Hund und Stadt
- Text: Christian Seiler
Flanieren in Wien.
Wien ist ein gutes Pflaster für Hunde – und natürlich für Hundebesitzer. Zwar wachsen aus allen Grünflächen der Stadt, und es gibt viele davon, kleine Schildchen, von denen uns ein kleiner, schlauer Terrier angrinst, um seine pädagogische Botschaft loszuwerden: «Nimm ein Sackerl für dein Gackerl.» (So viel Fremdsprache verstehen Sie bestimmt.) Für Reisende aus der Schweiz und ihre Hunde namens Robidog bedeutet diese Aufforderung pure Selbstverständlichkeit. In Wien kam der Vorstoss der Stadtregierung jedoch einer Revolution gleich. Seither gehören sowohl grinsende Terrierschildchen als auch sich bückende Wiener Hundebesitzer zum Stadtbild, und die Trottoirs sind mehrheitlich sauber.
Ich lebe seit 13 Jahren mit meinem Hund Barolo zusammen, einem schwarzen Hovawart, dessen liebstes Hobby es ist, sich zu freuen. Der Hund freut sich, sobald er einen Menschen trifft, den er kennt; er freut sich aber auch, wenn er jemanden kennen lernt, den er bisher noch nicht kannte. Das Tätscheln einer fremden Hand quittiert er mit vollem Körpereinsatz, indem er seine Flanke an die Beine des Streichlers schmiegt, um eine noch grössere Dosis Körperkontakt abzukriegen. In den Zeiten, in denen der Hund Barolo das Fell wechselt – gefühlte sechs bis acht Monate pro Jahr –, hinterlässt das an den hellen Hosen der freundlichen Streichler einen dunklen Flaum, aber die Reaktionen sind erstaunlich. Die dunklen Haare des Hundes werden als Souvenir betrachtet, nicht als Beleidigung der hellen Hosen.
Wien besitzt wunderbare Hundezonen – im Prater, wo auf der Fläche des Zürcher Niederdorfs alle Hunde frei durch den Wald laufen dürfen, auch im Stadtpark am Ufer des Wienflusses oder entlang dem Donaukanal. Aber kein Mensch regt sich darüber auf, wenn man ausserhalb der Hundezonen mit dem Hund auftaucht, und die geschriebene Regel, dass jeder Hund in den öffentlichen Verkehrsmitteln – Wien besitzt ein anständiges U-Bahn-Netz – nur mit Leine und Beisskorb reisen darf, wird äusserst milde exekutiert.
Die in Italien so drängende Frage, ob es Lokale gibt, in die man den Hund mitnehmen darf, ist in Wien leicht beantwortet: Ja. Es gibt nur Lokale, wo man den Hund mitnehmen darf, selbst die gehobenste Gastronomie freut sich darüber, neben dem Tisch mit dem vielen Silber und Kristall einen Napf für den Touristenhund vorzubereiten. Der Sommelier des «Steirerecks», des zurzeit besten Spitzenrestaurants der Stadt, spricht über den Hund, der das Lokal besucht, mindestens so gern wie über den österreichischen Wein, den kaum jemand besser kennt als er – sein kynologisches Wissen führt jedoch nicht zwangsläufig zu teuren Bestellungen.
Das einzige Lokal Wiens, wo Hunde nicht willkommen sind, ist das Café des Hotels Imperial. Als ich dort zum Frühstück verabredet war und mit meinem Hund Barolo auftauchte, bedeutete mir der Kellner einfühlsam, ich möge den Hund doch bitte im Vorraum parkieren. Ich hängte den Barolo also mit der Leine an die Heizung, worauf dieser wenig später mit der abgerissenen Heizungsblende im Schlepptau das Lokal betrat und mich rumpelnd suchte. Wir durften dann in einem prunkvollen Nebenraum gemeinsam frühstücken.
Wien liebt seine Hunde. Wien spricht gern über Hunde. Man darf nicht erschrecken, wenn beim Spaziergang im Stadtpark alte Frauen aus dem Gebüsch springen, sich auf den Hund stürzen und diesen zu streicheln beginnen, während sie im Falsett heulen: «Ist der lieb.» Sobald sich der Puls beruhigt hat, muss man freilich auf ein Impulsreferat gefasst sein, welches das Thema «Mir sind die Tiere viel lieber als die Menschen» behandelt. Es ist ein urwienerisches Phänomen, dass sich Misanthropie als Tierliebe äussert.
Eine spezielle Hürde für den Wienbesuch erwartet seit neuestem bloss Besitzer so genannter Kampfhunde. Sie müssen ihre Kompetenz in der Hundehaltung mit einem «Hundeführerschein» ausweisen, der nur in Wien erworben werden kann. Das betrifft folgende Rassen: Bullterrier, Staffordshire Bullterrier, American Staffordshire Terrier, Mastino Napoletano, Mastin Español, Fila Brasileiro, Mastiff, Bullmastiff, Tosa Inu, Pitbullterrier, Rottweiler, Dogo Argentino (Argentinischer Mastiff). Der Führerschein gilt auch für Mischlinge dieser Rassen.
Doch keine Angst, falls Sie mit Ihrem gutmütigen Bulli gerade im Anflug auf Wien sind. Sie müssen nicht zur Schule. Ihr Hund muss nur in der Öffentlichkeit einen Maulkorb tragen, was Sie zwar gegen die Schelte patroullierender Polizisten feit, nicht aber gegen die Liebesbezeugungen anonymer Passanten.
Christian Seilers Kolumnen über seinen Hund Barolo sind auf www.mein-hund-barolo.com nachzulesen; der Journalist lebt in Wien.
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…im Prater und überall gehts ohne Leine.