Stil
Mythos mühelos: Kann man den Undone-Look auch im wahren Leben tragen?
- Text: Silke Wichert; Illustration: Silke Werzinger
Den Mantel nonchalant übergeworfen, die Haare strähnig. Offene Nähte bei Marni, Liegefalten in Gucci-Hosen, rutschende Träger bei Prada. Scheinbare Nachlässigkeit sieht auf dem Runway fantastisch aus – ist aber im wahren Leben Quatsch, findet unsere Autorin.
Würde in der Modewelt auch so etwas wie ein Unwort des Jahres gekürt, es müsste «effortless» heissen. Ständig reden die Designer vom Effortless Style, wie lässig es also ist, so ganz nonchalant und ungemacht daherzukommen. Models versichern, quasi unter Eid, sich ihren Look total effortless nur so übergeworfen zu haben, Stars posten auf Instagram herrlich ungezwungene Momente mit einem Stück Pizza zwischen den (perfekten) Zähnen. Die Mode lebte ja immer schon davon, dass wir uns ordentlich etwas vormachen, aber der Effortless-Trend, das ist jetzt wirklich der ganz grosse Bluff.
Der Gedanke an sich ist natürlich fantastisch. Sich einfach mal nicht so anstrengen und genau deshalb voll auf Gucci-Céline-Stella-McCartney-Wellenlänge liegen. Auf das letzte Finish pfeifen, das Bügeleisen kalt stellen, die Nähte à la Marni offen stehen lassen. Make-up? Bloss nicht. Am besten auch keine Frisur. Der Look, von dem diesen Sommer alle redeten, nennt sich schliesslich u-n-d-o-n-e. Und deshalb ist er auch ganz einfach nachzustylen, wie es überall heisst. Man braucht nur ungefähr fünfzig Produkte und zehn klitzekleine Arbeitsschritte, bis man so aussieht, als habe man sich nicht die Haare gewaschen, nicht gekämmt, nicht gestylt, sich also: überhaupt keine Mühe gegeben. In Wahrheit ist genau das Gegenteil der Fall. Dieses ganz Beiläufige ist am schwersten hinzubekommen. Nicht umsonst heisst es im Deutschen meist «scheinbar mühelos».
Ich weiss noch, wie ich nach jener unglaublich lässigen Prada-Winterkollektion von vor zwei Jahren dachte, auch mal mit einem Kleid und lässig heruntergerutschtem Träger an eine Party gehen zu müssen. Die richtige, zufällige Neigung des Trägers vor dem Spiegel auszutarieren, kostete mich mehr Zeit, als zehn Hosen anzuprobieren; ihn an der Stelle zu halten, brachte mir einen verspannten Nacken ein. Und nach einer guten Stunde dann schob mir irgendeine übermotivierte Bekannte das Ding ungefragt zurück auf die Schulter.
Das ist das nächste Problem: Diesen Nicht-Look kapieren am Ende nur die wenigsten. Bei Céline auf dem Laufsteg sieht es unglaublich leger aus, wenn die Halftertaschen nur so über die Schulter geworfen sind und überall lose Bänder mitflattern. Die Bustieroberteile sitzen nicht richtig, und die Schultern sind nur halb zugeknöpft, weil – so die Message – diese Frau wirklich Wichtigeres zu tun hat, als alles akkurat zu verschnüren. «I couldn’t care less», ist die zutiefst moderne – und natürlich sehr sexy – Geisteshaltung, die hier mitschwingt. Eigentlich wie für mich gemacht: Ich gehe aus permanentem Zeitmangel sowieso immer nur halb fertig und leicht derangiert aus dem Haus.
Dummerweise sagt bei mir hinterher keiner «How effortless!», sondern eher «What a mess». Zu gern würde ich auch einmal diese neuen Gucci-Hosen mit den deutlich sichtbaren Liegefalten im unteren Drittel tragen. Was für eine zutiefst romantische Vorstellung, als habe das Teil ewig bei der reichen Grosstante in der Truhe gelegen, und man sei jetzt einfach so, ohne Umschweife, hineingeschlüpft. In meiner Welt schreit dann nur keiner anerkennend «Aaaaah, das neue Gucci!», sondern eher so etwas Praktisches wie «Häng das Ding mal in die Dusche, wenn du partout nicht bügeln willst».
Warum strengen wir uns eigentlich plötzlich so an, möglichst unangestrengt auszusehen? Das war doch eigentlich eher ein Männerding, die, egal wie lange sie in Wirklichkeit vor dem Spiegel gestanden hatten, höchstens zweieinhalb Minuten dafür proklamierten. Selbst wenn einige aktuelle Herbstkollektionen, vor allem die der US-Designer, wieder adretter daherkommen – das allzu Perfekte, Glatte hat auch bei den Frauen seinen Reiz verloren, das Brüchige, Unperfekte (oder sollen wir lieber gleich «vermeintlich Unperfekte» sagen?) scheint ungleich interessanter.
Und das ist es ja auch – wenn es authentisch ist. Es gibt diese Frauen wie Jane Birkin, Charlotte Gainsbourg oder Kate Moss, die leicht neben der Spur absolut fantastisch aussehen. Sie legen es nicht darauf an, es passiert einfach so.
Victoria Beckham hingegen – damals im perfekt derangierten Boudoir-meets-Randstein-Look von Marc Jacobs für Louis Vuitton in Wimbledon: falscher Fummel an falscher Frau am falschen Ort. Kim Kardashian in zerfetzten Saint-Laurent-Jeans und akkurat zu grossem Männermantel: eine einzige Text-Bild-Schere. Bemühte Lässigkeit ist halt keine. Und bei wem der Träger nicht von selbst rutscht, der lässt es besser.
— Autorin Silke Wichert ist Modechefin beim «Süddeutsche Zeitung Magazin»