Manches neue Sofa sähe heute altmodisch aus, hätte sie nicht einen so grossen Einfluss auf die Ästhetik der Moderne gehabt: Florence Marguerite Knoll Bassett (100), US-Architektin und die vielleicht wichtigste Designpionierin des 20. Jahrhunderts.
Wir bewegen uns in der Bürolandschaft der Fernsehserie «Mad Men». Sagen wir, wir stehen im Büro von Don Draper. Sehen Sie das schöne Sofa am Fenster? Weiter zu Roger Sterling am anderen Ende des Gangs. Er mag es ja etwas kurviger; weisse, runde Tische und ergonomisch geformte Schalenstühle. Das Sofa könnte gut das Modell 1206 von Florence Knoll sein, das man als Referenz für jedes spätere, von zahlreichen Designern entworfene, schlicht elegante Sofa bezeichnen könnte. Das Pendant dazu die eher avantgardistischen Parademöbel von Eero Saarinen. Wer sich in der US-Nachkriegszeit das Büro mit Stil einrichten lassen wollte, ging zu Knoll, dem bedeutendsten und erfolgreichsten Einrichtungsunternehmen im Bereich Corporate Design. Der kreative Kopf der Firma war Florence Knoll. Man könnte ihren Werdegang als Märchen bezeichnen, ist aus der verwaisten Bäckerstochter doch eine der einflussreichsten Frauen der US-Designgeschichte geworden. Im richtigen Leben handelt es sich aber um die beeindruckende Entwicklung einer zielbewussten jungen Frau, die, zugegeben, das Glück hatte, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Trotzdem verdankt sie ihre Karriere ihrem eigenen Pioniergeist und hervorragenden Gespür für gute Gestaltung.
Das Erfolgsrezept von Knoll war, ein Gesamterlebnis zu gestalten. Ein Raum, sei es ein einzelner Wohnraum oder ein grosser Bürokomplex, wurde ganzheitlich betrachtet und die Einrichtung auf die Bedürfnisse seiner Bewohner oder Mitarbeiter abgestimmt. Und Knoll-Möbel sollten eine langfristige Berechtigung haben, nicht nur einem Trend folgen. Das Einrichten nicht nur als Dekoration zu betrachten, sondern als eine Optimierung der Wohn- und Arbeitsräume, war damals revolutionär. Dies bedeutete harte Arbeit in einer Zeit, in der Einrichten noch eine Domäne von Dekorateuren war. «Ich dekoriere nicht, ich kreiere», pflegte Florence Knoll zu sagen. Florence Schust, so ihr Mädchenname, kam mit 14 Jahren in ein Mädcheninternat in Michigan. Ihr Vater, ein Schweizer Einwanderer, starb bereits, als sie sechs Jahre alt war. Ihre Mutter, nach kurzer, schwerer Krankheit, acht Jahre später. Glück im Unglück war, dass sich auf dem Areal der Schule auch die Cranbrook Academy of Art befand. Ihre Lehrerin entdeckte schon früh Knolls Gestaltungstalent und machte sie, da ihre Schülerin den Wunsch äusserte, Architektin zu werden, mit den Themen Kunst und Design vertraut. Im Rahmen eines Projekts lernte Florence Knoll dann den Direktor der Akademie und seine Frau kennen. Es handelte sich um niemand Geringeren als Eliel und Loja Saarinen, die Eltern des später berühmten Designers Eero Saarinen. Dieser wurde zu einer Art Bruder für die junge Florence, denn die Saarinens nahmen sie auch privat unter ihre Fittiche. Durch deren Netzwerk machte Knoll Bekanntschaft mit den anderen jungen aufstrebenden Talenten dieser Zeit, etwa mit Harry Bertoia und Charles Eames.
Shu, wie sie von Freunden genannt wurde, begleitete die Familie Saarinen jeweils in den Sommerferien in deren Heimat Finnland. Dort begegnete sie bei einem gemeinsamen Essen Alvar Aalto, einem Freund der Familie, der ihr empfahl, für ihr Studium nach England zu gehen, an die vom Bauhaus geprägte Architectural Association School of Architecture. Im Herbst 1938 zog sie also mit seiner Empfehlung in der Tasche nach London und trat dort ihr Architekturstudium an. Doch der Krieg brach aus, und so musste Knoll früher als geplant wieder in die USA zurückkehren, wo sie eine Praktikumsstelle bei den Bauhäuslern Walter Gropius und Marcel Breuer fand, die sich in Cambridge niedergelassen hatten. Ihr Studium setzte sie später am Illinois Institute of Technology in Chicago unter der Leitung des grossen Ludwig Mies van der Rohe fort.
Mit gerade mal 24 Jahren machte Florence Knoll ihren Abschluss in Architektur und verfügte bereits über ein einflussreiches internationales Netzwerk, zu dem viele führende Protagonisten der europäischen Moderne gehörten. Was sie nun brauchte, war lediglich die richtige Plattform, um ihre Fähigkeiten zugunsten der US-Designrevolution einzusetzen. Als sie 1943 in New York den jungen Deutschen Hans Knoll, Nachkomme einer deutschen Möbelherstellerdynastie, traf, konnte es losgehen. Knoll war auf dem Weg, in Amerika sein eigenes Möbelunternehmen aufzubauen und den hiesigen Markt zu erobern. Die überaus motivierte Architektin kam ihm wie gerufen. Ihre gemeinsame Vision, «totale Räume» zu schaffen, machte aus den beiden ein unschlagbares Team. Er kümmerte sich um das Unternehmerische, und sie baute die wegweisende Knoll Planning Unit auf und stand als junge Frau nun an der Spitze eines aufstrebenden Unternehmens. Das Credo lautete: «Good design is good business.» Drei Jahre später heirateten die beiden.
Florence Knoll konzipierte ganzheitlich, nicht nur einzelne Möbel. Farben und Materialien spielten dabei eine grosse Rolle. Sie begann mit praktischen statt nur schönen Textilien zu arbeiten. Tweed und Flanell hielten Einzug in die Welt des glänzenden Brokats und Samts. Statt nur Möbel zu verkaufen, analysierte sie die Räume und sprach eingehend mit den Nutzern, um deren Anforderungen und Bedürfnisse zu definieren. Sie war die Erste, die im Interiordesign mit Collagen, sogenannten Paste-ups, zu arbeiten begann, die eine einfache und verständliche Visualisierung ihrer Konzepte ermöglichten. Dafür klebte sie Stoffmuster auf ihre Skizzen und fertigte auch massstabgetreue Modelle an, damit man ein Gespür für die Farben, Formen und Materialien bekam.
Dank ihres Netzwerks beinhaltete die Knoll-Möbel-Kollektion bald Entwürfe von Eero Saarinen, Harry Bertoia und Ludwig Mies van der Rohe. Trotzdem wurde der Grossteil der Möbel von Florence Knoll selbst entworfen. «Ich war gezwungen, Möbel zu entwerfen, weil einfach nichts Passendes erhältlich war», sagt sie rückblickend. «Ich habe Möbel entworfen, um Lücken zu füllen.» So bezeichnete sie ihre eigenen Entwürfe stets als «Fleisch und Kartoffeln» zwischen den ganzen Delikatessen wie dem Barcelona Chair von Mies van der Rohe oder Saarinens Tulip Chair, die in die Knoll-Kollektion Einzug fanden. Florence Knoll bezeichnete sich selbst nie als Möbeldesignerin, sondern immer als Innenarchitektin.
Die erfolgreiche Zusammenarbeit des Ehepaars Knoll fand 1955 ein jähes Ende, als Hans während einer Geschäftsreise bei einem Autounfall auf Kuba ums Leben kam. Es war keine Frage, dass Florence Knoll die Leitung der Firma übernahm. Als sie dann 1957 bei einem Grossprojekt, der Einrichtung der Southeast Bank of Florida, deren Direktor Harry Hood Bassett kennenlernte, begann sie nach Jahren harter Arbeit auch andere Prioritäten in ihrem Leben zu setzen. Die beiden heirateten, und sie zog zu ihm nach Florida, von wo sie fortan nach New York pendelte. 1965, im Alter von 48 Jahren, zog sie sich komplett aus der Firma und der Öffentlichkeit zurück und lebt heute noch immer in Miami.
Florence Knolls «Fleisch und Kartoffeln» sind nach wie vor frisch, genauso wie sämtliche Delikatessen. Dazugekommen sind über die Jahrzehnte viele weitere Entwürfe von bedeutenden Designern unserer Zeit, die allesamt Knolls Pionierarbeit Tribut zollen.
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Grüne Oase: Sofa von Florence Knoll (1954), Salontisch aus Eero Saarinens Pedestal Collection, Sessel von Warren Platner
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Beseelt von der Vision des «totalen Raums»: Hans und Florence Knoll in den Vierzigerjahren
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2015 reedierte Knoll das Zweiersofa Womb von Eero Saarinen (1948, links) Rechts Diamond Chairs von Harry Bertoia (1952)
4.
Florence Knoll und Eero Saarinen mit einem Fuss für die Pedestal Collection