Olympia-Ticker der anderen Art: Online-Praktikantin Jessica Prinz ist nach Südkorea gereist, um ihren Cousin, der sich im Super-G qualifiziert hat, zu unterstützen. Der Wochenrückblick.
Nach über 20 Stunden Anreise aus der Schweiz über München und Seoul kommen wir erschöpft in Gangneung an – unser Zuhause für die nächsten sieben Tage, unser Zuhause während der Olympischen Spiele in Südkorea, für die sich mein Cousin Thomas Tumler dieses Jahr zum ersten Mal im Super-G qualifizieren konnte. Der erste Eindruck ist ernüchternd, Englisch sprechen hier nur wenige, die Taxifahrer kennen unsere Unterkunft nicht, und das Olympiagelände ist ohne gültiges Ticket nicht zugänglich, für diesen Abend ist alles ausverkauft. Irgendwann landen wir in einem traditionell koreanischen Restaurant. «Recommended», sagt die Gastgeberin nur, mit dem Finger auf koreanische Zeichen tippend. Wir nicken – glücklich, dass uns jemand die Entscheidung abnimmt – und werden von Essen, Bier und Gastfreundschaft nicht enttäuscht, obwohl das Sitzen am Boden nach der langen Reise eine Tortur ist. Wir sind in Südkorea – und voller Vorfreude auf das, was kommt!
Menschenleere, Stille und ein einsames Stadion – gewiss nicht das, was wir in Pyeongchang vorzufinden hofften. Denn die Olympiade behauptet zwar, in Pyeongchang stattzufinden, tut dies aber in Gangneung, Jeongseon und Daegwallyeong. Das Glück hat also am zweiten Tag unseres Aufenthalts noch nicht zu uns gefunden, das Geld auch nicht. In Südkorea sind Visa-Karten weitaus mehr verbreitet als Mastercard oder Maestro, mit EC-Karten gibts kein Geld, weder am Automaten noch in der Bank, mit Mastercard nur ab und zu. Nach langer Suche erreichen wir immerhin eines unserer Ziele und dürfen endlich ein wenig Olympialuft schnuppern. Vor dem Eingang zum Langlaufrennen verkauft man uns Billette, wir dürfen uns auf ein erstes Highlight aus Schweizer Sicht freuen: Dario Cologna. Und auf Thomi. Auch er besucht das Langlaufrennen, vom Zielraum aus erspähen wir, die wir bei –16 Grad frieren, ihn in der warmen Lounge. Die Freude ist beiderseits gross, endlich können wir, während sich Cologna ins Ziel kämpft, ein paar Worte wechseln und ein Foto schiessen. Zum Abschluss des erfolgreichen Tags, obwohl Cologna sich mit dem 6. Rang und einem olympischen Diplom zufriedengeben musste, besuchen wir das Nationendorf und das House of Switzerland, das einzige öffentlich zugängliche Nationenhaus (Hopp Schwiiz!), treffen dort auf Simon Amman und Schweizer Bratwürste und kommen immer mehr in Olympiastimmung.
Am dritten Tag in Südkorea finde ich mein Highlight des Tages wieder beim Abendessen, auch wenn der Hockeymatch der Schweizerinnen gegen die Japanerinnen mehr als gedacht unter die Haut ging. Doch es ist nicht das Essen, das mich umhaut, es sind die Menschen vor Ort. Ununterbrochen und wild gestikulierend plaudert der Chef, so nehm ich an, des koreanischen Grillrestaurants auf Koreanisch in seine Papago-App, eine Übersetzungsapp, die mit Stimmerkennung arbeitet und das Gehörte erstaunlich gut in die gewünschte Sprache übersetzt. «May the Goddess of Victory be with your Brother» steht in leuchtenden Lettern auf seinem Smartphone Bildschirm, den er uns entgegenstreckt, nachdem wir ihm erzählt haben, weswegen wir in Südkorea sind. Das wünschen wir Thomi auch!
Freud und Leid liegen nah beieinander. Freude empfinden wir an Tag vier über die erste Medaille im schweizerischen Medaillenspiegel. Das Schweizer Mixed-Curling-Duo Jenny Perret und Martin Rios holt die erste Silbermedaille für die Schweiz. Leid empfinden wir in diesem Moment im Curlingstadion in Gangneung trotzdem, denn dem kanadischen Team sind die beiden leider klar unterlegen. Dennoch, wir feiern die Silbermedaille und verlassen das Stadion mit stolz wedelndem Schweizerfähnchen.
Am Mittwoch, Tag fünf unserer Reise, ist Schweizertag. Sag ich jedenfalls optimistisch so voraus und freu mich innerlich schon auf den Medaillenregen. Das Schicksal macht mir schnell einen Strich durch die Rechnung: Starke Winde und Schneefall sorgen dafür, dass viele Wettkämpfe an diesem Tag abgesagt werden müssen. Dennoch bleibt der Tag nicht ereignislos für uns. Wir verbringen ihn im House of Switzerland bei guten Gesprächen mit Moderatoren und Athleten, dem Kamerateam der Ski-Alpin Disziplinen und einheimischen Sportbegeisterten. Wir lernen, wie Schweiz auf Koreanisch geschrieben wird, und erfahren – es ist schliesslich Valentinstag – vom koreanischen Handzeichen der Liebe.
Tag sechs stellt sich als unser ganz persönlicher Glückstag heraus. Beat Feuz holt in der Abfahrt die Bronzemedaille für die Schweiz. Wir ergattern kurz darauf den begehrtesten aller Olympia-Pins, den Bobble Head Pin des amerikanischen Skifahrers Jared Goldberg (das Sammeln von Pins wird an den Olympischen Spielen grossgeschrieben!).
Am Abend freuen wir uns, dass Thomi am Freitag mit der Nummer 8 starten wird, denn die 8 gilt im asiatischen Raum als Glückszahl, und zu guter Letzt dürfen wir in Gangneung Seollal das koreanische Neujahrsfest nach dem chinesischen Mondkalender feiern. So kanns weitergehen!
Und dann kommt der Freitag. Der letzte Tag vor unserer Abreise. Der Tag des Super-G-Rennens. Die Nervosität steigt ein wenig, die Vorfreude aber mindestens im gleichen Masse. Gespannt verfolgen wir Thomis Lauf und merken schon bald: Da stimmt was nicht. Er kommt einfach nicht auf Tempo und landet am Ende auf Rang 26. Stolz sind wir trotzdem unheimlich! Und stossen im Anschluss im Hotel mit ihm auf das erste Olympiaerlebnis an. Am Ende einer tollen Woche und inmitten der besten Skifahrer der Welt erfüllt sich dann tatsächlich noch einer meiner Träume aus Jugendtagen: Bei einem Bier mit Marc Berthod mache ich ihm das Liebesgeständnis, von dem mein 14-jähriges Ich so manches Mal träumte, und werfe ihm vor, wie er mir damals beim Skirennen in Garmisch-Partenkirchen die kalte Schulter zeigte und ohne Autogramm an mir vorbeilief.
Die Olympischen Spiele sind für uns damit vorbei, beim Sonnenaufgang am Samstag verabschieden wir uns von unserem Vermieter, der uns in der kurzen Zeit ans Herz gewachsen ist, steigen in den Zug Richtung Flughafen, in den kurz darauf auch Beat Feuz mit seinen zwei Olympiamedaillen einsteigt. Zurück in die Schweiz geht es dann mit Trainern, Athleten und Fans aus verschiedenen Ländern. Olympia – ich hoffe, wir sehen uns 2022 wieder. Noch mehr aber hoffe ich, dass wir uns 2026 in der Schweiz wiedersehen!
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Sportler Thomas Tumler (links) mit seinem persönlichen Fanclub aus der Schweiz – in der Mitte: Thomis Cousine und annabelle-Praktikantin Jessica Prinz
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Dank Papago-App verständigt man sich trotz Sprachbarrieren
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… und auch das koreanische Essen verbindet
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Mitfiebern und -feiern beim Silbermedaillensieg des Mixed-Curling-Duos Jenny Perret und Martin Rios
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House of Switzerland – das einzige öffentlich zugängliche Nationenhaus
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Jessi auf Tour – mit Freund Gjenc
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Das Zeichen der Liebe, die überkreuzten Finger, die ein Herz darstellen, hat bei uns anfangs für Verwirrung gesorgt
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So wird Schweiz geschrieben: Berg, Skifahrer, Berg
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Die Pinsammlung eines House of Switzerland Mitarbeiters
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Hopp Thomi!
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Thomi am Start – die Spannung steigt