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No Buy, no High

No Buy, no High

  • Text: Miriam Suter; Foto: unsplash

Unsere Autorin wollte ein Jahr lang nichts kaufen. Sie hat versagt. Und dabei viel über sich selber gelernt.

Neujahrsvorsätze gehören normalerweise nicht zu meinem Silvesterprogramm. Ich finde es nicht sehr lustvoll, ein neues Jahr mit gesteckten Zielen zu beginnen, das bedeutet für mich Stress, und überhaupt: Warum tut man das nur zum Ende eines Jahres? Zeit ist ja sowieso ein soziales Konstrukt – aber das ist eine andere Geschichte. Ende 2018 war jedenfalls das erste Mal, dass ich mir einen konkreten Vorsatz für das neue Jahr fasste: Ich wollte ein Jahr lang nichts Neues kaufen, ein No Buy Year durchziehen, wie es mir meine liebsten Instagramerinnen und Youtuberinnen beibrachten. Weil ich wirklich wirklich genug Kleider besitze. Nein, auch ich blieb von der Marie-Kondo-Entrümpelungswelle nicht verschont. Zwar liegen meine Hosen noch immer nicht sauber gerollt nebeneinander in einer Schublade, aber dank der japanischen Aufräumkönigin fegte ich einmal gehörig durch meinen Kleiderbestand, sortierte grosszügig aus – und habe trotzdem immer noch das Gefühl, zu viel zu besitzen.

Materieller Überfluss, heisst es, beeinflusst unser Hirn genauso stark wie emotionaler Stress. Besitzen wir weniger, geht es uns besser, so die Theorie. Ein solches No Buy kann man zum Glück auf sich zuschneiden, und man darf individuelle Regeln aufstellen. Ich nahm mir vor, meinen Konsumstopp auf die beiden Bereiche zu beschränken, die es am nötigsten haben: Kleider und Bücher. Secondhandkäufe sind erlaubt, pro Monat darf aber höchstens ein neues Teil einziehen, dafür muss ein anderes weg. Die Youtuberin Hannah Louise Poston spricht in ihren Videos über ihr eigenes No Buy darüber, dass es ihr beim Shoppen psychologisch vor allem um das Gefühl des Haben-Wollens geht, nicht per se ums Produkt, das gekauft wird. Aus ihrer Sicht kann das keine gesunde Einstellung zu Konsum sein – da stimme ich ihr voll und ganz zu.

Mir war es wichtig, mein Kaufverhalten genauer zu beobachten und herauszufinden: Was konsumiere ich wirklich bewusst? Und wo werde ich zum Opfer der Werbung, die Bedürfnisse in mir hervorruft, die ich eigentlich gar nicht habe? Sehr lang lief mein Experiment erstaunlich gut: Durch diese Blockade in meinem Kopf fiel vieles per se weg. Musste ich beispielsweise aufs Tram warten, schlenderte ich früher «noch kurz» durch die unterste H&M-Etage oder «schaute rasch», ob es bei Sephora neue Produkte gibt. Stattdessen nahm ich mir plötzlich Zeit, den Artikel zu lesen, der schon lang in den geöffneten Tabs auf meinem Smartphone herumgeisterte, oder fing an, den neuen Podcast zu hören, den mir meine beste Freundin seit Wochen ans Herz gelegt hatte. Bis im Frühling kaufte ich genau zwei neue Kleidungsstücke: einen Wintermantel von Max Mara, den ich zu einem lächerlich günstigen Preis im Brockenhaus in meiner Stadt ergatterte und ein paar Glitzerstiefel – weil meine langsam, aber sicher kaputt waren – bei der Tauschbörse Kleiderkreisel, also auch secondhand. Pro Monat kaufte ich ein neues Buch, das ich dann tatsächlich auch las. Ich fühlte mich gut, hatte Freude an der Herausforderung und war nur selten ein bisschen erstaunt, wie gut ich sie meisterte.

Dann kam der Sommer. Und mit ihm das Sommerloch, das vor allem Freischaffende wie mich besonders hart trifft. Mein Konto war so leer wie noch nie in diesem Jahr, mein Stresslevel trotz regelmässigem Aare-Schwumm besorgniserregend hoch: Wird es im Herbst wieder besser mit den Aufträgen? Sollte ich mir nicht doch besser einen Teilzeitjob suchen? Und siehe da: Ich begann, mein No Buy zu betrügen und meine Regeln zu missachten. Ich kaufte wieder. Weil es mir nicht gut ging, weil ich gestresst war und Angst vor der Zukunft hatte. Ich realisierte, dass ich diese Sorgen versuchte zu betäuben – mit dem Glücksgefühl, das sich nach einem Kauf einstellt. Das hat natürlich auch funktioniert, wenn auch nur für ganz kurze Zeit, direkt nach dem Kaufen nämlich. Dass sich meine Ängste dadurch aber nicht in Luft auflösten, war logisch. Anstatt ein schlechtes Gewissen zu haben, reflektierte ich also meine Situation: Was brauche ich gerade wirklich? Was tut mir gut? Was stresst mich genau? Die neuen Leinenshorts gefallen mir zwar, aber sie machen keinen neuen Menschen aus mir. Sie schreiben keine Pitches für mich und kochen mir keinen Tee, wenn ich mich entspannen will, hören mir nicht zu, wenn ich darüber sprechen will, was mich belastet.

Ausserdem stellte ich fest, dass ich nicht nur den Konsum von Gegenständen zur Ablenkung nutzte, sondern auch den von Social Media. Seither gebe ich besser auf mich acht: Ich habe ein striktes Smartphoneverbot im Schlafzimmer eingeführt und schalte es nachtsüber in den Flugmodus – damit ich morgens nicht als Erstes mit Twitter-Benachrichtigungen bombardiert werde. Ich lese mich in die Thematik ein, inwiefern unsere Ernährung unsere Hormonbalance beeinflusst und probiere neue Rezepte aus. Ich nehme mir wirklich Zeit zum Lesen und Musik hören und umgebe mich mit Dingen, die mich inspirieren und mir gut tun. Sogar meinen Instagram-Feed habe ich entsprechend angepasst, ich folge heute viel mehr Accounts, die mir ästhetisch gefallen anstatt derjenigen, die mir das Gefühl geben, mein Leben sei nicht cool genug. Und: Seit ich mich meinen Ängsten stelle und mehr auf meine Bedürfnisse höre, habe ich viel weniger Verlangen danach, etwas Neues zu kaufen.

Mein No Buy ist noch nicht vorbei. Aber schon jetzt hat es mich Dinge gelehrt, die ich so nicht erwartet hätte. Und das motiviert mich, es trotz des kleinen Einbruchs im Sommer weiterzuziehen. Die Leinenshorts habe ich übrigens retourniert. Sie haben ihren Dienst getan und mich vielleicht doch ein kleines bisschen zu einem neuen Menschen gemacht.

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