Bauersfrau, Monarchin, Muslima, Sexsymbol? Das Foulard passt immer.
Und plötzlich machte alles Sinn. Das Kissen in der ersten Reihe, die vielen Foulards – sie waren da, weil sie da war: die Queen. Sie besuchte beim britischen Jungdesigner Richard Quinn zum ersten Mal überhaupt eine Modeschau, um ihn mit dem Queen Elizabeth II Award zu ehren. Quinn war informiert und ergänzte seine Kollektion um komplette Looks aus Foulards. Eine Hommage, denn die Queen trägt gern Kopftuch, wenn Sie in ihrem schottischen Feriendomizil Balmoral Castle weilt.
Das Tuch aus Seide oder Kunstseide schützt Frauen seit Jahrhunderten vor Wind, Wetter und ja, auch Männerblicken. Gleichzeitig ist es aber auch eine textile Leinwand und transportiert, von der alten fernöstlichen Tradition der Seidenmalerei bis zum modernen Logo-Muster, alle möglichen Botschaften. Manchmal ist diese gar überlebenswichtig: Im Zweiten Weltkrieg trugen britische Piloten Seidentücher auf sich – mit einer Landkarte des feindlichen Territoriums bedruckt. Denn Seide ist wasserbeständig und lässt sich lautlos entfalten.
Ebenso wegweisend und beinahe so dramatisch wurde das Foulard als Modeaccessoire eingesetzt. Als Kopftuch getragen, unter dem Kinn geknüpft und mit einer grossen Sonnenbrille ergänzt, schützte es die Stars vor der profanen Realität: Marilyn Monroe, Audrey Hepburn, Grace Kelly und Lauren Bacall, in den Fünfzigern hüllten sie sich alle in Seide. Besonders häufig wurde das Foulard in der Nähe von Motoren gesichtet. Egal, ob im Cabriolet oder Flugzeug, noch heute erinnert das Seidentuch der Flugbegleiterinnen an die Zeit, in der das Reisen noch nobel war. Besonders die Marken, die als Hersteller von Lederwaren begannen und seit jeher alles für die luxuriöse Reise anbieten, produzierten begehrte Foulards: Ferragamo, Louis Vuitton, Fendi, Gucci – und natürlich Hermès. Hundert Jahre nach der Firmengründung erfand Hermès 1937 das berühmte Carré. In Handarbeit bedruckt und aus Seide höchster Qualität existieren heute über tausend Motive.
Verlieh das Foulard etwa Jackie Kennedy in den Sechzigern das Maximum an entrückter Eleganz, pendelte es später zwischen Retro-Fimmel und Spiesser-Fummel. Auch wenn es nie verschwunden ist, so war es doch nie mehr so präsent wie gerade jetzt. Warum? Einige böse Zungen sehen in den Foulards, die von den Models nicht selten auch als Kopftuch getragen werden, eine Fetischisierung des muslimischen Kopftuches oder gar eine Anbiederung an die religiöse und reiche Kundschaft im Nahen Osten. In der Kommunikationsabteilung von Gucci jedenfalls schien man sich der Brisanz des Themas bewusst zu sein. «Ein Seidentuch mit Pferdedruck, entworfen, um auf dem Kopf getragen zu werden», wurde ein Entwurf auf Guccis Instagram- Account beschrieben.
Geht es noch umständlicher? Wir hätten da eine interessante Alternative: «Ein Seidentuch, das gleichzeitig an eine Monarchin und an eine Bäuerin erinnert, das für eine Muslima genauso identitätsstiftend ist wie für ein Sexsymbol wie Marilyn Monroe.» Also, liebe Leserin, lassen Sie sich ja nicht einreden, dass das Tüchlein Sie wie eine Hostesse aussehen lässt. So ein Foulard, das geht immer. Auch wenn Sie die Queen zu Gast haben sollten.
Was steckt hinter diesen sogenannten It-Pieces? Woher kommen sie, wie haben sie sich über die Jahre entwickelt, wie die Emanzipation der Frau beeinflusst? Wir haben diese Recherchen für Sie übernommen und geben Antworten im Modelexikon – weitere Beiträge dazu finden Sie in der aktuellen annabelle 11/18