Fashion
Luftküsse und lustige Accessoires: Modechefin Nathalie über die Fashion Weeks
- Text: Jana Schibli
- Bilder: Micha Freutel, Imaxtree; Collage: annabelle
Die Mode ist zurück! annabelle-Modechefin Nathalie De Geyter war an den ersten Fashion Weeks seit Pandemiebeginn dabei und hat sich unseren Fragen gestellt. Was sind die wichtigsten Trends? Wer war der bestangezogene Gast? Und warum, um Himmels Willen, graben wir plötzlich in unseren Teenie-Kleiderschränken herum?
Nathalie, du kommst gerade von den Fashion Weeks zurück – und zwar von den ersten nach eineinhalb Jahren Online-Shows. Was für ein Gefühl war es, wieder unterwegs zu sein?
Ich habe mich erstaunlich schnell wieder daran gewöhnt und es war eigentlich fast alles wieder normal. Kaum zu glauben! Ich bin aber auch sehr zwiegespalten: Einerseits habe ich mich natürlich unglaublich gefreut, wieder live mit dabei zu sein, an die Shows und Präsentationen zu gehen und die Sachen wirklich hautnah mitzuerleben. Auch Kleider zu berühren und mit den Leuten zu sprechen – zu spüren, was in der Luft liegt. Andererseits frage ich mich schon auch: Hätte sich nun nicht mehr ändern sollen wegen der Pandemie? Müssen wirklich all diese Leute aus der ganzen Welt in eine Stadt reisen, um die Shows zu sehen?
Bei welchen Shows sah man, dass doch ein Umdenken stattgefunden hat in Bezug auf das alteingesessene Modesystem und die Nachhaltigkeit?
Diesel zum Beispiel, mit Glenn Martens, der jetzt dort designt: Er arbeitet sehr viel mit alten Kollektionen, Deadstock, und diesen Rändchen, die überall weggeschnitten werden. Die benutzt er, um tatsächlich eine Jacke daraus zu machen. Dann gibt es auch Brands, die sagen: «Hey, wir haben uns von diesem Kalender verabschiedet. Wir machen nur noch zwei Kollektionen pro Jahr.» Bottega Veneta hat sich zum Beispiel vom offiziellen Plan verabschiedet. Es muss nicht mehr dieses Tempo von vier Kollektionen oder mehr sein, mit hunderttausenden Drops. Das braucht ja niemand mehr, so viele Dinge.
Und wo war alles beim Alten?
Bei den grossen Häusern hat sich nicht so viel verändert, Chanel und Louis Vuitton zum Beispiel. Nur die Shows sind jetzt kleiner geworden wegen Corona, es haben weniger Leute Platz in einem Raum. Aber sonst halten die meisten an ihrem System fest – ich nehme an, bei diesen grossen Marken steckt auch der finanzielle Druck dahinter.
Du sprichst es schon an: Die Front Rows sahen anders aus, mit weniger Vogue-Redakteur:innen, fehlender Star Power und allgemein kleineren Zuschauerzahlen. Wer war denn deiner Meinung nach der bestangezogene Gast?
Mir fallen an den Shows immer die Leute auf, die völlige No-Names sind! Die Influencer, die in einem kompletten Look des Show-Brands dasitzen, finde ich nicht so spannend. Ich liebe es, die anderen Leute zu beobachten. Insbesondere die, die das alles nicht für Instagram machen und einen sehr authentischen Stil haben. Aber ich kann dir jetzt keine Namen nennen, weil das alles sehr «unscheinbare» Leute sind!
Mit Blick aufs Ganze: Was war deine Lieblingskollektion?
Loewe.
Und deine Lieblingsshow?
Balenciaga!
Mit dem Simpsons-Film! Auf Social Media wurde die Balenciaga-Show rege – und vor allem positiv – diskutiert. Warum hat sie so eingeschlagen?
Diese Form einer Präsentation war etwas anderes und das hat die Leute gefreut. Es war nicht einfach ein Runway, über den Models schreiten. Ich fand das eine tolle Idee. Sehr erfrischend.
Den Abschluss des Fashion Month machte ein Tribut an Alber Elbaz, der dieses Jahr verstorben ist. Was wird die Modewelt auch in Zukunft von ihm mitnehmen?
Heutzutage sind die Wechsel bei den Modehäusern so schnell, dass man irgendwie gar nicht nachkommt, wer jetzt für welches Haus designt. Aber Elbaz stand jahrelang für Lanvin. Er gehörte für mich zur alten Garde der Designer, bei denen hinter jedem Label ein Gesicht stand, das man kannte. Ich vermisse das manchmal. Neben seinen Designs hat er mich auch mit seiner wahnsinnig sympathischen Persönlichkeit berührt. Ich finde es schön, wenn eine solche Ebene auch hinzukommt. Wenn es nicht nur um das Verkaufen und um Zahlen geht, sondern auch um Werte. Das wird mir an ihm immer in Erinnerung bleiben.
Persönlichkeit ist ein gutes Stichwort. Welche jungen Labels oder Designer:innen sollte man in den nächsten Saisons unbedingt im Auge haben?
Coperni finde ich sehr spannend. Ich muss in diesem Zusammenhang auch immer Jonathan Anderson erwähnen, obwohl er mittlerweile sehr etabliert ist. Auch bei Loewe finde ich ihn sehr interessant und sehr prägend für die kommenden Trends. Ich finde, er hat ein gutes Gespür für den Zeitgeist. Gauchère fand ich auch sehr spannend – ich finde, Marie-Christine Statz hat immer etwas von Phoebe Philo in ihrer Vision.
Du warst in Mailand und in Paris. Was ist dir auf den Strassen dort besonders aufgefallen?
Miniröcke! Es gab sehr viele Miniröcke. Und Blazer – der kastige Blazer ist irgendwie nicht mehr wegzubekommen. Neonfarben, vor allem bei den Accessoires. Und kniehohe Stiefel, von Riding Boots bis zu Gummistiefeln.
Auf den Laufstegen war der wichtigste Begriff Sexiness – knappe Kleider, viel Haut, Bikinis bei Chanel, hervorblitzende Unterhosen bei Miu Miu. Tragen wir nächsten Sommer viel weniger als mehr?
Das kommt auf die Generation an, und auf das Alter! Die 2000er sind zurück, das hast du vielleicht auch schon mitbekommen. Und diese Nullerjahre waren tatsächlich wahnsinnig sexy mit diesen Low-Waist-Jeans und Crop Tops. Ich glaube nicht, dass sich das nächsten Sommer schon durchsetzen wird. Aber längerfristig wahrscheinlich schon. Wir haben jetzt alle langsam diese Neunzigerjahre ein wenig satt.
Die 2000er also. Was holst du denn aus deinem Teenie-Schrank wieder hervor?
Wenn man die Miss-Sixty-Jeans behalten hat, könnte man die jetzt bald wieder anziehen. Ganz so weit bin ich noch nicht, aber sicher die tief geschnittenen Hosen und Cargo Pants. Ich habe selbst schon vor den Shows Cargohosen gekauft – ich merkte, dass ich nach 20 Jahren wieder bereit dafür bin.
Welche Trends sind dir sonst noch aufgefallen?
Ganz klar Low Waist und Miniröcke. Ich finde aber auch, dass Lederjacken wieder ein Thema sind, die sah man bei Prada sehr oft. Da gibt es auch secondhand sehr viele schöne Optionen. Denn je älter eine Lederjacke ist, desto schöner.
Und bei den Accessoires?
Plateau-Schuhe, was auch mit den 2000ern zu tun hat. Sexy Loafer, also Loafer mit einem Absatz, die etwas ausgefallener und femininer sind. Top Handle Totes, also Taschen, die man von oben hält. Sowieso: Ich finde, bei den Accessoires war es diese Saison sehr kreativ. Bei Loewe zum Beispiel fand ich diese verspielten Heels schön – ob mit Eiern, Lippenstiften oder Seifen. Funny Accessories! Man spürt, dass auch Designer:innen wieder Mode wollen, die Lust macht.
In welches Teil sollte man unbedingt investieren?
Entweder in eine Cargohose oder eine Lederjacke. Aber nicht eine Biker-mässige Lederjacke, sondern eine wie ein Blazer. Und eine tiefsitzende Hose wahrscheinlich. Bei den Accessoires in verspielte bunte Flats oder Plateau-Heels, wenn man wirklich mit dem Trend gehen will.
Zeit für Quickfire-Fragen! Zuerst der Kampf der Powerhouse-Kooperationen: Fendace oder Balengucci?
Balengucci.
Die Loewe-Schuhe mit Eiern oder Rosen?
Mit Eiern!
Digitale oder physische Shows?
Beides.
Bei Saint Laurent konnten die Models kaum gehen, ihre Stilettos waren so hoch. Zeitgeistig oder völlig vorbei?
Das ist überhaupt nicht mehr zeitgeistig. Ich glaube, niemand will Schuhe anziehen, in denen man nur zwei Meter gehen kann. Sexy darf es sein, aber das muss auch bequem gehen.
Und zuletzt: Zu Beginn der Pandemie verabschiedete sich die Modewelt von den so heiss geliebten Luftküssen. Ist eine Auferstehung nah oder sind sie wirklich weg?
Hoffentlich nicht! Ich glaube, sie erstehen wieder. Das wird nie verschwinden. Besonders in Mailand nicht, wo das so in der Kultur verankert ist.