Meinung: Warum die Fashionbranche jetzt Stellung beziehen muss
- Text: Jacqueline Krause-Blouin
- Bild: annabelle
Die Fashionbranche müsse Stellung beziehen zum Ukraine-Krieg, fordert unsere Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin. Die Laufstege in Paris und Mailand sind ihr während der derzeit laufenden Fashion Weeks viel zu unpolitisch.
Vor knapp zwei Jahren konnte man an den Fashion Weeks beobachten, wie plötzlich überall Menschen mit Masken auftauchten, wie chinesische Einkäufer:innen und Redaktor:innen fernblieben – das Doomsday-Gefühl, zwischen all den farbenfrohen Entwürfen und Designerhandtaschen – es war real. Danach wurde es still, an Modewochen war während der Pandemie nicht zu denken.
Aber jetzt sind sie alle wieder da, die It-Girls, die Streetstyle-Fotograf:innen, Kardashian, Rihanna. Die meisten tun das, was sie vor drei Jahren auch getan haben: «Walk, walk, fashion baby. The show must go on». Nur: Nach meinem Besuch in Mailand und ersten Shows in Paris kann ich sagen: selten haben sich Fashion Weeks mehr wie ein komplett entrücktes Paralleluniversum angefühlt, als diese Saison.
Was ist los mit der Branche, die immer mehr sein will als bloss Kleidung?
Zwei Flugstunden von den Laufstegen entfernt herrscht Krieg. Und ich frage mich täglich: Wie können wir jetzt über die neue Mode berichten? Wer will das wissen? Und warum? Dass ich mich so seltsam entrückt fühle, hat auch damit zu tun, dass die Modebranche – sonst so «woke» und laut, wenn es um Gay Rights, Feminismus oder Bernie Sanders geht, überraschend still ist.
Dass Armani seine Show ohne wummernde Bässe, sondern aus Respekt in kompletter Stille abhielt, war schon das Radikalste, was geboten wurde. Was ist los mit der Branche, die immer mehr sein will als bloss Kleidung? Die sich sonst so sehr damit rühmt, den Zeitgeist zu reflektieren?
«Wenn es zu einer geopolitischen Katastrophe kommt, schweigen alle.»
Wo waren denn die Slogans-Shirts mit den richtigen und wichtigen Messages von Maria Grazia Chiuri bei Dior? Für einmal hätte ein Slogan-T-Shirt nämlich Sinn gemacht, aber da war nur ein blasser «Next Era»-Print zu finden. Eine Ära des Schweigens? Um Himmels Willen, die schwangere Rihanna sass im Publikum, die ganze Welt schaute hin! Eine peinlich verpasste Chance.
«In den letzten Jahren haben so viele der wichtigen Player viel Energie darauf verwendet, sich als besonders ‹woke› zu inszenieren und Diversityaspekte aufzugreifen», sagt der Modechef der ukrainischen Vogue Vena Brykalin im Interview mit der österreichischen Tageszeitung «Die Presse». «Wenn es aber zu einer geopolitischen Katastrophe kommt, schweigen alle.»
Es liegt nahe, der Modeindustrie zu unterstellen, dass man aus Angst vor Umsatzeinbussen schweigt oder um seine russischen Investor:innen fürchtet. Das Image der wenigen kaufkräftigen Russ:innen ist schliesslich auch, dass sie geradezu besessen von Markenlabels sind. Aber laut des Branchenmagazins «The Business Of Fashion» macht Russland lediglich 3 Prozent des globalen Luxusmarktes aus – es wäre also zu verkraften, die Geschäftsbeziehungen einzustellen. Mode- und Luxusprodukte sind von den aktuellen Sanktionen bisher nicht betroffen.
Wenn schon die Augen der Weltöffentlichkeit auf einen gerichtet sind, zählt jede noch so kleine Geste
Das einzige grosse Modehaus, das bisher politisch Stellung bezog, ist Balenciaga. Der Brand löschte alle seine bisherigen Posts auf Instagram, man sieht dort nur noch eine ukrainische Flagge. Die Show am Sonntag dürfte die erste wirklich politische dieser Modewoche werden. Balenciagas Creative Director ist Demna Gvasalia, ein Georgier.
Einige kleinere Labels sind mutig, rufen öffentlich zu Spenden auf oder stellen wie Ganni oder Acne Studios ihre Lieferungen nach Russland ein und schliessen ihre Boutiquen. Das kleine ungarische Label Nanushka liess während seiner Show ein Streichorchester die ukrainische Nationalhymne anstimmen. Abgesehen von wenigen Ausnahmen herrscht auf den Laufstegen allerdings der Courant Normal.
Ich verlange keine überstürzten politischen Manifestationen, aber wenn schon die Augen der Weltöffentlichkeit auf einen gerichtet sind, zählt jede noch so kleine Geste. Von Moschino und Dolce & Gabbana erwarte ich schon lange nichts mehr, aber andere grosse Häuser – vor allem solche, die zu grossen Luxuskonglomeraten gehören – müssen nun mit Herz reagieren, um ihre Glaubwürdigkeit nicht aufs Spiel zu setzen. Und vor allem, um mit ihrem weltweiten Einfluss einen Unterschied zu machen.
Die 80-jährige Vivienne Westwood zeigt morgen um 13 Uhr in Paris, von ihr darf ein Statement erwartet werden. Dass ausgerechnet der 88-jährige Giorgio Armani bisher der politischste Designer dieser Saison ist, lässt die junge, ach so «woke» Generation von Modeschaffenden ziemlich alt aussehen.
Ich erwarte unbedingt Reaktionen von der Fashion Welt! Ansonsten ist es nur traurig!