Fashion
Fashion Find: Warum es jetzt cool ist, alles möglichst schief anzuziehen
- Text: Linda Leitner
- Bild: Launchmetrics Spotlight; Collage: annabelle
Ein Look, ein Piece, ein Fashion-Moment: Für unsere Rubrik «Fashion Find» hat Lifestyle Editor Linda Leitner in die Mode-Glaskugel geschaut und orakelt nun ganz schlampig ins Blaue hinein, dass es sich im Sommer nicht mehr lohnt, sich zurechtzumachen.
Ein Zwiebellook, der Ordnungsliebenden Tränen in die Augen treiben dürfte: Bei Miu Miu wurde in der Kollektion für diesen Sommer so wild geschichtet, dass man das Gefühl bekam, da hätte jemand den Wecker nicht gehört. Sei ohne Sehhilfe panisch aus dem Bett gestolpert, hätte angezogen, was auf dem Weg zur Tür gerade in Reichweite war, und hätte dann überstürzt das Haus verlassen – ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen. Da steckt einseitig der Kragen unter der Halskette, aus der Tasche quillt der halbe Hausrat.
Bei Fendi wiederum spielte man mit dem unangezogenen Pullover als Kulturphänomen: Während er am Boden liegend eben denen zuzurechnen ist, denen Ordnung nicht wichtig ist, ist er umgebunden das Erkennungszeichen der Elite. Ja, der Segelfans, der BWL-Studierenden. Von denen, die Max, Konstantin, Sophie oder Amelie heissen. Es gilt: Lieber frieren als nicht drapieren – nun aber bitte mit einem Schuss Durcheinander. Der über die Schulter geworfene Cardigan nämlich muss zwingend schief getragen werden. Good girl gone bad! Oder: came out of bed. Straight und derangiert.
Dass dieser Trend sogar den Sommer überdauern wird, zeigte nun Dries van Noten während der aktuellen Fashion Week in Paris. Die Sweater, die da gerade eben für kommenden Herbst gezeigt wurden, sahen aus, als hätten die Models beim Anziehen nach einem Arm aufgegeben oder eine Jacke einfach völlig kopflos über selbigen gezogen. War backstage einfach zu wenig Zeit?
Kollektive Verwirrung als Style Hack
Ist das zu glauben: ein Trend, inspiriert vom echten Leben! Von den busy Menschen, deren Kalender so voll wie die Bags bei Miu Miu sind. Da dürfen die Gedanken so unsortiert wie die Habseligkeiten fluten. Da fällt das Tagebuch, das den Kopf ordnen soll, in eine Pfütze und schimmert dann so feucht wie das leicht ungewaschene Haar. Wer die Jacke falsch zuknöpft oder den Hemdkragen einseitig im Mantel stecken hat, gewinnt das Styling-Game. Je schlampiger, desto besser?
Halt, stop! Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Es handelt sich selbstredend um ein perfekt konstruiertes Chaos – die hohe Kunst des Stylings ist es, mit viel Sorgfalt latent sorglos angezogen zu wirken. Der ganz normale Wahnsinn wäre als Konzept dann doch zu einfach. Und von der Kopfhaut natürlich angefettetes Haare sind weder was fürs Büro noch für den Runway.
Achtsam achtlos
Wie aber kuratiert man einen liederlichen Look? Wie schafft man es, zerstreut auszusehen, ohne es tatsächlich zu sein? Wie versteckt man sein ADHS virtuos hinter Styling? Fast-Fashion-Ketten wie Zara sind da natürlich nah am Volk und droppen schon jetzt Pieces, die das Chaos längst integriert haben. Einen Cardigan zum Beispiel, den man gar nicht mehr selber falsch zuknöpfen muss (siehe unten, kaufe hier). So kann man sich also morgens doch ganz pünktlich aus dem Bett stretchen, breathend einen Matcha brauen, sich den No-Make-Up-Look ranschminken und dann das vermeintlich falsch geschnittene Jäckchen überwerfen.
Alles also mal wieder eine riesige Lüge? Entspannt euch. Die Inspiration der grossen Modehäuser kommt nicht von ungefähr. Mode ist nun mal nur Mode. Es gibt Wichtigeres. Schlafen zum Beispiel. Haare drum gern mal ungekämmt lassen und beim Anziehen vielleicht die Hose nicht ganz zumachen (haben wir an der Berlin Fashion Week bei Malaika Raiss gesehen). Wir finden: Ein bisschen Schräglage zwischendurch tut gut. Das passiert und steht den Besten.