziergang bis zur Sturmwanderung.
— Reservation unter Tel. 0033 607 06 29 02 oder auf www.kalon-eusa.com
SCHLAFEN
Erstes Hotel am Platz ist das gemütlich-altmodische «La Duchesse Anne», das auch ein ganz hervorragendes Restaurant hat.
— Tel. 0033 298 48 80 25, www.hotelduchesseanne.fr, DZ ab ca. 60 Franken
Infos und Reservierungen von weiteren Unterkünften und Ferienhäuschen, aber auch von Velos und Taxis beim
— Office de tourisme. Tel. 0033 298 48 85 83, www.ot-ouessant.fr
SEHENSWERT
Écomusée du Niou: Das historische Steinhäuschen samt Originaleinrichtung aus dem 19. Jahrhundert zeigt, wie die Inselbewohner früher hausten.
— Täglich ab 10.30 Uhr. Tel. 0033 298 48 86 37
Das Musée des Phares et Balises: Die dramatische Geschichte der Leuchttürme von Ouessant, dazu die eindrucksvollen, dicken Glaslinsen der Leuchtfeuer, zu sehen im wohl schönsten Leuchtturm von Ouessant, dem Phare du Créac’h.
— Täglich ab 10.30 Uhr. Tel. 0033 298 48 80 70
Ouessant ist ein Wochenendziel; nach drei Tagen kennt man jeden Leuchtturm und jedes Schaf. Auf dem Rückweg kann man statt der Fähre nach Brest auch die nach Le Conquet nehmen – das Hafenstädtchen samt den Steilküsten-Klosterruinen Pointe de Saint-Mathieu ist einen Abstecher wert.
ANREISE
Mit dem Flugzeug über Paris nach Brest, dann mit der Fähre nach Ouessant. Die Überfahrt dauert rund zwei Stunden. Wer mit dem Auto anreist, muss es in Brest zurücklassen: Auf Ouessant bewegt man sich zu Fuss, per Leihvelo oder mit dem Inseltaxi.
— Fährfahrplan und Reservationen: www.pennarbed.fr
1.
Faszinierend: Die Leuchttürme von Ouessant
2.
Die kleinen grauen Steinhäuschen sind begehrte Unterkünfte
3.
Inselbewohner: Schafe
4.
… und die Hüterin der Geschichten, Ondine Morin
5.
Einer, der diese Wellen kennt: Ondine Morins Vater war Fischer