Die meisten Reisenden lassen die Tessiner Hauptstadt Bellinzona links liegen und fahren weiter, nach Ascona, Lugano oder gleich nach Italien. Ein Fehler!
Bellinzona? Die Kollegen haben gespottet, in der Reisebuchhandlung hat man mit den Schultern gezuckt, und Ticino Turismo empfahl, den Ort als Basis zu nutzen, um Ausflüge zu machen – also möglichst schnell wieder wegzukommen. Den berühmten Trutzburgen zum Trotz (Unesco-Weltkulturerbe!) lassen die meisten Reisenden die Tessiner Hauptstadt auf ihrem Weg in den Süden links liegen. Bellinzona ist für sie nur ein vorbeifliegender Schatten auf einer langen Fahrt an die Sonne. Dabei wäre die lange Reise gar nicht nötig.
Frühlingstage
In Bellinzona warten die ersten Frühlingstage, die wir kriegen können. Wie wir auf der Piazza vor der imposanten Chiesa Collegiata sitzen, Espresso trinken und verwegen die Sonnenbrille aufsetzen, müssen wir an die Kollegen denken, an den Nieselregen in ihrem Haar. Bellinzona gelangte erst im 16. Jahrhundert in die Hände der Eidgenossen. Wer bis dahin über die Alpenpässe Sankt Gotthard, San Bernardino, Nufenen und Lukmanier wanderte, stand in der Talenge von Bellinzona vor einem Wall, so dick wie die Chinesische Mauer und lang genug, um das Tal komplett abzusperren. Die Burgen Castelgrande, Castello di Montebello und Castello di Sasso Corbaro sowie die Murata bildeten eines der grössten Bollwerke Europas, mit dem sich die Mailänder Herzöge die Eidgenossen vom Leib hielten.
Von dort oben, durch die Luken der Türme, fällt unser Blick auf die Stadt: Den Park des Museums Villa dei Cedri, wo wir im Gras gelegen sind. Die Kirche San Quirico, vor der Rebstöcke Spalier stehen. Die Penalty-Bar von Nene Zurmühle, dem ehemaligen Fussballer, der uns ungefragt seine Autobiografie signiert hat. Die Magadinoebene und am Horizont den Lago Maggiore, an den wir geradelt sind. Die Kastanienbäume und Patrizierhäuser, an denen wir vorbeispaziert sind. Die unauffällig schöne Villa Amalia, ein veilchenblaues Haus mit einer sandigen Zufahrt, in das wir uns verliebt haben.
Wieder unten in der Altstadt, auf der Piazza Nosetto und rund um den Palazzo Civico ist, wie jeden Samstag, Markt: Gemüse, Prosciutto, Polenta, biologischer Wein, Tessiner Bergkäse.
Kaum ein Durchkommen. Kaum Deutschschweizer. Die sind woanders, in Ascona, Lugano oder Italien. Oder sie warten daheim auf den Frühling.
Pasta Paradies
In der Osteria Malakoff kocht Rita Fuso aus Sardinien, ihr Mann Antonio bedient die Gäste. Die Pasta von Rita Fuso ist berühmt. Wir assen Spaghetti mit Krebsfleisch, Seezunge mit Ricotta-Ravioli und Salat mit Rosenblättern garniert. Unbedingt reservieren, das Restaurant ist klein, und die Plätze sind begehrt. Wer es währschaft mag, der isst im Zentrum der Altstadt im Restaurant Corona einen der über zehn Risotti. Die beste Glace gibt es in der Gelateria Veneta.
— Osteria Grotto Malakoff, Via Bacilieri 10, Tel. 091 825 49 40; Restaurant Corona, Via Camminata 5, Tel. 091 825 28 44; Gelateria Veneta, Via Henri Guisan 6, Tel. 091 826 34 37
Kunterbunt Kult
Gazosa ticinese gehört zum Tessin wie Merlot. 1885 füllte Coldesina in Bellinzona die ersten Gazosas ab. Seit die Szenebars die Limo entdeckt haben, produziert Franco Carugati über eine Million Flaschen pro Jahr.
— Hier kann man das Kultgetränk direkt von der Rampe kaufen: Coldesina, Via Henri Guisan 3a, Tel. 091 825 14 42
Halleluja
Die Rustico-Siedlung Curzùtt, auf den Hügeln westlich von Bellinzona, erreicht man mit der Seilbahn von Monte Carasso aus. Von der Bergstation geht man bis zur Kirche San Bernàrd. Rein kommt nur, wer beim Wirt des Restaurants von Curzùtt den Schlüssel holt. Die Kapelle ist spektakulär ausgemalt: Könige, Heilige, Engel, teuflische Kreaturen und Barbieri beim Zähneziehen zieren die Kirche aus dem 12. Jahrhundert.
— Infos zur Anreise: www.curzutt.ch
Wir sind mit dem Velo da
Eine gemütliche Velotour führt den Ticino entlang an den Lago Maggiore. Die Tour über den Monte Ceneri nach Lugano ist auch mit dem E-Bike anspruchsvoll und dauert gut drei Stunden.
Die kleine Scala
Die Logen sind enger, die Bühne etwas schief, die Sitze härter und das Marmormuster an den Wänden aufgemalt, aber sonst ist alles genau richtig: Das neoklassizistische Teatro Sociale wurde 1846/47 nach dem Vorbild der Mailänder Scala gebaut und ist eines der wenigen erhaltenen Theater aus dem 19. Jahrhundert in der Schweiz.
— Teatro Sociale, Piazza Governo 11, Tel. 091 820 24 44, www.teatrosociale.ch
Für alle Sinne
Die Osteria Zoccolino gehört Alfonso Zirpoli (links). Hinter der Bar stehen seine Freunde, an den Wänden hängen Fotografien von Bluesgrössen, von Zirpoli gemacht. Und über der Osteria hat er gar eine Fotogalerie eingerichtet. Jeden Donnerstag gibt es Konzerte und gratis Pasta.
— Osteria Zoccolino, Piazza Governo 5, Tel. 091 825 06 70
1.
Unesco-Weltkulturerbe: Die Burg Castelgrande mit der Murata.
2.
Der Park des Museums Villa dei Cedri.
3.
Die Penalty-Bar von Nene Zurmühle, dem ehemaligen Fussballer.
4.
In der Altstadt auf der Piazza Nosetto und rund um den Palazzo Civico ist jeden Samstag Markt.
5.
Blumen, Gemüse, Prosciutto, Tessiner Bergkäse und Wein: Feine Delikatessen auf dem Markt in der Altstadt.