Vor dem Kinostart der Doku «High & Low: John Galliano» sorgte John Galliano mit seiner Couture-Show für Maison Margiela für Furore.
Dieser Artikel erschien in annabelle 04/24
Am 16. Mai läuft «High & Low: John Galliano» in den Deutschschweizer Kinos an – die Spannung hat der Designer mit seiner jüngsten Couture-Show für Maison Margiela längst geschürt: Es war ein Spektakel, wie die Modewelt es viele Jahrzehnte nicht mehr erlebt hatte.
Ein kalter Wind blies über die Seine, als sich das Publikum unter der Pont Alexandre III in Paris in einer inszenierten Spelunke aus längst vergangenen Tagen versammelte. Männermodels torkelten mit Zündhölzli im Mundwinkel wie Zechpreller durch die Gänge, schlichen mit Schiebermützen durch eine schummrig belichtete Gasse. Szenen wie aus Bertolt Brechts Unterwelten. «A walk through the underbelly of Paris», erklärte denn auch Designer John Galliano seine Show. Sie erinnerte an seine kontrovers diskutierte Kollektion für Christian Dior zu Beginn des Millenniums, für die er sich von den Obdachlosen der Stadt inspirieren liess.
Mehr Kostüm als Klamotte
Die weiblichen Models wirkten mit ihren Hüten, den ausladenden Hüften und den durch Korsetts zu unmöglichen Taillen gequetschten Bäuchen wie einem Toulouse-Lautrec-Gemälde entsprungen. Andere wie Porzellanpuppen: Kleider aus weissem Latex und Halskrausen aus poliertem Leder imitierten das Material und waren, wie so oft bei Galliano, mehr Kostüm als Klamotte. Für die Gesichter der Models hatte sich Visagistin Pat McGrath den Glass Skin ausgedacht: Sie schminkte sie blass, die Brauen dünn, und überzog sie mit einer Schicht Liquid Glass.
Es wurde ruhig um das Enfant terrible der Mode
Schon Ende der Neunziger kollaborierte McGrath mit Galliano, damals für Dior. Jahre später beklagte sie sich in einem vielzitierten Interview, dass «Makeup ohne Galliano einfach nicht dasselbe» sei. «Ohne Galliano», weil der Dior 2011 verlassen musste: Nach unzähligen Alkohol- und Drogenexzessen (während derer er unter anderem nackt im «Ritz» Lift fuhr) landete er wegen einer antisemitischen Schimpftirade vor Gericht. Er begab sich in Rehab, traf einen Holocaust-Überlebenden und Rabbi, sühnte. Es wurde ruhig um das Enfant terrible der Mode.
Nun also lässt er die Puppen wieder tanzen. Während andere auf leisen Luxus und Perfektion setzen, inszeniert er gescheiterte Lebenskünstler:innen in zerschlissenen Strümpfen, richtet ihre Körper mit Korsetts auf; es wirkt fast autobiografisch. Und während viele Kollektionen verkopft und kontrolliert daherkommen, war seine Show exakt das; ein skurriles Schauspiel, ein Drama im wahrsten Sinne. Und ein Versprechen?
Zugunsten Pat McGraths langersehnter Rückkehr des Make-ups auf den Laufsteg, vor allem aber für mehr Imagination und Utopie? Mark Guiducci, Creative Editorial Director bei «Vogue», beschrieb die Show als «die Modefantasie, die den Kids der Neunziger versprochen wurde». Und spekuliert, dass sich Galliano neue Höhenflüge erlauben könne, nun, da er seine tiefsten Tiefs mit der Doku aufgearbeitet hat – mit aufgeräumtem «Underbelly» quasi.
Ab 16.5. im Kino: «High & Low: John Galliano»