Dass Pharrell Williams bei seiner Debutshow für Louis Vuitton Anfang der Woche die geschichtsträchtige Pariser Brücke Pont Neuf wählte, geschah – naturellement – keineswegs zufällig. Denn was der Creative Director Men bei der ersten Schau nach dem Tod seines Vorgängers Virgil Abloh auf den mit goldenem Schachbrettmuster überzogenen Laufsteg brachte, sollte ein weiterer Meilenstein sein in der Ausweitung Louis Vuittons zu einer Marke mit Schlagkraft in Sport, Kultur und Reise. Nur dass dieses Mal ganze Welteroberungsfantasien mitschwangen.
Dass es bei einem solchen Unterfangen mächtige Verbündete braucht, liegt auf der Hand. Einer der Top-Kandidaten ist dabei unbestritten Kollab-König Williams, der schon als Sänger und Produzent clevere Bündnisse schloss (Justin Timberlake, Snoop Dogg), Kunstausstellungen organisierte, mit Adidas und Chanel eigene Sneaker verkaufte und selbst zum Testimonial des französischen Brands wurde, bevor das Traditionshaus gewohnt weitsichtig den Kreativpart in seine Hände legte.
Streetsmart und mit einer kommerziell top verdaulichen Mini-Portion Avantgardismus setzte Williams am Dienstag nun also auf einen Mix aus Huldigung an das traditionelle Damiermuster des Labels und pixeligem Cameo-Chic, den Berufsjugendliche wie auch Bezugspersonen gamender Kids sofort als Anleihe an das Videospiel Minecraft identifizierten. Die logische Konsequenz aus der Kooperation des Mutterhauses LVMH mit Epic Games – dem Konzern, der auch Fortnite entwickelte.
Fashion für Nerds? Von wegen
Nur um keine Missverständniss aufkommen zu lassen: Wir reden hier nicht von einem Nischengeschäft für Nerds, das sich Bernard Arnault als Williams’ Chef, grösster Anteilseigner von LVMH und drittreichster Mann der Welt als Spielerei gönnt. Seit der Pandemie ist der Umsatz der Gaming-Industrie auf mittlerweile rund 150 Milliarden Franken weltweit angewachsen.
«Wenn Netflix über Verluste klagt, dann weil die Menschheit nach Feierabend zunehmend zur Konsole statt zur Fernbedienung greift»
Und ist damit grösser als die Film- und Musikbranche. Wenn Netflix über Verluste klagt, dann nicht, weil HBO oder Disney+ den Löwenanteil der Kund:innen abwandern lassen, sondern die Menschheit nach Feierabend zunehmend zur Konsole statt zur Fernbedienung greift. Fortnite etwa, ein Spiel, bei dem man sich zum Sieg ballert und ob der eliminierten Gegner:innen einen Freudentanz aufführt, hat über 500 Millionen Abonnent:innen weltweit, Minecraft immerhin 54 Millionen.
Dabei sind die Spieler:innen gemäss Newzoo, Marktforschungsunternehmen mit Schwerpunkt Spieleindustrie, zwischen 10 und 65 Jahre alt. Und so wie in der Mode seit Jahren zunehmend auch Männer ins Zielgruppenvisier geraten, gibt es auf der anderen Seite zunehmend mehr Gamerinnen, die immer mehr ihrer Lebenszeit in virtuellen Welten verbringen – 2,9 Milliarden Menschen sind es insgesamt. LVMH jedenfalls nutzt bereits eifrig Epics MetaHuman-Technologien, um Louis Vuitton mit virtuellen Umkleidekabinen und interaktiven Modenschauen (etwa Herbst/Winter 2023) auszustatten, und auch mit Bulgari wird vermehrt die virtuelle Welt betreten.
Der Wettlauf hat begonnen
Natürlich ist Louis Vuitton nicht allein auf die Idee gekommen, das Metaverse erobern zu wollen. Was vor ein paar Jahren mit vereinzelten virtuellen Designs und käuflich erwerbbaren virtuellen Gütern in Form von NFTs begann, gewinnt an Fahrt. Zum einen zeigt sich, dass gerade jüngeren Nutzer:innen ihr digitales Image etwas wert ist und sie durchaus bereit sind, in Designerware zu investieren – gerade wenn immer mehr Zeit in der virtuellen Welt verbracht wird und die Frage der Selbstdarstellung an Bedeutung gewinnt.
Und so wird gezahlt, wenn in Fortnite Moncler- und Balenciaga-Jacken zur Auswahl stehen, Prada für Final Fantasy Skins entwirft und Gucci neben Diesel und Moschino in SIMS zu finden ist. Wenn dann noch in Roblox die 5.50-Dollar-teure digitale Replik einer Gucci-Dionysus-Tasche letztlich für mehr als 4000 Dollar verkauft wird, ist auch der Geschäftssinn der Spieler:innen geweckt.
Es herrscht Goldgräberstimmung
«Alles ist im Moment experimentell», sagt Ian Rogers, Chief Experience Officer von Ledger, dem Hersteller von Krypto-Hardware-Wallets, und ehemaliger Chief Digital Officer von LVMH gegenüber Business of Fashion. «Es herrscht Goldgräberstimmung, alles ist möglich, allerdings entwickelt sich auch alles sehr schnell.»
Passend dazu wurde diese Woche im Expresstempo ein weiteres Level im Spiel um die digitale Vorherrschaft erreicht. Das allerdings nicht in Paris, sondern in «Airphoria» – der neuen digitalen Welt, die von Nike entwickelt und in Fortnite vorgestellt wurde. Nutzer:innen können hier in einer schwimmenden, vor Swooshs nur so strotzenden Stadt nach verschiedenen Air-Max-Modellen abtauchen. Moderner geht ein Markenerlebnis derzeit wohl kaum.
Dass Brands dabei nicht mehr auf die Ästhetik des Videospiels angewiesen sind, sondern mit einem 3D-Tool ihre eigene visuelle Sprache fortführen können – man denke an den für Fortnite eigens kreierten Air Max 97 Schnellzug mit Sneakerschnauze –, dürfte ein bahnbrechender Vorstoss in der Verschmelzung der realen mit der virtuellen Welt sein. Dass die Entwicklung dieses Tools von Epic Games stammt, ist dabei kein Zufall.
Zukunftsträchtige Imageaufwertung
Schliesslich liegen in der Kooperation mit der Modebranche für beide Seiten neben Milliardengewinnen die Erschliessung neuer Zielgruppen und die Möglichkeit einer zukunftsträchtigen Imageaufwertung der Marke drin. Und wenn nun Louis Vuitton nicht nur virtuell bei League of Legends mitmischt, sondern Minecraft-Entwürfe in die reale Welt schickt, wie auch JW Anderson für seine Spring Collection 2023 Tops und Hosen in Pixel-Ästhetik entwirft, zeigt sich der Glaube an das Potenzial beider Welten.
«Wenn nun Louis Vuitton Minecraft-Entwürfe in die reale Welt schickt, zeigt sich der Glaube an das Potenzial beider Welten»
Im Mai kauften sich zudem Epic Games und das 3D-Fashiondesign-Tool Clo3D gegenseitig Anteile ab. Dass Clo3D nicht nur in Spielen, sondern auch in Blockbustern wie Disneys «The Mandalorian» eingesetzt wird, hebt Mode auf eine neue Ebene: Kleidung als Inhalt, der digital in verschiedenen Welten (Spielen, Filmen, aber auch Webshops) eingesetzt und vielleicht sogar am Schluss wieder in der realen Produktion landet.
Ernstzunehmende Konkurrenz stellt dabei die Gaming-App Drest. Diese Woche gelang es Graham Edwards und Lucy Yeomans, den Gründer:innen, mehr als 17 Millionen Franken zu sammeln, um den Launch von Drest2.0. im nächsten Jahr zu sichern. Die Luxusfashion- und Beauty-App arbeitet mit über 260 Modemarken zusammen, darunter Breitling, Cartier, Fendi, Prada, Gucci und Valentino.
Mehr Sichtbarkeit für mehr Umsatz
Nun will sie laut eigenen Angaben «die führende kreative Plattform für Mode, Unterhaltung und Lifestyle-Gamification werden». Fortan soll man hier nicht nur stylen können, sondern auch hyperrealistische Avatare personalisieren und dank der Kooperation mit dem Luxusfashionportal Farfetch virtuelle Spielkleidung und -accessoires in reale Einkäufe umwandeln können. Bei der prognostizierten Entwicklung des weltweiten Umsatzes im Spielemarkt bis 2025 auf voraussichtlich 221 Milliarden Dollar sicherlich keine Schnapsidee.
Falls du von dem ganzen Hype noch nichts mitbekommen hast, sei gesagt, dass die Schweizer:innen im internationalen Vergleich bislang nur rund halb so viel vor der Xbox oder Switch sitzen. Doch solange du weiter in der Bahnhofstrasse, Rue du Rhône und Kramgasse einkehrst, soll es den Macher:innen recht sein.
Letztendlich sollen schliesslich alle NFTs, Skins und virtuelle Welten vor allem dazu dienen, die Sichtbarkeit der Brands im Netz zu erhöhen, um schlussendlich die Umsätze in den Stores und Webshops der Luxuslabels mit real tragbarer Ware zu erhöhen. It`s fashion, baby – so oder so.