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Liebe Marie Nasemann

Stil

Liebe Marie Nasemann

  • Text: Kerstin Hasse; Foto: Gisela Schober/Getty Images

Ich bin kein grosser Fan der Influencer-Welt. Mir ist das alles zu gestellt, zu unauthentisch und vor allem zu austauschbar, was die Influencerinnen und Influencer auf Instagram posten. Zu viel Beige, irgendwie. Ich meine: Wie viel Beige kann denn ein Leben überhaupt vertragen? Und: Warum sollte ich mich von diesen Menschen beeinflussen lassen? Nutzen die ihren Einfluss für etwas Nützliches? Man kann drüber streiten, was nützlich und sinnvoll ist im Leben, aber ich glaube, Matcha-Lattes, Lockenstäbe und überteuerte Hipster-Matratzen zu bewerben, gehört definitiv nicht in diese Kategorie.

Tatsache ist: Viele dieser Influencerinnen und Influencer werden von jungen Menschen wie Popstars gefeiert. Sie werden verehrt und bejubelt – und 1000-fach kopiert. Und da kommen wir zu Ihnen, Marie Nasemann. Denn Sie sind nicht nur Model und Schauspielerin und Sängerin, sondern auch Influencerin.

Ich bin auf Ihr Profil gestossen, nachdem ich vor ein paar Wochen ein sehr interessantes Gespräch mit Ihnen in der «Süddeutschen Zeitung» gelesen hatte. Ich habe Sie wiedererkannt aus der «Germany’s next Topmodel»-Zeit. Damals, als Sie Kandidatin bei Heidi Klum waren, schaute ich die Show noch, das ist schon lang her – 2009 wurden Sie in der vierten Staffel die Drittplatzierte. Ich wusste nicht genau, was Sie heute machen – und ich war wirklich begeistert vom Interview. Sie kamen sehr reflektiert und interessant rüber, und ich nahm Ihnen ab, was Sie sagten. Es wirkte authentisch. Seither folge ich Ihnen und Ihrem Blog «fairknallt» nun auf Instagram. Um genau diesen Blog ging es im Interview vor allem. Sie gründeten die Plattform, um sich mit Fairfashion auseinanderzusetzen. Das ist kein unkompliziertes Thema, weil es mit einem moralischen Dilemma zusammenhängt. Jede modebegeisterte Frau kauft gern Kleider. Dass man damit eine Branche füttert, die Menschen ausbeutet, die Umwelt verschmutzt und den Konsumwahn antreibt, reflektieren die meisten Leute nicht. Oder man ist sich zwar der Problematik bewusst, verdrängt diese unangenehmen Gedanken aber spätestens dann wieder, wenn man neue Jeans will.

Sie machen es anders. Sie schauen hin, Sie berichten über faire Labels, Sie stellen Fragen: Woher kommen meine Kleider? Wo wurden sie produziert? Woraus bestehen sie? Was passiert mit ihnen, wenn ich sie wegwerfe? Gäbe es zu diesem Designerteil nicht eine nachhaltige, coole Variante? Sie geben offen zu, dass Sie auch nicht immer die Antwort auf all diese Fragen haben. Das hängt nicht mit Unwissen zusammen, sondern mit einer Branche, die es einem nicht immer einfach macht, den Durchblick zu behalten. Was heisst denn überhaupt nachhaltig? Und was heisst conscious? Ist Bio auch fair? Sie deklarieren transparent, wenn ein Label, das Sie tragen, nicht nachhaltig produziert wurde, und zeigen damit auch, dass das Leben halt nicht schwarz und weiss ist. Ihr Engagement für faire Mode ist nicht moralisierend, Ihr Blog folgt keiner Doktrin. Aber Sie nutzen Ihren Einfluss in den Social Media, um andere Menschen mit diesen wichtigen Fragen zu konfrontieren.

Sie machen das alles sehr spielerisch und lässig. Sie sind Model, sehen sehr gut aus, und es ist schön, Ihre Bilder anzuschauen. Ihre Bildsprache kommt gut an auf einem auf die Optik fixierten Kanal wie Instagram, und damit tricksen Sie ein wenig die oberflächliche Welt der Social Media aus. Denn wer Ihnen folgt, kommt nicht umhin, sich mit dem eigenen Konsumverhalten auseinanderzusetzen – oder zumindest auch mal das eine oder andere faire Label zu bemerken, weil es einfach verdammt gut aussieht, was Sie tragen. Seit ich Ihnen folge, kenne ich ganz viele neue, nachhaltige Marken und Shops. Sie beweisen: Fair ist modisch und auch nicht überteuert, fair ist cool und übrigens auch noch sehr instagrammable.

Liebe Marie Nasemann, ich finde, Sie sind eine schlaue Frau, die Ihren Einfluss in den Social Media sinnvoll nutzt. Das mag nun simpel klingen, aber in einer Zeit, in der andere Influencerinnen und Influencer Werbung für Instantsuppen machen, für Hotelketten, in denen sie gratis schlafen wollen, und für hässliche Billigmode, macht Ihr Engagement eben genau das, was ich so oft in den Social Media vermissen: Sinn.

Herzlich, 
Kerstin Hasse