Wird künstliche Intelligenz bald einen grossen Teil kreativer Prozesse übernehmen? Darüber haben wir mit Dalith Steiger, Co-Gründerin von Swiss Cognitive, dem globalen Hub für künstliche Intelligenz, gesprochen.
Kreative gehen neue Wege: Tommy Hilfiger hat in Zusammenarbeit mit Studenten des Fashion Institute of Technology (FIT) für das Projekt «Reimagine Retail» eine Kollektion kreiert, bei der neue Muster, Farben, Silhouetten und Stile von künstlicher Intelligenz generiert wurden. Letztes Jahr sorgte das Werk der Pariser Kunstgruppe Obvious für Aufsehen, als das von künstlicher Intelligenz gestaltete «Portrait of Edmond Belamy» im New Yorker Auktionshaus Christie’s für 432 500 Dollar versteigert wurde. Und auch bei der Herstellung von Düften spielt künstlicher Intelligenz eine Rolle: Symrise, ein führender Hersteller, kreiert gerade neue Düfte mit Hilfe von Technologie.
annabelle.ch: Dalith Steiger, werden Kreativschaffende bald von künstlicher Intelligenz ersetzt?
Dalith Steiger: Meines Erachtens wird es immer beides geben: menschliche Fähigkeiten und technologische Entwicklungen. Die künstliche Intelligenz erweitert die Möglichkeiten der menschlichen Kompetenzen. Nehmen wir eine Grafikdesignerin, die ein neues Logo entwirft. Früher ging das von Hand auf einem Blatt Papier. Mit dem Computer wurde das Design dann digitalisiert. Heute findet das Entwerfen direkt auf einem Board oder Tablets statt. Das heisst, die Prozesse wurden verkürzt und das führt zu gesteigerter Effizienz. Doch die Designerin braucht es noch immer. Mit künstlicher Intelligenz können Daten ausgewertet und auf der Basis dieser Ergebnisse Verbesserungen vorgenommen werden.
Das heisst, dass man Kreationen der vergangenen zwanzig Jahre analysierten könnte, um daraus die perfekte Kollektion zu produzieren. Somit ist der Mensch, der designt, doch überflüssig, oder?
Natürlich geht die Weiterentwicklung von Technologien in diese Richtung. Altes zusammenführen, auswerten und etwas Neues daraus machen. Aber dies betrifft primär Arbeitsprozesse, die nicht in erster Linie im kreativen Bereich angesiedelt sind. Es geht um zeitintensive Arbeitsschritte, die automatisiert werden. Die Kreativität liegt in der Natur des Menschen. Wir kreieren mit all unseren Emotionen. Dass das ein Avatar übernehmen soll, daran zweifle ich.
Was ist heute schon möglich?
Schnitte, Muster und Farben können mit kognitiven Technologien ausgewertet werden. Auch die Personalisierung spielt im Retail eine immer grössere Rolle und kann durch Technologie unterstützt werden. Aber schlussendlich wird die Mode immer noch von Menschen getragen, die entscheiden, ob sie ihnen gefällt und oder nicht. Wir identifizieren uns nicht nur über Kleider, wir identifizieren uns mit einem Designer, einem Stil, einer Geschichte – darauf sind Brands aufgebaut. Eine Kollektion entworfen von künstlicher Intelligenz klingt doch gleich weniger glamourös.
Trotzdem ist künstliche Intelligenz mit legitimen Zukunftsängsten verbunden.
Vieles wird automatisiert, zahlreiche Jobs fallen weg. Dalith Steiger: Man spricht immer gleich vom negativen Aspekt: den Jobverlusten. Ja, es werden Jobs verloren gehen, aber auch ganz viele neue Arbeitsbereiche dazukommen. Ausserdem glaube ich, dass es noch sehr lange dauern wird, bis diese Veränderungen wirklich zum Tragen kommen.
Wie lange?
Für mich sind die meisten Schätzungen und Zukunftsprognosen pures Marketing. Es wird auch vollkommen ausser Acht gelassen, welche integrativen Möglichkeiten sich für Menschen mit Behinderung oder Menschen, die bereits lange aus dem Arbeitsalltag draussen sind, ergeben können. Diese Menschen könnte man mit neuen Technologien teilweise wieder in den Arbeitsmarkt integrieren. Und wer sagt, dass wir in Zukunft noch immer einen 8-Stunden-Tag haben? Vieles scheint gerade bei den Kritikern in Stein gemeisselt. Doch im Grunde kann vieles morgen schon ganz anders aussehen. Wenn neue Technologien dazu beitragen, dass ich die Arbeit auch in sechs Stunden erledigen kann, bleibt mir Zeit, um mich auf meine Kernkompetenzen zu konzentrieren – und auf einen Aspekt, der im hektischen Joballtag oft zu kurz kommen: die Musse.
Der technologische Fortschritt betrifft in erster Linie die Zukunft unsere Kinder. Was raten Sie Eltern?
Die Offenheit der Kinder ermutigen, wie sie Technologie nutzen können. Es ist wichtig, dass wir keine Angst schüren!
Dalith Steiger, www.swisscognitive.ch