Von Kalbskopf bis Fuss – Worauf wir achten sollten, wenn wir guten Gewissens Fleisch essen wollen. Plus: Sechs feine Rezepte mit nachhaltig produziertem Kalbfleisch.
Filet schmausen ist gut – das ganze Tier essen ist besser. Besser für die Bauern, die Natur, den Metzgerstand und die Tiere selbst. Für den Genuss sowieso, wie unsere sechs Rezepte mit Kalbfleisch zeigen.
Mit gutem Gewissen Fleisch geniessen – das ist kein Widerspruch in sich. Dafür sorgen Produzenten und Metzger, die neue Wege gehen, Pioniere, die sich mit viel Engagement dafür einsetzen, dass wir nachhaltig produziertes, in Qualität und Geschmack hochwertiges Fleisch auf den Teller bekommen. Und als Konsumentinnen können wir das Angebot steuern, indem wir mitbestimmen, was in unserem Schmortopf gart. So gibt es immer mehr Fleischgeniesser, die ganz genau wissen wollen, woher das Fleisch kommt. Dafür gehen auch sie andere Wege. Sie kaufen statt vier Plätzli oder ein Kilo Braten gleich ein halbes Tier. Eine spannende Erfahrung, die nachhaltig das Kaufverhalten und Fleischangebot verändern könnte.
Veränderung ist in der Tat angezeigt. Weil es am meisten gefragt ist, wird nämlich in den Auslagen der Grossverteiler und Metzgereien vorwiegend À-la-minute-Fleisch vom Hinterviertel angeboten. Das sind Kotelett, Nierstück, Huft und Filet. Die Stücke vom Vorderviertel (die den grössten Teil eines Tiers ausmachen) – Hals, Brust, Schulter, Kopf und Füsse – sind kaum oder nur auf Vorbestellung zu finden. Oder sie werden, quasi anonym, als Geschnetzeltes, Gehacktes oder in Würsten verwertet oder unter dicken Marinaden und Gewürzmischungen versteckt. Damit die Nachfrage nach den bequemen, sogenannten edlen Fleischstücken gedeckt werden kann, müssen Tiere entweder schneller das Schlachtgewicht erreichen oder importiert werden. Beides widerspricht dem Prinzip der nachhaltigen Produktion. Und wirkt sich ausserdem nachteilig auf die Qualität aus.
Den Tieren zuliebe
Für ein hochwertiges Qualitätsfleisch sind die Rasse, die Haltung der Tiere, die fein abgestimmte Fütterung und die Schlachtung von grösster Bedeutung. Werden die Tiere artgerecht gehalten und gefüttert, braucht es keine Hormone und keine prophylaktische Gabe von Antibiotika. Die Unterschiede sind frappant: Hormonfleisch ist wässrig, geschmacklos und hat ein schlechtes Kochverhalten. Fleisch aus nachhaltiger Produktion ist hingegen natürlich intensiv im Geschmack und hat beim Zubereiten ein gutes Safthaltevermögen. Artgerechte Haltung und Fütterung sind auf den ersten Blick erkennbar. Die Tiere, egal welcher Art oder Rasse, sind lebhaft-neugierig, sie haben ein glänzendes Fell und einen natürlichen Spieltrieb. Der Stall ist geräumig, gut durchlüftet, und die Tiere können sich bewegen. Sie stehen auf Stroh, was ihre Gelenke schützt und zudem dafür sorgt, dass keine Gülle anfällt, die das Grundwasser belastet. Ohne mastbeschleunigendes Kraftfutter erreichen Kälber nach 4 bis 5 Monaten das ideale Schlachtalter und -gewicht. Es variiert zwischen 130 und 150 Kilo. Wer Tiere so aufzieht, achtet auch beim Schlachten auf Nachhaltigkeit, also etwa auf möglichst kurze Wege bis zum Metzger. Denn sobald ein Tier langen Transportwegen ausgesetzt ist und mit Tieren aus fremden Ställen gemischt wird, gerät es in Stress. Deshalb bevorzugen immer mehr Bauern kleine Meisterbetriebe in ihrer Region für die Schlachtung ihrer Tiere. Diese sind flexibel und bieten optimale Bedingungen für die Produktion von Qualitätsfleisch. So werden die Tiere nicht wie üblich 6 Stunden und mehr in engen Transportern eingepfercht quer durch die Schweiz gekarrt, sondern sind höchstens 40 Minuten unterwegs.
Gutes altes Handwerk
Weil auch der Metzger weiss, dass Stress der Qualität des Fleisches schadet, schlachtet er jeweils nur Tiere gleichzeitig, die aus derselben Herde stammen, und pro Stunde maximal sechs. Nach dem Ausweiden kommen die Fleischhälften ins Kühlhaus. Kalbfleisch z. B. wird höchstens 2 Wochen gelagert, im Gegensatz zu Rind, das eine längere Lagerzeit verträgt.
Jetzt kommt die Feinarbeit: Für den Metzger ist Fleisch zerlegen pures Handwerk, das höchste Konzentration erfordert, und im wahrsten Sinne des Wortes ein Knochenjob. Er muss die Anatomie eines Tiers ganz genau kennen, damit er den Schnitt richtig ansetzt und die Stücke so trennt, dass sie für eine Zubereitung taugen.
Die Ausbeute an verkaufstauglichem Fleisch beträgt rund 60 Prozent. Ein halbes Kalb ergibt etwa 42 Kilo, der Anteil Fleisch vom Vorderviertel wiegt zirka 25 Kilo. Fleischabschnitte, Fett, Kopf und Füsse werden entweder für Wurstspezialitäten oder fast vergessene Rezepturen wie Schwartenmagen oder Presskopf verwendet. Mit anderen Worten: Beim nachhaltig produzierten Fleisch gibt es nur Edelstücke, vom Kopf bis zum Stotzen. Es sind also alle Teile des Tiers verwertbar. Und das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine nachhaltige Fleischproduktion.
Fleisch essen: eine Win-Win- Situation
Es lohnt sich, einmal durchzuspielen, was passieren würde, wenn wir die als minderwertig geltenden Stücke genauso oft zubereiten würden wie die teuren Teile. Der Bauer wäre nicht gezwungen, Tiere unter Druck zu mästen, sondern könnte sich der Fleischqualität und der Aufzucht bedrohter Rassen widmen. Der Metzger könnte sein Angebot um die nach gutem altem Rezept gefertigten Schwartenmagen, Presskopf, Würste und Schinken erweitern. Und wir Konsumenten hätten eine grössere Auswahl. Und vor allem mehr Genuss für weniger Geld.
— Es gäbe wieder Sonntagsbraten …
Die Zubereitung der weniger bekannten Fleischstücke ist nicht schwieriger oder aufwendiger. Man muss einfach besser im Voraus planen. Dafür gibts in der Küche keinen Stress: Diese Qualität Fleisch verzeiht alles.
— Mehr Abwechslung …
Für die Stücke des Vorderviertels gibt es vielfältigere Zubereitungsarten als für Edelstücke. Kombiniert mit Gemüse, Kräutern, Gewürzen oder Saucen, schmeckt das gleiche Stück immer wieder anders.
— Weniger Stress …
Mit aktuellem Wissen optimierte alte Methoden der Haltbarmachung boomen: Etwa Fleisch in Salz, Essig oder Fett einzulegen. Diese Methoden entschleunigen die Verarbeitung und führen erst noch zu einem bewussteren
Umgang mit dem Nahrungsmittel Fleisch.
— Mehr Genuss …
Stücke vom Vorderviertel sind nicht pures Muskelfleisch und genau deswegen kulinarische Highlights. Sie sind durchzogen, aromatisch und werden länger gekocht oder geschmort. Man serviert sie eher weich oder geschmort als rosa gebraten.
— Mehr fürs Geld …
Fleisch am Knochen kocht besser. Es wird eindeutig schmackhafter, man braucht weniger Gewürze, und man kann kaum etwas falsch machen. Damit lassen sich auch die guten Suppen und Saucen, die ohne Geschmacksverstärker auskommen, köcheln.
— Mehr Wertschätzung …
Werden alle Stücke vom Tier verwertet, bleiben Tradition und Qualität des Metzgerhandwerks erhalten.
Direkt vom Hof kaufen
Wer Frischfleisch ab Hof einkaufen will, sucht über www.landwirtschaft.ch oder www.mutterkuh.ch den nächstgelegenen Produzenten. Mit ihm kann man direkt über eine Abnahme eines halben oder Viertel Tiers verhandeln. Viele Höfe bieten Frischfleisch-Mischpakete von 12 bis 15 oder 18 bis 20 Kilo an. Der Preis: Je nach Art, Rasse und Grösse ab ca. 28 Franken/Kilo. Klar ist, dass für grosse Portionen der Kilopreis bedeutend niedriger ist als für Zweier- oder Vierer-Rationen. Vorteil der Mischpakete ist, dass sie jederzeit erhältlich sind. Man sucht sich den Hof und das Angebot aus und holt das Fleisch beim Direktvermarkter ab. Ideal ist, dass man so ganz beiläufig die verschiedenen Stücke von verschiedenen Arten und Rassen testen kann. Denn das Angebot ist gross, von Wollschwein bis Angusrind, von Wasserbüffel bis Lamm gibts alles.
Wer ein ganzes Tier kaufen will, muss im Voraus planen und eine grosse Tiefkühltruhe für diese Menge Fleisch besitzen. Die Tiere sind nicht auf Abruf schlachtreif. Man sollte sich erkundigen, ob das Fleisch küchenfertig aufbereitet wird, sodass man nicht selber Ragout oder Geschnetzeltes schneiden muss. Eventuell kann man das Fleisch vakuumieren lassen. Vakuumiert können
grössere Fleischstücke (auch am Knochen) bei Temperaturen um die 4 Grad bis 2 Wochen im Kühlschrank gelagert werden. Dann reifen sie noch nach. Zum Tiefkühlen muss das Fleisch schon abgehangen sein.
Die besten Stücke vom Kalb
ZUM BRATEN ODER FÜR RAGOUT ECKSTÜCK, UNTERSPÄLTE
— Fricandeau, ein mit Speck gespickter Braten
— Paupiettes, Fleischvögel
— Cordon bleu
SCHULTER (LAFFE)
— Milchbraten
— Frikassee (Sauté de veau), ähnlich einem Ragout, mit weniger Sauce
BRUST
— Rollbraten, Kalbsbrustschnitten oder gefüllte Kalbsbrust
— Frikassee (Sauté de veau), ähnlich einem Ragout, mit weniger Sauce
HALS
— Ragout, braunes Voressen
— Eintöpfe, Suppen
HAXEN
— Ossobucchi oder Haxen als Ganzes geschmort
ZUM SIEDEN/KOCHEN
HALS
— Ragout, weisses Voressen
KOPF
— Presskopf, Sulz
FÜSSE
— Sulz
KNOCHEN
— Markknochen
— Bouillon, Fonds, Saucen
Die Fotos
Unsere Schlachthausbilder entstanden in der Aare-Metzg in Schlossrued AG. Gegründet von André Windisch, einem jungen Metzger, und Peter Schaffner, Landwirt in Müslen bei Birmenstorf AG, werden hier nur artgerecht gehaltene Tiere geschlachtet und verwertet (von Schaffner zum Beispiel Wasserbüffel, Spiegelschafe und Wollschweine). Das Titelbild der Geschichte entstand bei Bauer Bircher im Laurenzenbad in Erlinsbach AG – nur 30 Minuten von der Aare-Metzg entfernt. An einem Montag wurde eines von Birchers Tieren geschlachtet, und wir durften zwei Tage später das fachgerechte Zerlegen der Hälften fotografieren.
— www.aare-metzg.ch; www.mueslen.ch
Rezepte mit Kalbfleisch
Einfach zuzubereiten – und einfach unwiderstehlich: Fünf Kalbfleischgerichte der feinen, entschleunigten Art. Hier finden Sie alle sechs Rezepte mit Kalbfleisch.
1.
Perfekt abgehangen: Zwei Tage nach der Schlachtung sind die zwei Hälften des Kalbs bereit zum Zerlegen.
2.
Höchste Konzentration: In nur einer Stunde sind zwei Tierhälften in küchenfertige Stücke geteilt.
3.
Wenn schon, denn schon: Filet schmausen ist gut, das ganze Tier essen ist besser.