Krasse Krallen
- Texr: Barbara Loop; Foto: Imaxtree.com
Erinnern Sie sich noch an Florence Griffith-Joyner? Die US-Amerikanerin hält den Weltrekord über hundert Meter von 1988 bis heute – und auch denjenigen der längsten Fingernägel der Sportgeschichte. Überholt wurde das Erbe der verstorbenen Sprinterin mit den Scherenhänden allein vom Zeitgeist: Bald waren überlange, farbige Nägel nur noch das Schreckensgespenst vom Land. Mit Strass besetzte Acryl-Nägel ein ästhetisches Todesurteil. Einzig Barbra Streisand durfte ihre Licence to Grow behalten. Schliesslich wachsen diese ikonischen Nägel seit den Sechzigern.
Und dann, ganz plötzlich, man hat es nicht kommen sehen, wird wieder an allen Ecken und Enden gefeilt, geklebt und gepinselt. Künstliche Nägel waren die Accessoires der letzten Fashionshows. Und auch die Stars setzten sie in Szene: Ariana Grande sang nicht nur mit Streisand im Duett, sondern ging mit ihr zur Maniküre. Cardi B. empfing Bernie Sanders im Nagelstudio zum Interview, Billie Eilish verziert die Kunstnägel passend zum Outfit mit dem Gucci-Logo, die spanische Sängerin Rosalía widmet das Video zu «Aute Cuture» der Nailbar, und Pop-Star Lizzo lässt sich für die Grammys jeden Nagel einzeln piercen und für die Brit Awards in kleine Schoggiriegel verwandeln. Farbe- und Geschmacksrichtung: Hershey Chocolate.
Natürlich freut sich die Beauty-Industrie über jeden zusätzlichen Zentimeter dieses neuen Absatzmarktes. Und auf dem roten Teppich kann ein wenig aufgemaltes Selbstbewusstsein nicht schaden. Endlich weiss man, wohin mit den Händen: ins Rampenlicht! Der Alltag hingegen gestaltet sich der-art zugespitzt schon schwieriger: Man denke nur an BH-Verschlüsse, Joghurtdeckel, Tampons! Ach was, manchmal ist der glamouröse Moment Zweck genug, der grosse Auftritt, das Foto für die Ewigkeit. It’s fashion, baby! Aber wie zur Hölle tippe ich #nailart mit diesen Krallen?