Gib Gas, ich will Spass: Dem Bikerlook längst treu ergeben, ging unsere Lifestyleredaktorin jüngst aufs Ganze. Und schwang sich in Florida auf eine Harley – für die erste Töfffahrt ihres Lebens.
Zugegeben, ich schrie. Und ich hob die Hände in den Fahrtwind, der sich wie tausend Nadelstiche anfühlte, als mein Töffchauffeur zum ersten Mal Gas gab. Nicht so cool, aber hey – ich bin zweiunddreissig und sass bisher noch nie auf einem Motorrad, ausser als Kind auf der Vespa vom Götti, und das zählt ja irgendwie nicht.
Mit Baschi underwegs
Neben uns fuhr Baschi, der Sänger. Viel entspannter als ich: Seine rechte Hand umfasste den Harley-Lenker, die linke hing runter und bewegte sich nur, wenn wir andere Motorräder kreuzten – zwei Finger, kurz ausgestreckt zum Harley-Gruss.
Die Evolution der Rocker
Die Töffwelt war vor dieser Tour Neuland für mich, dabei ist sie ästhetisch gesehen omnipräsent: Wir tragen Jacken im Bikerstil, Perfectos, wie sie James Dean in den Fünfzigern bekannt machte. Und wir verschlingen alles, was mit der Rocker-Jugendsubkultur der Fünfziger- und Sechzigerjahre zu tun hat. Schwarzweissfotos, auf denen Jungs mit rebellischem Blitzen in den Augen unverschämt lässig in die Kamera starren. Alles egal, alles cool. Hauptsache Café Racer!
Wenn ich heute was rockig und cool finde, dann ist das meistens eine Reverenz an den Look jener Zeit, an die Attitüde von Marlon Brando in «The Wild One»: die Abenteuerlust des Outlaw, klassische Jeans, den Kragen hochgestellt, Zigaretten, Käppi schräg ins Gesicht gezogen. «Somewhere on a desert highway / She rides a Harley-Davidson / Her long blond hair / Flyin’ in the wind», singt Neil Young in «Unknown Legend».
Danach ging es mit den Rockern langsam, aber stetig bergab. Anfang der Neunzigerjahre fuhr Mickey Rourke (bei aller Liebe) in «Harley-Davidson and the Marlboro Man» in Schlangenlederstiefeln, Cowboyhut und zum Bon-Jovi-Soundtrack durch die Gegend.
Heute ist Rocker ja eher ein Schimpfwort: Das sind jene Typen, die auf schweren Maschinen und mit roten Bandanas über dem schütteren langen Haar so nervig laut vorbeiknattern, dass einem im Strassencafé der Schaum vom Latte macchiato fällt.
Durch South Beach, Downtown Miami bis zum Wynwood Arts District
Ich juchzte trotzdem, und der Fahrer (den ichirgendwann Dad nannte, weil er mich bei jedem Halt fürsorglich ermahnte, ich solle mich nicht am heissen Auspuff verbrennen) gab noch ein bisschen mehr Gas.
Unser Ziel: Durch South Beach, Downtown Miami bis zum Wynwood Arts District fahren, das Art-déco-Viertel Miamis mit aufsehenerregenden Wandgraffiti.
«Aaachtung, Auspuff heiss!», wiederholte sich mein Fahrer – den Helm tapeziert mit Aufklebern und flotten Sprüchen über Waffen und Bikes – ein weiteres Mal, als wir im Wynwood Arts District hielten. Und auf den brandneuen Modellen der Harley-Davidson-Linien Dyna, V-Rod, Softail und Sportster (mein Liebling, so schön Seventies, schlank, reduziert, sehr hübsch!) vor den bunten Wänden posierten.
Die Biker-Liebe
Harley-Davidson-Fans können per Katalog über 9000 Artikel bestellen, um die eigene Maschine aufzumotzen: Accessoires, Sättel, Tanks, Räder, Griffe, alles. Genau das ist es, was andere Motorradfans gern belächeln. Sie sagen, echte Biker basteln nicht ab Stange, sondern suchen sich die Teile für ihre Maschinen selbst zusammen.
So oder so: Die Harley-Davidson-Besitzer, die wir auf unserem Trip trafen, waren eine angenehme Mischung aus patriotischen Familienvätern mit Humor, cool, locker, und einer neuen, jungen Generation; Jungs wie Baschi, die sportlichere Harleys fahren, bullig, aber schlicht, und dem Flammen-Design abgeschworen haben.
Sie alle sprechen beinahe zärtlich von ihren Maschinen, schwärmen vom Motorensound, vom Customizing – und besingen stets aufs Neue das alte Lied von der grossen Freiheit. Das ist ihr Leben. Es heisst, dass es nur ein einziges Motiv gibt, das häufiger tätowiert wird, als das Harley-Davidson-Logo: der Schriftzug Mama.
Motorradtaufe
Meine eigentliche Motorradtaufe erlebte ich am nächsten Tag. Auf einer längeren Fahrt durch die Florida Keys über schnurgerade Highways, am Atlantik entlang, vorbei an Alligatoren-Warnschildern und Pelikanen. Klar schrie ich wieder. Und klar beschlich auch mich das viel zitierte Freiheitsgefühl.
Zurück im Hotel, hinkte ich ins Zimmer. Hinterteile mögen lange Fahrten auf Ledersätteln nicht so gern, darüber hätte Daddy Harley ruhig auch mal ein mahnendes Wort verlieren können.
Ist man also noch crazy und outlaw, wenn man sein Bike aus einem Katalog zusammenstellt?
Vielleicht nicht. Aber für mich als Anfängerin ist das doch superpraktisch! Und irgendwie ist es bei Motorrädern wie bei Klamotten auch: Entweder fährt die Maschine mich, oder ich fahre die Maschine.
1.
Cool in der Gang: Christina Duss, ihr Töff-Dad, Baschi und all ihre andern neuen Harley-Friends
2.
Beinahe easy: Christina Duss posiert auf einem der brandneuen Harley-Davidson-Modelle
3.
Gesichtet auf der Motorradtour: Pelikan