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Mode-Ikone Carine Roitfeld über Chanel, Karl Lagerfeld und Punk

Stil

Mode-Ikone Carine Roitfeld über Chanel, Karl Lagerfeld und Punk

  • Interview: Frank HeerFotos: Getty Images, Karl Lagerfeld

Als Chefredaktorin der französischen «Vogue» provozierte sie in ihren Modestrecken mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Jetzt präsentiert Carine Roitfeld zusammen mit Karl Lagerfeld einen Bildband über eine Ikone aus dem Hause Chanel: Die kleine schwarze Tweedjacke.

Als Chefredaktorin der französischen «Vogue» provozierte sie in ihren Modestrecken mit Sex, Drugs und Rock’n’Roll. Jetzt präsentiert Carine Roitfeld zusammen mit Karl Lagerfeld einen Bildband über eine Ikone aus dem Hause Chanel: Die kleine schwarze Tweedjacke.

Carine Roitfeld, die Petite Veste Noire von Chanel kennt vermutlich sogar mein Vater, der von Mode nichts versteht. Wie wird ein Kleidungsstück zu einer Ikone?

Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Ikonen lassen sich nicht planen. Sie werden einfach.

Anders gefragt: Warum ist die kleine schwarze Tweedjacke fast siebzig Jahre nach ihrer Erfindung durch Coco Chanel noch immer so heiss begehrt?

Auch diese Frage ist schwer zu beantworten. Liegt es an ihrer Schlichtheit? Oder an ihrer Eleganz? Daran, dass sie sehr teuer ist? Und dass sie trotzdem jede Frau besitzen möchte? Liegt es an Coco Chanel? Und daran, dass Ikonen wie Romy Schneider, Audrey Hepburn und Jackie Onassis sie getragen hatten? Ich weiss es nicht. Fest steht, die Petite Veste Noire ist ein Objekt der Begierde. Ein Traum.

Das Geheimnis hinter jeder Erfolgsgeschichte ist oft banaler, als man denkt: Es heisst Marketing.

Ja, aber kein Traum lässt sich über sechzig, siebzig Jahre so erfolgreich vermarkten wie die Petite Veste Noire. Meiner Meinung nach gibt es in der Mode nur gerade zwei Kleidungsstücke, die ich als Ikonen bezeichnen würde: die Jeansjacke von Levi’s und das schwarze Jäckchen von Chanel. Die eine kann sich jede leisten, die andere kostet ein Vermögen. Aber beide kommen nicht aus der Mode und sind Wesensverwandte.

Seit wann hängt bei Ihnen so ein kleines schwarzes Jäckchen im Schrank?

Erst seit ein paar Jahren. Ich musste schliesslich auch vierzig werden, bis ich meine erste Chanel-Tasche besass. Meine Tochter bekam ihre bereits mit 25. In dem Alter wäre es mir nicht im Traum eingefallen, einen Fuss in einen Chanel-Laden zu setzen. Das konnte ich mir nicht leisten. Aber die jungen Mädchen von heute wollen eben nicht mehr so lange warten. Es muss alles schnell gehen.

Passen Sie auf, als Nächstes klaut Ihnen die Tochter noch die Tweedjacke! Oder teilen Sie Ihre Kleider mit ihr?

Niemals. Kleider sind ja wie ein Parfum. Etwas sehr Persönliches, das kann man nicht tauschen. Wenn meine Tochter ein Stück von mir beschlagnahmt, gehört es ihr. Dann sag ich Adieu und finde mich damit ab. Doch an mein Schwarzes lasse ich sie nicht ran. Da muss sie noch ein paar Jahre warten.

Sie haben als Stylistin und Chefin der französischen «Vogue» vermutlich schon Aufregenderes gesehen als eine Chanel-Jacke. Warum ist sie Ihnen trotzdem heilig?

Weil sie so zeitlos modern ist, zu allem passt und auch ein wenig untertreibt: Äusserlich wirkt sie schlicht, ihren Luxus offenbart sie erst, wenn man sie öffnet, durch das Futter, die Verarbeitung, die Taschen, die Knöpfe. Es ist keine Jacke, mit der man sich brüstet: Schaut her, ich trage Chanel! Es ist auch keine Jacke, die man haben muss, es reicht, davon zu träumen. Darin besteht ihre Magie. Übrigens steht sie auch Männern. In unserem Buch «The Little Black Jacket» haben Karl Lagerfeld und ich unter anderen Kanye West, den Maler Sandro Kopp oder den belgischen Designer Haider Ackermann damit eingekleidet. Sie hätte ich als Seemann gestylt.

Als Seemann?

Wegen Ihres Barts.

Sie sprachen vorhin das Zeitlose an. Davon träumt ja jeder Designer, etwas zu schaffen, das die Jahrzehnte überdauert. Ist das heute überhaupt noch möglich?

Hoffentlich. Nur kann niemand sagen, was in ein paar Jahren von der aktuellen Frühlingskollektion bleibt. Und vergessen Sie nicht: Selbst die Chanel-Jacke hätte die Jahrzehnte wohl nicht überdauert, hätten Coco Chanel und später Karl Lagerfeld nicht fortwährend daran gearbeitet, sie neu zugeschnitten, modernisiert. Die Version von 1954 würde man heute wohl nicht mehr tragen wollen.

Begnügt man sich in der Mode denn nur noch mit dem Zitat? Dem neuen Zuschneiden von alten Mustern?

Mode wiederholt sich. Und heute schauen viele junge Designer lieber zurück statt nach vorn. Sie lassen sich von der Vergangenheit inspirieren, interpretieren das, was schon einmal war, neu. Leider ist das meistens auch nicht besonders originell.

Ist das Zurückschauen eine Zeiterscheinung? Oder gab es das schon immer?

Das Internet verstärkt und unterstützt den Retro-Boom. Mit ein paar Mausklicks ist man heute schon in allen möglichen Archiven. Es ist viel einfacher geworden, einen schnellen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Man braucht dafür nicht mehr ins Museum oder in die Bibliothek zu gehen. Mich persönlich interessiert das nicht. Als ich bei der «Vogue» war, rannten uns junge Designer die Tür zu unseren Archiven ein. Für mich war ein Heft vergessen, sobald es gedruckt war. Ich beschäftige mich lieber mit dem, was noch kommt.

Wie lange wird dieser Retro-Trend Ihrer Meinung nach denn noch anhalten?

Gehen Sie in die Secondhand-Läden oder auf die schicken Flohmärkte. Die hohen Preise von Vintage-Klamotten sind ein guter Barometer für den Retro-Boom. Wenn die Preise sinken, geht es wohl wieder vorwärts.

Haben Sie sich in den Siebzigern eigentlich für die aufkommende Punkbewegung als Gegenkultur interessiert?

Und wie! Punk war essenziell für meine Arbeit als Stylistin. Vivienne Westwood, Malcolm McLaren und die Sex Pistols waren meine Helden. Auch wenn ich mir nie die Haare orange färben oder ein Tattoo stechen liess – meine Wurzeln liegen in der Punkbewegung. Einer meiner Lieblingssongs ist bis heute Sid Vicious’ Version von «My Way». Ich kann damit meine Familie in den Wahnsinn treiben.

Früher entstand gute Mode fast immer im Underground. Die Subkultur entschied, was cool war und was nicht. Heute?

Heute ist das nicht mehr so klar. Da gibt es mehrere Schauplätze, die Trends kommen aus allen möglichen Richtungen. Leider steckt hinter den Modetrends längst eine gigantische Maschinerie mit immer weniger Freiräumen für Kreatives, Ausgefallenes. Ich kenne die Diskrepanz zwischen Geschäft und Kreativität aus eigener Erfahrung: Ich bin Stylistin, aber auch Geschäftsfrau. Man erwartet von mir einerseits Kunst, andererseits muss die Kasse stimmen.

Eine Gratwanderung?

Natürlich, doch ich war immer überzeugt, dass es wichtig ist, junge Talente an Bord zu holen. Ohne sie hat die Mode keine Zukunft. Wenn wir aufhören, in junge, unbekannte Namen zu investieren, schneidet sich die Industrie ins eigene Fleisch.

Der spanische Öko-Designer Miguel Adrover bezeichnete Mode-Doyens wie Karl Lagerfeld als Karriereblocker für junge Designer. Einverstanden?

Nein, das wäre zu simpel. Die Modeindustrie boomt und beschäftigt mehr Menschen als noch vor zwanzig oder dreissig Jahren. Trotzdem ist es für junge Designer heute schwieriger geworden, sich einen Namen zu machen, denn alle wollen in der Mode mitreden. Daran ist nicht Lagerfeld schuld. Vielleicht liegt es daran, dass die Industrie sehr vorsichtig geworden ist, lieber auf Bewährtes setzt als auf schräge Visionen. Und was Karl betrifft: Ich kenne ihn als sehr neugierigen und aufgeschlossenen Menschen, auch gegenüber neuen Trends und jungen Designern. Ich glaube nicht, dass er jemandem im Weg steht.

Er nannte Sie eine «moderne Coco Chanel».

Eine grosse Ehre. Mademoiselle Chanel hatte ja noch bis ins hohe Alter an neuen Kollektionen gearbeitet. Ich hoffe, ich werde so kämpferisch und kreativ altern, wie sie es tat.

Können Sie Karl Lagerfeld beschreiben? Sie nannten ihn einmal einen «Übermenschen».

Karl ist eine Ikone. Wie die Petite Veste Noire. Sein Name verliert nicht an Glanz. Abgesehen davon ist er sehr kultiviert und belesen, entspannt und humorvoll. Wenn man ihn trifft, weiss man nie, ob man es zum nächsten Termin schafft, denn er ist auch ein begnadeter Geschichtenerzähler.

Ist er der letzte Schöpfer alter Schule?

Mit Sicherheit ist er derjenige mit den breitesten Schultern. Darauf trägt Karl ein gewaltiges Erbe, ein Lebenswerk, das er selbst geschaffen hat. Andere würden durch das Gewicht erdrückt, er scheint es nicht einmal zu bemerken. Er ist komplett immun gegen jede Form von Dünkel, Überheblichkeit, Bitterkeit oder Neid. Man fühlt sich wohl in seiner Gegenwart.

Es gibt einen Blog mit dem lustigen Namen «I Want to Be a Roitfeld» …

Ich lese ihn nicht. Manchmal erzählt mir meine Tochter, was sie über mich schreiben.

Und? Wie fühlt es sich an, eine Roitfeld zu sein?

Ich bin wahnsinnig stolz auf meinen Namen, aber nicht wegen mir, sondern wegen meines Vaters. Er war mein grösstes Idol. Deshalb denke ich immer zuerst an ihn, wenn man mich auf meinen Namen anspricht.

Trotzdem ist Roitfeld zumindest in Paris vor allem eine Art Mode-Indikator. Die ganze Stadt verfolgt, was Sie gerade tragen oder schreiben.

Sobald man darüber nachdenkt, was die Leute in einem sehen, ist man verloren. Man verliert seine Freiheit und seine Unbeschwertheit.

Sie empfinden es nicht als belastend, dass Sie ständig analysiert werden, sobald Sie morgens das Haus verlassen?

Darüber mache ich mir zum Glück kaum Gedanken. Ich trage einfach das, was mir steht, wirklich! Dunkles Augen-Make-up, dunkle Bluse, schmale Jupes, Highheels. Mein Wissen über Mode ist nicht unfehlbar.

Jetzt untertreiben Sie.

Ich weiss, dass ich eine gute Stylistin bin. Aber ich glaube, in Sachen Mode überschätzt man mich auch ein wenig. Ich bin einfach eine typische Pariser Frau mit einem etwas mysteriösen Look. Damit können sich viele Pariserinnen identifizieren. Ich weiss nicht, ob das nun gut oder schlecht ist. Ich beabsichtigte nie, meinen Stil auf andere zu übertragen. Deshalb lese ich keine Blogs, in denen man mich analysiert.

Ihre früheren Mode- und Werbestrecken galten als radikal und provozierend. Sie wurden dafür geliebt oder gehasst. Fühlten Sie sich manchmal missverstanden?

Natürlich. Gewisse Reaktionen waren sehr verletzend. Der Vorwurf etwa, Rassistin zu sein, als wir eine Strecke mit weissen Models zeigten, die wir schwarz angemalt hatten. Das war absurd. Auch der Vorwurf der Kinderpornografie schmerzte. Aber das dauerte gewöhnlich nicht lange. Ich finde mich immer schnell damit ab, dass gewisse Leute nicht verstehen, was ich sagen will. Nach ein paar Tagen ist der Frust vergessen.

Mit heftigen Reaktionen mussten Sie ja auch rechnen, oder nicht?

Ja, und wissen Sie was? Am Ende des Tages ist das auch nicht mehr relevant. Was für mich wirklich zählt, sind die persönlichen Gefühle und Beziehungen, nicht mein Beruf. Das Wichtigste in meinem Leben ist nie die Mode gewesen, sondern meine Familie, meine Kinder, meine Freunde. Das war mir immer das Teuerste, das wird immer so bleiben.

The Little Black Jacket. Chanel’s Classic Revisited by Karl Lagerfeld and Carine Roitfeld. Steidl-Verlag, 2012, 232 Seiten, ca. 67 Franken

Carine Roitfeld

Die in Paris geborene Tochter eines Filmproduzenten arbeitete als Model und Stylistin für «Elle». Zusammen mit Designer Tom Ford und Fotograf Mario Testino brachte sie in den Neunzigerjahren das Label Gucci mit den für sie typischen Porno-Chic-Stylings wieder auf Trab. 2001 wurde Carine Roitfeld zur Chefredaktorin der französischen «Vogue» ernannt und sorgte zehn Jahre lang für die unkonventionellste und sexyste Ausgabe in der «Vogue»-Familie. Nach ihrer Kündigung arbeitete sie unter anderem als freie Stylistin für das Warenhaus Barneys New York. «The Little Black Jacket» ist neben ihrer Autobiografie «Irreverent» bereits das zweite Buch, das seither entstanden ist.

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1.

Noblesse oblige: Charlotte Casiraghi im Chanel-Jäckchen (links) Chanel goes Sex Pistols: Model Alice Dellal (rechts)

2.

Der neue Bildband ist eine Hommage in über hundert Bildern an das berühmte schwarze Jäckchen von Chanel – unter anderen mit Ines de la Fressange…

3.

…Daphne Guinness…

4.

… Elizabeth Olsen (links) oder Sarah Jessica Parker.

5.

Hinter der Kamera stand Chanel-Chefdesigner Karl Lagerfeld.

6.

Die prominenten Models wurden von Carine Roitfeld gestylt.

7.

Passt! Haider Ackermann und die Petite Veste Noire