Stil
Postkarte aus Islay, Schottland: Wo der Whisky Geschichten erzählt
- Text: Evelyne Emmisberger; Fotos: Gabi Vogt
Man muss kein Single-Malt-Fan sein, um dem rauen Charme der Hebriden-Insel Islay zu erliegen. Nur verpasst man dann so manches Happy End.
Als das Dach des Lagerhauses davonflog, dachte Jackie Thomson (1), jetzt gehe die Welt unter. Eben war sie mit ihrem Mann Stuart nach Islay gezogen. Ihre Mission: die Sanierung der maroden Ardbeg-Destillerie (2, 3). Längst war die Stromversorgung zusammengebrochen, sodass die beiden Neuankömmlinge bei Kerzenlicht in ihrem Haus am Meer sassen, als im Dezember 1998 Orkan Stephen über die schottische Insel Islay (sprich: Äila), die Königin der Hebriden, fegte. Und was tut der Schotte in einer solchen Situation? Genau. Er trinkt einen Whisky. «Wir wählten einen Ardbeg 1978», erinnert sich Jackie Thomson, «ein Whisky wie ein alter Gentleman – ausgeglichen, in sich ruhend und voller Lebenserfahrung. Nie hat ein Whisky besser gepasst.»
Längst hat Islays kräftiger, rauchiger Single Malt eine internationale Fangemeinde. Zu Tausenden pilgern sie jährlich zu den neun berühmten Distillerien: Ardbeg, Bowmore, Bruichladdich, Bunnahabhain, Caol Ila, Kilchoman, Lagavullin, Laphroaig, Port Charlotte. Am Feis Ile, dem Whiskyfestival Ende Mai, schnellen die Besucherzahlen schon mal auf 15 000 hinauf. Dann wirds eng auf der Insel mit ihren gut 3000 Einwohnern.
Walk on the wild Side
Dennoch: Platz für einen Walk on the wild Side hats noch immer. Raue Küstenlandschaften mit Seehundkolonien und verlassene Schmugglerhöhlen laden zum Wandern ein. Islay ist aber auch ein Paradies für Vogelfreunde. Zu den über 250 teils seltenen Arten gehören Abertausende von Wildgänsen, die hier überwintern – und den Schafen und Kühen das Gras wegfressen. Die Bauern sind wenig amused.
14 Jahre nach jenem stürmischen Dezembertag schenkt uns Jackie Thomson ein Glas vom neuen Ardbeg Galileo ein. Eine Probe davon wurde sogar ins Weltall geschickt. «Eine fantastische Story, aye?», findet Jackie Thomson, «und eine schöne Hommage an einen grossen Mann.» Wie alle im Whiskybusiness weiss auch die wirblige Managerin des Ardbeg-Besucherzentrums: Whisky und Geschichtenerzählen gehören zusammen. Auch unser Glas Ardbeg Galileo hat nun seine Geschichte: Gekostet an einem kalten, echt schottischen Tag am Strand von Ardbeg, wo schon so vielen Schmugglerschiffen die Navigation durch die Felsen zum Verhängnis wurde. Eine Geschichte, die im Freundeskreis am Cheminée erzählt werden wird.
Tipp
Am felsigen Strand vor Portnahaven, dem malerischen Fischerdorf ganz im Westen von Islay, tummelt sich eine Kolonie Seehunde. Die Einheimischen sagen, man könne die Tiere mit Pfeifen anlocken. Sie haben recht. Noch mehr Seehunde und gelegentlich Delfine sieht man bei Loch an t-Sailein, der Seal Bay, im Südosten.
Geschichtsträchtige Ruinen
Rund fünf Kilometer südwestlich vom Fährhafen Port Askaig liegt Loch Finlaggan, ein idyllischer See inmitten von Wäldern und sanften Hügeln. Hier stand im Mittelalter das Machtzentrum der Lords of the Isles, des Clans der MacDonalds. Ein Steg führt vom Besucherzentrum über die Schilffelder zur kleinen Insel mit den Ruinen der einstigen Hochburg, Informationstafeln erzählen die Geschichte dazu.
Anreise
Ab Glasgow mit dem Flugzeug: ca. 90 Franken, www.flybe.com. Autofähre Kennacraig–Port Ellen (retour): ca. 140 Franken (1 Auto, 2 Personen)
1.
Wenn Livemusik angekündigt wird, bitte nicht das Weite suchen. So spielen zum Beispiel mittwochs in Port Charlotte ein paar Musikanten in der gemütlichen und gut assortierten Bar des Port Charlotte Hotel. www.portcharlottehotel.co.uk
2.
Im kürzlich renovierten Islay Hotel in Port Ellen hat jedes Zimmer Meersicht, und das Restaurant ist inselweit beliebt für seine frische lokale Küche. Super Service, gemütliche Bar und perfekte Lage – die Destillerien Laphroaig, Lagavulin und Ardbeg liegen um die Ecke.
The Islay Hotel, Charlotte Street, Port Ellen, Tel. 0044 14 96 30 01 09, www.theislayhotel.com, DZ inkl. Frühstück ab ca. 195 Fr.
3.
An einem verträumten Bächlein zwischen Bridgend und Port Askaig liegt die Islay Woollen Mill. Und die ist weltberühmt: Inhaber Gordon Covell designte hier den Tartanstoff für Mel Gibsons Kilt im Blockbuster «Braveheart». Heute liefert Gordon Covell seine Stoffe in die ganze Welt und natürlich zu den noblen Herrenausstattern an der Savile Row in London. Ein Must: Shopping im herrlich trashig-chaotischen Fabriklädeli.
Islay Woollen Mill, Bridgend, www.islaywoollenmill.co.uk
4.
Das sind Jim McFarlane (l.) und sein Freund Donald Holyoake, die eben ihren Fang am Hafen von Port Ellen verkaufen. Islay ist ein Paradies für Gourmets: Eine grosse Auswahl bester Fische, Schalentiere und Austern wird in den Restaurants und Cafés von Port Charlotte, Bowmore oder Port Ellen fangfrisch serviert.
Restaurant Harbour Inn, Main Street, Bowmore, www.harbour-inn.com
Old Kiln Café, Ardbeg Distillery
5.
Alles über Whisky und Whiskey steht im neuen Werk von Peter Hofmann. Der Schweizer Whiskypapst betreibt in Oberentfelden AG das «Angels’ Share», einen Treffpunkt für Single-Malt-Fans mit Lounge und Shop.
Peter Hofmann: Whisky. Die Enzyklopädie. AT-Verlag, 632 S., ca. 128 Fr.