Stil
Jungdesigner Collective Swallow im Interview
- Redaktion: Viviane Stadelmann; Foto: Porträt Mavi Behramoglu, Lookbook Christian Schnur
Die Schweizer Jungdesigner Anaïs Marti und Ugo Pecoraio machen mit ihrem Label Collective Swallow genderneutrale und saisonunabhängige Mode. Wir haben beim Duo nachgefragt, mit welchen Herausforderungen es zu kämpfen hat und weshalb ihre Stücke die Namen von Gerichten tragen.
An der Mode Suisse Edition 12 am Montag, 4. September, zeigten Anaïs Marti und Ugo Pecoraio ihre Mode zum ersten Mal auf dem Runway.
annabelle: Sie haben beide Modedesign an der Fachhochschule Nordwestschweiz studiert. War bereits im Studium klar, dass Sie zusammenarbeiten und ein Label gründen würden?
Anaïs Marti: Nein, eigentlich nicht. Wir haben nicht dieselbe Klasse besucht, sondern haben uns über unsere Projektarbeiten mit Latex kennengelernt. Daraus entwickelte sich eine Freundschaft. Als Ugo das Studium dann abschloss, hatten wir beide Lust auf ein gemeinsames Projekt.
Bei Ihren Projekten während des Studiums haben Sie allein designt. Jetzt sind SIe ein Duo. Was ist schwieriger?
Ugo Pecoraio: Es gibt Dinge, die sind zu zweit einfacher, und solche, die funktionieren besser alleine.
Anaïs Marti: In meinen Augen ist es eine Bereicherung, im Team zu arbeiten. Es kommt eine weitere Perspekt
Sie haben im Frühjahr Ihre erste Kollektion herausgebracht. Wodurch wurde sie inspiriert?
Ugo Pecoraio: Das Konzept basiert auf der gustatorischen Wahrnehmung. Die Kleider sollen die Sinneswarnehmungen im Gaumen darstellen. Süss, sauer, salzig, bitter und umami.
Was heisst das konkret?
Anaïs Marti: Ein Kleid heisst zum Beispiel Ceviche – benannt nach einem peruanischen Gericht, welches Säure, Umami und ein wenig Süsse enthält. Aus diesen Geschmacksatributen ergibt sich dann die Form und Farbe des Kleidungsstücks.
Sie haben bei Ihrer Kollektion mit ungewöhnlichen Materialien wie Latex und Plastik gearbeitet. Was fasziniert Sie daran?
Ugo Pecoraio: Latex ist ein besonderes Material. Mit einem einzigartigen Fall, vor allem in der Bewegung am Körper. Sobald man mit Latex nicht hautenge Kleidung designt, sondern mit mehr Volumen und Weite arbeitet, kann Stoff betreffend seines Falls nicht mithalten. Zudem näht man es nicht, man klebt es. Es ist ein sehr zeitaufwendig, mit vielen Wartezeiten zum Trocknen zwischen den Arbeitsschritten. Das Material gibt quasi das Tempo vor. Dieser ganze Arbeitsprozess ist toll. Wir haben ihn uns durch Videos auf Youtube angeeignet.
Wirklich?
Anaïs Marti: Ja. Wir haben viel ausprobiert und gemerkt, dass es gewisse Teile gibt, die man nur zu zweit herstellen kann – es braucht vier Hände.
Die erste Kollektion – das ist ein Meilenstein. Gab es Schwierigkeiten oder Herausforderungen?
Ugo Pecoraio: Geld!
Anaïs Marti: Dazu die ganze Organisation. Herauszufinden, wo man produziert, wo man seine Materialien bezieht, auch in kleinen Mengen.
Wo produzieren Sie jetzt?
Ugo Pecoraio: Teilweise in Deutschland, teilweise in der Schweiz. Aktuell wohnt Anais in Basel, ich in Berlin. Die erste Kollektion haben wir aber beide zusammen in Berlin gemacht.
Ihre Entwürfe sind unisex, richten sich also nicht an ein Geschlecht; zudem sind sie saisonunabhängig. Das ist eher unkonventionell.
Anaïs Marti: Auf das Geschlecht bezogen finden wir, dass es nicht unsere Aufgabe als Designer ist zu bestimmen, wer unsere Kleider anziehen soll. Jeder, der sich von unserer Mode angesprochen fühlt, soll sie tragen. Wir begrüssen es, wenn unsere Kunden offen sind. Auf die Saison bezogen: Die Jahreszeiten überschneiden sich; wenn es hier Sommer ist, ist es andernorts auf der Welt Winter. Wir möchten keine Kollektion machen, die nach einem halben Jahr schon wieder passé ist.
Ist der internationale Hype um Vetements und Labels mit genderneutralen Kollektionen eine Sprungfeder für Sie?
Ugo Pecoraio: Nein, ich glaube, ein Verkaufsargument für unsere Kleidung ist es nicht. Diese Entscheidungen haben wir aus persönlicher Überzeugung getroffen.
Wie heben Sie sich als Jungdesigner von anderen innovativen Konzepten ab?
Anaïs Marti: Die Vielfalt ist natürlich schon unglaublich gross und die Konkurrenz dementsprechend stark. Ich denke, man muss etwas machen, was wirklich echt ist, damit es glaubhaft wirkt. Wenn man Glück hat, findet man damit ein Publikum, das die eigene Mode versteht.
Wie schaffen Sie es, sich treu zu bleiben?
Anaïs Marti: Durch den Fakt, dass wir zu zweit sind, gibt es natürlich mehr Reflexion. Ausserdem fragen wir uns immer, was wir spannend finden – und nicht was dem Publikum gefallen könnte.
Das Publikum ist am Ende aber schon relevant. Schliesslich wollen Sie irgendwann von Ihrer Mode leben können.
Ugo Pecoraio: Wenn das möglich ist, gern. Das wäre grossartig.
Nun zeigen Sie Ihre Stücke erstmals an der Mode Suisse. Worauf freuen Sie sich besonders?
Anaïs Marti: Die Mode Suisse ist für uns eine tolle Plattform, um der Schweiz überhaupt zeigen zu können, dass es uns gibt. Und es ist sehr schön, als so kleines Label an einer solch professionellen Show mit tollen Models, Make-up Artists und Organisation teilzunehmen.
Was wünschen Sie sich für Ihr Label?
Anaïs Marti: Dass die Geschichte weitergeht. Dass wir designen können und die Leute unsere Kleider kaufen.
Ugo Pecoraio: Und anziehen.
1.
Vierfarbiges Patchwork-Kleid «Ceviche» aus Latex