Warum die französische Grande Cuisine fast unterging. Und warum wir uns heute wieder nach Éclairs sehnen.
Eigentlich wollte ich über OEufs bénédicts schreiben, um zu beweisen, dass die französische Küche noch immer entzückt. Ich ass extra verlorene Eier samt Sauce hollandaise und herzhaftem Schinken in London. Das war ein Fehler. Doch dazu später.
Obwohl die Briten in jüngster Zeit wieder Gerichte mit französischem Namen auf ihre Speisekarten hieven, schimpfen sie die Franzosen gern Frogs, weil sie Froschschenkel essen, und ein Pub in Notting Hill heisst «Bloody French», was kein Kosename ist. Man hört, der Ausdruck komme von blood-thirsty, also blutrünstig, wegen der Angewohnheit der Frenchies, das Boeuf saignant zu essen. Die Briten dagegen lassen ihr Beef so lange im Feuer, bis das Rindfleisch jeden Biss schadlos übersteht.
Du beurre, du beurre, du beurre et beaucoup de temps!
Mit ihren Saucen hingegen wollten sich die Engländer nie von ihren europäischen Festlandnachbarn abheben: Sie entstammen der klassischen französischen Küche. Massstab war die Grande Cuisine. Was an den Kochherden von Paris erfunden wurde, überlebte Zaren, Königinnen, Revolutionen. Andere Länder eroberten die Welt mit Pasta oder Hamburgern. Doch die Köche der Höfe und Diplomaten schielten jahrhundertelang nach Frankreich. Und dort hiess es: Du beurre, du beurre, du beurre et beaucoup de temps!
Der Ausspruch stammt aus den Dreissigerjahren, gemacht hat ihn der französische Gastronom Fernand Point. Die Folgen seiner Doktrin – Butter, Butter, Butter und viel Zeit! – konnte man an Point selber ablesen. Der Mann mass 1.92 Meter, und sein Bauch umfing 169 Zentimeter.
Das Beinahe-Ende der Grande Cuisine
In den Jahren zwischen den Weltkriegen, als Fernand Point den späteren Starkoch Paul Bocuse am Herd unterrichtete, nahm eine Bewegung ihren Anfang, an der die Grande Cuisine beinahe zugrunde gegangen wäre. Es war eine Frau in Stöckelschuhen, die sie anzettelte. Sie war 1896 in den USA zur Welt gekommen und ein Jahr älter als Point. Bekannt war sie für ihre merkwürdig violettfarbenen Augen, und flächendeckend berühmt wurde ihr Spruch «You can’t be too rich or too thin». Man kann nie reich genug sein, und man kann nie dünn genug sein. Ihr Name? Wallis Simpson. Bessie, ihren ersten Taufnamen, liess sie weg, «weil es so viele Kühe gibt, die Bessie heissen».
In Grossbritannien angekommen, angelte sie sich den britischen Thronfolger Edward VIII und wurde 1937 zur Duchess of Windsor. Die beiden lebten in Frankreich und der Schweiz, sie waren das erste Jetsetpaar nach 1945. Edward schenkte seiner Wallis Juwelen, die später für 160 Millionen Dollar versteigert wurden. In einer Zeit, als Hüftgold die sichtbare Garantie für die Fruchtbarkeit einer Frau war, muss die Amerikanerin wie eine Ausserirdische gewirkt haben. Heute würde man Wallis Simpson wohl als magersüchtig bezeichnen. Doch sie war die Vorläuferin der Schlankheitsbewussten, die in den Sechzigerjahren dann ihr Idol in Twiggy fanden.
Gastronom Point ahnte, was auf die Grande Cuisine zukommen würde: eine Generation von Gästen, die brüsk den Teller wegschiebt, wenn die Zahl der Kalorien vierstellig wird. Es war also leichtes Kochen gefordert. Point entwarf kurzerhand die Nouvelle Cuisine. Er und seine Anhänger verbannten den Mehlsack aus der Küche. Sie setzten weniger Butter ein. Sie heuerten Personal an, das die Speisen hübsch mit Kräutlein und Blümchen herrichtete – und verdoppelten die Rechnungen. Ausserdem verkürzten sie die Garzeiten: Sie dämpften, anstatt zu schmoren. Das liess Kritiker spotten, die Gerichte seien weder ganz neu, noch ganz gar.
Sie ist wieder da!
Doch als die Portionen unter den riesigen Cloches immer kleiner und kleiner wurden, bis sogar Lady Windsor nach einem Achtgänger in ihrem Exil in Paris mit Hunger zu Bett ging, hatten die Dürren definitiv gewonnen. Aber nicht für immer. Nach der lustlosen Salat-Salat-Salat-Phase und dem Fleisch-essen-ist-gemein-Mantra ist die Grande Cuisine wieder da. Heute sehnt man sich wieder nach einer herzhaften Blanquette de veau, jenem Kalbsvoressen an weisser Sauce, das artig vor sich hinschmort, während man bei den Gästen sitzt und ein Glas Weisswein leert.
Oder nach den Éclairs, jenen köstlichen Windbeuteln aus Brandteig. Mit Rahm und mit Puderzucker bestäubt, bitteschön. Oder dem reichhaltigsten aller Salate, der Salade niçoise. Nur die OEufs bénédicts unter Sauce hollandaise, die sind keine Errungenschaft der Grande Cuisine, wie meine Recherchen ergaben. Sie werden entweder Papst Benedikt XIII. zugeschrieben oder dem New Yorker Banker Lemuel Benedict. Aber das ist ein anderes Thema.