Fashion
Fashion Find: Ist es wieder cool, Zigaretten zu rauchen?
- Text: Linda Leitner
- Bild: ZVG; Collage: annabelle
Ein Look, ein Piece, ein Fashion-Moment: Was ihr wissen müsst, um diese Woche mitreden zu können, erfahrt ihr in unserer Rubrik Fashion Find. Dieses Mal mit Lifestyle Editor Linda Leitner.
Letztens scrollte ich durch den Onlineshop des New Yorker Brands The Frankie Shop. Ich suchte nach silbernen Ohrringen und fand ein goldenes Zigaretten-Etui. So eins, wie ich es von meinem Grossvater geerbt habe – einem eleganten Herren mit grauer Tolle, der (bevor ich seine Enkeltochter wurde) gerne viel und überall rauchte. Das herrlich verschnörkelte Döschen, in dem seine Initialen eingraviert sind, liegt in einer Kiste mit Erinnerungen. Es stammt aus einer Zeit, in der Rauchen zum Fernsehen gehörte wie Chillen zu Netflix.
Bei The Frankie Shop ist natürlich kein Hans Leitner eingraviert, sondern das Brand-Logo. Neben Zigaretten soll das schimmernde, vergoldete Case für 90 Euro auch Card Holder sein. Tragen die Cool Kids bald statt eines Caps mit aufgesticktem Frankie-Shop-Schriftzug auf dem Kopf bald das entsprechende Zigaretten-Etui in der Tasche? Ist das nicht total unzeitgemäss? Versucht man nicht seit Jahrzehnten, dem Suchtmittel Zigarette ein Grab zu schaufeln, statt ihm ein so schickes Bettchen zu machen?
Rauchzeichen senden falsche Signale
Wer raucht, ist eklig. Oder? Geht man auf Parties, steht man mit Kippe blöd alleine draussen rum, statt wie früher zu flirten und zu socializen. Schliesslich vaped der Rest zuckersüsse Watermelon oder lädt seine E-Zigarette. Da ist eine gewisse Stigmatisierung, man weiss um gesundheitliche Schäden, druckt schockierende Bilder auf die Schachteln, fährt millionenschwere Präventionskampagnen, immer mehr Länder verbieten die Zigarette in der Öffentlichkeit. Per 1. Juni 2023 ist im Kanton Genf das bisher schweizweit strengste Rauchverbot in Kraft getreten. Wer jetzt beim Schloten an bestimmten Orten im Freien erwischt wird, der muss eine Busse in der Höhe von bis zu 1000 Franken blechen. Auch Deutschschweizer Kantone zeigen Interesse an strengeren Regeln. Denn in der Schweiz raucht laut Bundesamt für Statistik mehr als jede vierte Person ab 15 Jahren im Schnitt ein halbes Päckchen pro Tag.
Und dennoch: Bei The Frankie Shop verpufft die Faszination am Glimmstängel nicht, auch bei Saint Laurent gibts für 245 Euro ledernde Zigaretten-Etuis für die, die im Herzen Seventies-Rockstars oder Groupies Forever bleiben. Die Zürcher Designerin Yvonne Reichmuth verkauft unter ihrem Label YVY seit Jahren eine pechschwarze Zigarettenbox aus italienischem Leder. «If you’re going to sin, sin in style with the stylish Cigarette Box. For the more conformist, the box can be filled with belongings such as credit card, lipstick, chewing gum, etc.», liest man dazu online. Wer sündigen wolle, solle das gefälligst mit Stil tun. Die Konformist:innen unter uns könnten die Schachtel alternativ mit Kreditkarten oder Kaugummi vollstopfen. Öffnet man die Box, glitzert in silbernen Lettern: LIVING KILLS. Moment. Smoking kills? Ja, aber ist doch langweilig.
Rauchen tötet – unsere Vernunft?
Creative Director des italienischen Luxushaus Schiaparelli, Daniel Roseberry, zeigte für den nächsten Sommer mit dem imaginären Inhalt einer Handtasche bestickte Baumwollkleider. Was wohl jede Frau mit sich rumschleppt: Zigarettenschachteln. Mit jedem Zug scheint der Zug weniger abgefahren. Rauchen scheint wieder in Mode.
Anti-Health-Hedonismus
Es war also fast schon lächerlich zu denken, die Zeiten, in denen sich Audrey Hepburn und James Dean eine Zigarette anzündeten und damit zum Inbegriff von nonchalanter Coolness wurden, seien vorbei. Immer mehr Celebrities posten sich selbst mit Zigarette. «Social Smoking», also ab und zu mal zu rauchen, wenn man mit Freund:innen auf dem Balkon Wein trinkt oder im Club selig vor sich hinraved, ist Teil einer verwegenen Vintage-Ästhetik (Siehe: der Insta-Account @cigarettes) geworden. Auch das Körperbild entwickelt sich ganz zugunsten der Zigarette: Kurven sind erwünscht, aber nur an den richtigen Stellen. Da lohnt sich für viele der Umweg übers Nikotin. Das sah gut aus – das wissen wir noch von Kate Moss.
Das schimmernde Zigarettencase schafft zudem eine rebellische Gegenkultur zum blütenreinen, kontrollierten Lifestyle mit Gym und Clean Eating. Mal wieder ausbrechen? Wild sein? Ja, sündigen? An der Zigarette ziehen statt am Strohhalm im Smoothie! Wenn der Mainstream-Konsens ist, Rauchen sei schädlich und somit schlecht, macht es das umso cooler. Wer gerade schwankend auf der Suche nach Identität ist, greift vielleicht gerne zu und tauscht mahnende Bilder auf der Schachtel gegen einen goldenen Käfig für die Sucht. Das ist und bleibt gefährlich. Und Zigaretten schädlich. Ob schön verpackt hinter einem hippen Label oder nicht, spielt keine Rolle.
Euch rauchen die Köpfe? Besser die als etwas anderes.