Sie sind eine richtig coole Socke. Natürlich impliziert das schon Ihr Lebenslauf: In den Siebzigern standen Sie mit den Sex Pistols auf der Bühne. Sie schafften es als Aushängeschild des Punk dank Ihres modeschöpferischen Talents in den Buckingham Palace, um 2006 der Queen die Hand zu schütteln – und trugen dabei keine Unterwäsche. Doch nachhaltig beeindruckt haben Sie mich mit Ihrem Livetalk bei der «Bread & Butter» in diesem Herbst.
Bei einem Festival, das von Zalando organisiert wird und bei dem es notabene um reinen Konsum geht, kamen Sie auf die Bühne mit pailettenbestickten Hosen und einem Shirt, auf dem in dicken Lettern stand: «Buy less». Manche erwarteten, dass Sie auf der Bühne über Kleider sprechen. Stattdessen erhielten die Zuhörer eine Lektion in chinesischer Poesie. Sie sprachen über Gedichte, die Sie faszinieren, und nutzten sie, um am Ende auf gesellschaftspolitische Missstände hinzuweisen.
Punk ist bei Ihnen mehr als eine Attitüde. Sie schreien nicht nur mit zerissenem T-Shirt nach Anarchie. Sie rebellieren, ohne die Realität aus den Augen zu verlieren. Sie sind Modedesignerin und sprechen sich gegen sinnlosen Konsum aus. Sie wissen, dass viele Zuschauer Sie für eine Schrulle halten werden, die statt über Mode zu sprechen Gedichte rezitiert – auswendig! Ihnen ist es tatsächlich egal, was die Leute von Ihnen halten. Nicht egal ist Ihnen aber Ihre Zeit und der Nutzen, den Ihre Berühmtheit mit sich bringt – der Nutzen, den Sie für etwas Sinnvolles einsetzen möchten. Und dabei sind Ihnen allfällige Widersprüche absolut bewusst. Sie wollen es sich nicht einfach machen. Ihre Ambivalenz ist keine Ausrede. Sie fordern von den Zuhörern ein, Ihren Gedanken zu folgen. Dafür braucht es Konzentration. Wie erfrischend – denn in Zeiten, in denen wir nicht mal mehr einem Film folgen können, ohne unser Smartphone hervorzuholen, beweisen Sie auf der Bühne mit einer Selbstverständlichkeit, dass es eben doch geht. Frei nach dem Motto: Ich schenke Ihnen meine Zeit, also erwarte ich auch die Ihre.
Das Outfit, mit dem Sie auf die Bühne traten, war die Verkörperung eines Zwiespalts, mit dem viele von uns kämpfen – zwischen schillernder Mode und dem Wunsch nach nachhaltigem Konsum. Sie aber zeigen mir, dass es keinen Sinn macht, ständig gegen einen Zwiespalt anzukämpfen. Besser ist: Man setzt diese Energie für mehr Akzeptanz ein.
Liebe Vivienne Westwood, Sie sind eine Rebellin mit einer Vision, die durchaus alltagstauglich ist. Eine wahre Queen of Punk eben.
Herzlich, Viviane Stadelmann