Stil
«Ich habe schon viel gefunden, wonach andere noch suchen»
- Text: Kerstin Hasse; Fotos: Kerstin Hasse (8)
Tanja Grandits ist die erste Preisträgerin des Schweizer Michelin Female Chef Award. Wir haben mit der 47-jährigen Chefköchin über ihre Vorbildfunktion als Frau in der Spitzengastronomie, über ihre Lieblingskräuter und über Farben, die in ihrem Restaurant Stucki den Ton angeben, gesprochen.
Tanja Grandits steht vor dem Eingang des «Stucki» und schneidet kleine, violette Blüten eines grossen Basilikumstrauchs ab. Ein süsslich-würziger Duft liegt in der Luft. Grandits lächelt, legt die Zweige in einen Korb und wischt sich die Hände an der Schürze ab. «Der Duft kommt vom Basilikum, die Sorte heisst African Blue, eine wunderbare Pflanze.» Aus den Blüten wird Grandits einen Sirup herstellen, den sie in einer blauen Basilikumlimonade ihren Gästen servieren wird. Ein blauer Apéro als Auftakt zu einem Dinner, bei dem Farbe und Geschmack eine harmonische Einheit bilden. Wir setzen uns auf die Terrasse des Restaurant «Stucki», die beeindruckende Villa im Basler Bruderholz, die nicht nur Arbeitsort, sondern auch das Zuhause von Grandits und ihrer Familie ist, sonnt sich in der Julisonne, während Hummeln über dem Kräutergarten kreisen.
annabelle.ch: Vor einigen Wochen wurde Ihnen von Michelin in Zusammenarbeit mit Veuve Cliquot der erste Schweizer Female Chef Award verliehen. An der Verleihung sagten Sie auf der Bühne: «Ich habe mir nie überlegt, dass ich eine Frau bin, ich habe einfach immer alles so gemacht, wie ich es wollte.» Sie werden ungern danach gefragt, wie es ist, als Frau in der Spitzengastronomie zu arbeiten, oder?
Tanja Grandits: Na ja, ehrlich gesagt bin ich es ein wenig leid. Ich bin eine Frau, aber ich mache mir das im Alltag nicht andauernd bewusst. Ich werde immer wieder gefragt, wie ich mich fühle als Frau, ob ich anders koche oder ob ich einen anderen Führungsstil habe. Ich kenne die Antwort nicht. Ich weiss nicht, ob ich Entscheidungen treffe, weil ich eine Frau bin, oder einfach, weil ich meinem Charakter entsprechend handle.
Sie möchten nicht auf Ihr Geschlecht reduziert werden.
Genau. Wenn ich einen Preis als Female Chef Award bekomme, gibt es natürlich Leute, die fragen: Warum ist das jetzt ein Preis für Frauen, braucht es das denn überhaupt? Nun, ich bin im Jahr 2014 auch zum Koch des Jahres gewählt worden, das war bis dahin ein Männerpreis. Über diesen Preis habe ich mich damals sehr gefreut – und genauso freue ich mich jetzt über diese Auszeichnung. Es ist eine Ehre für mich, aber auch für mein Team. Vielleicht mache ich mir auch einfach nicht so einen Kopf über solche Sachen. Ich denke nicht darüber nach, ob ich anders handle, weil ich eine Frau bin, und ich habe auch nie Nachteile bei meiner Arbeit gespürt, weil ich eine Frau bin.
Sie haben sich in dieser von Männern dominierten Branche nie benachteiligt gefühlt?
Nein, das Gefühl hatte ich nie. Und ich denke, das hat sehr viel mit meiner Person zu tun. Mich benachteiligt zu fühlen, würde mich im Alltag hemmen. Ich glaube, man kommt nicht weiter, wenn man durchs Leben geht und denkt, ach, ich bin im Nachteil, weil ich eine Frau bin oder klein bin oder eine Deutsche bin …
Es fällt aber auf, dass es in der Gastronomie bedeutend weniger Frauen in Spitzenpositionen gibt.
Das stimmt. Aber das hat nichts mit der Branche zu tun, oder zumindest nicht allein mit ihr. Leider ist das ja in ganz vielen Bereichen so. Es gibt weniger Chefinnen, weniger Frauen in Führungspositionen als Männer. In der Ausbildungsphase trifft man noch mehr Frauen, aber danach werden es immer weniger. Es ist ein mental und körperlich anstrengender Beruf mit Arbeitszeiten, die nicht familienfreundlich sind: Man arbeitet am Wochenende und oft bis spät in die Nacht.
Wie machen Sie das?
Ich wohne und arbeite erstens im selben Haus und habe zweitens für meine Tochter Emma eine Betreuerin, die seit ihrer Geburt Zeit mit ihr teilt. Hilal hilft gleichzeitig im Restaurant oder bei Caterings mit. Diese Situation ist einmalig, und ich fühle mich dadurch sehr privilegiert.
Man hört oft von Machtspielen in der Küche, von Macho-Chefs und bösen Beleidigungen. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Ja, die Stimmung in Küchen kann sehr aggressiv sein, das habe ich zum Beispiel in London erlebt. Aber ich habe versucht, aktiv anders zu handeln. Ich bin nicht darauf eingegangen, ich habe Sachen freundlich besprochen, weil ich selbst eine freundliche Person bin. Das ist auch mein Ratschlag an junge Frauen: Bleibt euch selber treu, geht euren eigenen Weg und folgt eurer Freude.
Als höchstdotierte Köchin der Schweiz (2 Michelin-Sterne und 18 Gault-Millau-Punkte) sind Sie ein Vorbild für viele ambitionierte Köchinnen.
Viele junge Frauen kommen auf mich zu und bitten mich um Ratschläge. Sie wollen sehen, was ich mache und wie ich es mache, und dem möchte ich Sorge tragen. Ich bin gern ein Vorbild, wenn ich es sein kann.
Reden wir über Ihre Faszination für Farben. Wie hat die begonnen?
Meine Küche hat sich über die Jahre stets weiterentwickelt. Ich habe lang crossover gekocht, ich war fasziniert von asiatischen Aromen, weil ich früher sehr viel durch Asien gereist bin. Als ich dann vor neun Jahren im «Stucki» angefangen habe, merkte ich, dass ich mich in einem Prozess befinde. Vorher habe ich die Farben auf dem Teller auch immer gemixt, das wollte ich aber nicht mehr so machen. Ich will, dass jeder Teller eine Farbe hat, das erzeugt für mich Harmonie. Bei einem einfarbigen Teller kommt für mich der Geschmack besser zur Geltung.
Wie erklären Sie sich das?
Gleichfarbige Produkte harmonieren geschmacklich – zum Beispiel alle gelben Sachen schmecken fantastisch zusammen. Nehmen wir Chicoree mit Zitrone, eine wunderbare Kombination! Ich habe viel experimentiert, die Farben wurden zu einer Leidenschaft.
Wie gehen Sie bei der Komposition eines Gerichts vor?
Ich nehme ein Grundprodukt, das kann ein Stück Fleisch, ein Fisch oder auch ein Ei sein. Dann kommt ein Gemüse dazu, welches meist die Farbe des Gerichts bestimmt. So sind die Farben ein sehr gutes Hilfsmittel, das meine Arbeit strukturiert, gleichzeitig kann ich in diesen Strukturen kreativ sein.
Sein eigenes Ding gefunden zu haben, kann entlastend sein in einer Branche, in der jede und jeder stets den nächsten kulinarischen Coup jagt.
Man muss nicht jeden Tag das Rad neu erfinden, kann aber dennoch immer wieder Neues ausprobieren. Mir gibt das Sicherheit, ich muss mich nicht immer messen. Meinen Stil, meine Küche, meine Leute – ich habe schon ganz viel gefunden, wonach andere noch suchen.
Was ist Ihre Lieblingsfarbe auf dem Teller?
Das kann ich gar nicht so richtig sagen, es kommt immer darauf an, was es für ein Gericht ist. Grün ist aber eine Farbe, die ich sehr gern habe, vor allem, um ein Menü zu beginnen: Grün ist vital, lebendig und wohltuend. Das Amuse-bouche ist sehr oft grün, weil mir das als Auftakt gefällt. Ich serviere das Amuse-bouche am Abend jeweils selber, und manche Gäste sagen dann: Ah, jetzt kommt wieder die Frau Grandits mit dem grünen Gang. Damit sage ich Hallo.
Kräuter sind Ihre zweite grosse Leidenschaft. Was ist das letzte Kraut, das Sie für sich entdeckt haben?
Vor kurzem habe ich meine Goldmelisse geerntet, die ich ganz vergessen hatte. Ich war eine Woche weg, um in Zypern zu kochen, und als ich zuhause ankam, war der Goldmelissestrauch voll von diesen roten riesigen Feuerbällen. Ich dachte einfach nur: Wow! Ich habe die Blüten voller Freude geerntet und sie mit Wasser und Zucker eingelegt. Daraus werde ich jetzt einen Sirup machen, der sicher in einem meiner nächsten Gerichte eine Rolle spielen wird.
Kleiner Stadtbalkon, wenig Platz: Was darf nicht im Kräutergarten fehlen, wenn es nach Tanja Grandits geht?
Sicher Verveine, das gibt einem Curry eine wunderbare Frische. Dann ein bis zwei Sorten Basilikum: Das African Blue kann ich empfehlen, das ist ein sehr robustes Basilikum, das gut wächst, es braucht einfach viel Sonne. Minze braucht es unbedingt: Um ein frisches Tabouleé zu machen oder ein Erbsengericht oder einen Minztee. Thymian gehört auch auf den Balkon, den finde ich auch wunderbar im Tee, ich trinke immer Ingwertee mit Thymian, Rosmarin, Honig und Zitrone – das schmeckt wunderbar.
Letzte Frage: Wie macht man aus einem langweiligen Blattsalat ein spannendes Sommergericht?
Ich würde viel Estragon dazugeben. Ich schneide die Kräuter nicht, sondern zupfe sie einfach ab. Dazu kommt dann Minze, Basilikum, Fenchelkraut, ein bisschen abgeriebene Limetten und geröstete Pistazien. Dann hat man das ganze Erlebnis: Säure, Zitrusaromen, die Kräuter, das knackige der Nüsse – das wäre für mich ein perfekter Sommersalat.
1.
In der prachtvollen Villa im Basler Bruderholz arbeitet Tanja Grandits nicht nur, sie wohnt auch darin mit ihrem Mann und ihrer Tochter. Die 11-Jährige interessiert sich auch schon für Kräuter: «Meine Tochter mag Kräuter, und sie kennt auch schon enige. Wir haben zwei Hasen und drei Schildkröten, und für die holen wir ab und zu eine Kräutermischung in unserem Garten. Ich scherze manchmal, dass wir den Leuten nicht sagen dürfen, was unsere Tiere für Leckereien bekommen.»
2.
Uns hat Tanja Grandits einige Lieblinge aus ihrem Reich gezeigt:
3.
«Verveine ist so frisch, das liebe ich. Ich verwende das Kraut regelmässig in meinem Amuse-bouche. Manchmal zerdrücke ich ein paar Zweige mit der Hand und stecke sie mir vorne in meine Schürzentasche, bevor ich mit den Tellern an den Tisch trete. Dann riecht die Luft nach Verveine, aber die Leute wissen gar nicht, woher der Duft kommt. Solche Spielereien mag ich.»
4.
«Diese pinke Goldmelisse ist wunderschön und überrascht in einem Gericht – zum Beispiel als Farbtupfer in einem Salat.»
5.
«African Blue ist eine Basilikumsorte, die ich sehr mag. Ich ernte zum Beispiel Blüten und mache dann einen Sirup daraus. Ganz lecker.»
6.
«Die Pflanze hat besonders schöne Blüten mit dieser sternartigen Form – ausserdem haben sie viel Geschmack. Ich verwende sie zum Beispiel für einen violetten Hauptgang, mit Artischoken, die wir in Cassis-Saft gekocht haben und dazu ein Cassis-Hummus und ein Stück Lamm.»
7.
«Taglilie schmeckt wahnsinnig gut, ein bisschen wie ein Nüsslisalat. Süsslich und frisch und zart. Und die Farbe ist natürlich auch ganz toll. Die kann man im geöffneten Zustand essen, aber auch geschlossen. Das schmeckt total super, das ist wie ein kleiner Snack, grossartig! Die kann man auch in kleine Ringe schneiden und damit für eine optische Überraschung im Gericht sorgen.»
8.
«Der Fenchel wächst überall, er drückt sich durch. Nur schon eine kleine Fenchelblüte hat so einen wunderbaren Geschmack. So lecker, süsslich, richtig schön!»