“Ich war die mit dem Bob”
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, im Jahr 1981, als sie das meistgebuchte Model der Welt war, erfuhr Esmé Marshall, dass ihr Ehemann Alan Finkelstein thailändisches Marihuana
im Wert von zwei Millionen Dollar nach New York geschmuggelt hatte. Eine Nachricht für die Titelseiten der Zeitungen. Doch statt sich vom zehn Jahre älteren Finkelstein zu trennen, stand ihm Esmé Marshall zur Seite und kündigte ihre Aufträge. «Es ist nicht angenehm, wenn man sich in einer Notlage befindet und seinem Geschäftspartner in Tokio absagen muss», sagte die damals Zwanzigjährige. Marshall war jedoch so begehrt, dass die japanische Warenhauskette daraufhin lieber 14 Leute zum Shooting mit ihr nach New York einfliegen liess, als ein anderes Model nach Tokio zu bestellen.
Wenn sie sich heute an ihr Leben in der Modewelt erinnert, muss Esmé Marshall lachen. Calvin Klein entdeckte sie 1978 im «Studio 54» und liess sie am nächsten Tag für eine weltweite Jeanskampagne fotografieren. «Ich war das Mädchen mit dem Bobby-Look. Wegen der kurzen Haare wurde ich bekannt. Sie wollten mir die Augenbrauen rasieren, weil ich zu zigeunerhaft aussah. Aber gerade dieser fremde Look hat mir den Erfolg beschert.» Mit den Honoraren finanzierte sie ihrer kleinen Schwester und sich selbst das College. Ihr Plan sah vor, es als Filmproduzentin bis nach Hollywood zu schaffen. 1986 bot ihr der Regisseur Ridley Scott («Blade Runner») ein Praktikum an, woraufhin sie ihre Karriere als Model für beendet erklärte – sehr zum Leidwesen ihrer Agenturchefin Eileen Ford. «Die konnte nicht verstehen, dass ich lieber Kaffee koche für einen Regisseur, als Modell zu stehen.»
Mit Alan Finkelstein bekam sie ein Kind, mit ihrem zweiten Mann weitere drei. Heute lebt sie in Long Beach, Kalifornien, und arbeitet in einer Produktionsfirma, die digitale Animationen für Werbefilme herstellt. «Ich bin glücklich, wir führen ein fantastisches Leben. Ich zeige Ihnen mal, was meine Söhne so treiben.» Sie zückt eine DVD mit den besten Skateboardtricks ihrer Söhne. Ihre Wochenenden verbringt sie auf Skateboardanlagen in Südkalifornien, um ihre Jungs anzufeuern, die Profis werden wollen. Seit 24 Jahren steht Esmé Marshall nicht mehr professionell vor der Kamera. Doch es schmeichelt ihr, wenn sie spürt, dass noch nicht alle Redaktionen vergessen haben, wie berühmt sie als Model war. In einer der kommenden Ausgaben von «Vanity Fair» wird sie zu sehen sein als eine Ikone der Modelgeschichte. «Würde mich nicht stören, wenn mal wieder jemand anriefe, um mich für eine Jeanswerbung zu buchen.»
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